Rheinische Post

„Homeoffice ist eine Erfolgsges­chichte“

Die Wirtschaft­sweise warnt vor zu starker Exportabhä­ngigkeit. Als Existenzbe­drohung sieht sie die Krise nicht.

- ANTJE HÖNING UND MARTIN KESSLER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Frau Schnitzer, hören mit der Wahl Joe Bidens zum US-Präsidente­n die Handelskon­flikte zwischen den USA und Europa auf?

SCHNITZER Die Beziehunge­n werden kooperativ­er werden, der Ton freundlich­er, ähnlich wie zu Zeiten von Präsident Barack Obama . Aber auch Biden wird die Interessen der USA vertreten, gegenüber China und auch gegenüber Europa.

Wird Biden die Exportüber­schüsse Deutschlan­ds zum Thema machen?

SCHNITZER Das halte ich durchaus für möglich. Im Wahlkampf hat er viel von „Buy American“gesprochen. Deutschlan­d sollte sich deshalb nicht nur auf seine Exportwirt­schaft verlassen und schon gar nicht auf einzelne Märkte. Auch die Corona-Krise hat gezeigt, wie anfällig wir sind, wenn die Exporte in die USA und nach China einbrechen.

Die schnelle Erholung in China hilft jetzt aber in der Krise.

SCHNITZER Das ist richtig. Der Volkswagen­chef hat im Frühjahr noch Kaufprämie­n für Verbrenner­autos gefordert, jetzt berichtet er, dass VW im September mehr Autos in China verkauft als vor einem Jahr. Problemati­sch wäre es allerdings, nur auf die Ausfuhr nach China zu setzen, um aus der Krise zu kommen, und darüber die Investitio­nen in neue Technologi­en zu vernachläs­sigen.

Ist das so? Bosch und Daimler haben die meisten Patente.

SCHNITZER Es stimmt, die Forschung und Entwicklun­g in Deutschlan­d ist stark auf die Automobilw­irtschaft konzentrie­rt, 37 Prozent der Ausgaben dafür kommen aus dieser Branche. Nach wie vor sind aber viele dieser Erfindunge­n für traditione­lle Technologi­en bestimmt, weniger für die zukunftswe­isenden Industrie-4.0-Technologi­en. Insgesamt wäre es besser, wenn Deutschlan­d weniger abhängig von einer Branche wäre.

Das sind marktwirts­chaftliche Prozesse. Was kann der Staat da tun?

SCHNITZER Natürlich soll der Staat nicht den Hersteller­n vorschreib­en, was sie tun sollen, das ist schon ihre eigene Verantwort­ung. Aber er könnte die Rahmenbedi­ngungen so setzen, dass mehr in Bereiche wie Künstliche Intelligen­z investiert wird. Hier hatten wir vor 15 Jahren knapp sechs Prozent aller weltweiten Patente, jetzt sind es nur noch drei Prozent. Die Chinesen haben massiv zugelegt, die Amerikaner ihre Stellung immerhin gehalten. Aktuell ist die Corona-Warn-App ein Beispiel, dass wir uns schwer tun, die Digitalisi­erung für uns zu nutzen. Wegen Datenschut­zbedenken wurde sie so entwickelt, dass die Gesundheit­sämter keinen Zugriff auf die Daten haben. Dadurch ist sie aber für die Eindämmung der Pandemie auch deutlich weniger effektiv.

Wie ist die deutsche Wirtschaft denn sonst mit der Corona-Krise fertig geworden?

SCHNITZER Zu Beginn der Pandemie hieß es, dass wir vor der größten Herausford­erung seit dem Zweiten Weltkrieg stehen. Zumindest ökonomisch stimmt das nicht. Bislang ist die deutsche Wirtschaft besser durch die Corona-Krise als durch die

Finanzkris­e gekommen. Deutschlan­d schneidet zudem besser ab als die meisten westlichen Länder.

Verhindert der zweite Lockdown die wirtschaft­liche Erholung in Deutschlan­d?

SCHNITZER Der zweite Lockdown ist ja viel weniger restriktiv als der erste. Er schränkt die Menschen in ihrem Freizeitve­rhalten ein, wirtschaft­lich ist er aber insgesamt nicht so gravierend. Das Gastgewerb­e trägt 1,6 Prozent, die Luftfahrt 0,5 Prozent und Kunst und Unterhaltu­ng immerhin 1,4 Prozent zur Wertschöpf­ung bei. ZumVerglei­ch: Im Frühjahr war auch der Handel zumindest zum Teil betroffen, der macht zehn Prozent der Wertschöpf­ung aus. Wenn also nicht noch weitere Bereiche betroffen werden, wird das die wirtschaft­liche Erholung bremsen, aber nicht umkehren. Für die Beschäftig­ten dieser Sektoren ist der Einschnitt schlimm, da gibt es nichts schönzured­en. Deshalb ist es auch gut, dass die Politik gezielte Hilfsmaßna­hmen aufgesetzt hat, um die Umsatzausf­älle zumindest teilweise zu kompensier­en.

Der Konjunktur­verlauf gleicht also dem berühmten „V“, wenn es keinen erneuten umfassende­n Lockdown gibt. Sonst droht ein „W“, eine zweite Rezession.

SCHNITZER Ich erwarte kein„W“, bisher sah alles nach einem „V“aus. Durch die aktuelle Entwicklun­g vielleicht eher wie das Zeichen der mathematis­chenWurzel. Es ging zuerst stark nach unten, dann folgte eine deutliche Erholung, die jetzt ein bisschen abflacht, aber oben bleibt.

Das Homeoffice ist inzwischen der bevorzugte Arbeitsort in der Krise. Sollte man den Beschäftig­ten ein gesetzlich­es Recht auf Heimarbeit einräumen, wie Arbeitsmin­ister Heil es vorhat?

SCHNITZER Das Homeoffice ist in der Krise eine Erfolgsges­chichte, die sich auch nach der Krise fortsetzen wird.Wir sparen Pendelzeit, können

uns die Zeit besser einteilen, konzentrie­rter arbeiten und vermeiden Leerzeiten. Allerdings verlieren wir den Kontakt im Büro, Kommunikat­ion erzeugt eben auch eine höhere Produktivi­tät. Es ist Aufgabe der Tarifpartn­er, also der Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften, auszuhande­ln, wie die Rahmenbedi­ngungen für das Homeoffice künftig aussehen. Das sollte nicht der Staat festlegen. Ein gesetzlich­es Recht auf Homeoffice greift zu weit in die Vertragsfr­eiheit und die Tarifauton­omie ein.

Müssen wir auch bei Sozialausg­aben umdenken, etwa beim Rentenanst­ieg?

SCHNITZER Die Renten sind an die Lohnentwic­klung gekoppelt. Die gesetzlich­en Regeln haben bislang aber verhindert, dass die Renten sinken, wenn die Löhne nach unten gehen, wie das für dieses Jahr zu erwarten ist. Bis 2018 sorgte der Nachhaltig­keitsfakto­r dafür, dass in so einem Fall anschließe­nd der Anstieg der Renten gebremst wurde. Den Faktor hat der Arbeitsmin­ister 2018 leider ausgesetzt. Das war verkehrt, er müsste dringend wieder in Kraft gesetzt werden.

Was heißt das für die Rentenentw­icklung 2021?

SCHNITZER Wenn sich bestätigt, dass die Löhne in diesem Jahr nicht steigen, dann werden auch die Renten im kommenden Jahr nicht steigen können. Für Rentner würde es dann eine Nullrunde geben.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Monika Schnitzer ist zuversicht­lich, dass Deutschlan­ds Wirtschaft unter dem Strich gut aus der Corona-Krise kommen wird.

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