Christiane Reicherts Katzenjammer
Für die Chefin des Theaters an der Luegallee ist Corona wie Liebeskummer.
Ein ruhiger Tag, milde Temperaturen, Sonnenschein – eigentlich ein schöner Tag. Ich wache auf und freue mich: Das wird ein guter Tag. Doch dann fällt es mir wieder ein: Es ist Lockdown. Sofort ist die Stimmung getrübt. Manchmal erinnert Corona mich an Liebeskummer: Man fühlt sich eigentlich super – und dann erinnert man sich „da war doch was“, und sofort ist der Katzenjammer wieder da.
Aber für Katzenjammer ist keine Zeit. Denn so ein Lockdown bedeutet für unser kleines Theater viel, viel Arbeit. In den Tagen seit Bekanntgabe habe ich jeden einzelnen Gast, der für den Monat November Karten gebucht hatte, kontaktiert, habe unzählige Telefonate geführt und E-Mails geschrieben. Informieren, umbuchen, gekaufte Karten zurückerstatten. Alle haben Verständnis, niemand motzt. Oft höre ich: „Frau Reichert, das tut mir so leid für Sie und Ihr Theater!“Ja, mir tut es auch leid.
Ein letztes Mal die Gäste begrüßen. Ein kleiner Scherz hier, ein bisschen Plaudern da. Viele haben Geschenke mitgebracht. Ein wunderschöner selbstgebastelter Adventskalender, ein paar Fotos, ein zugestecktes Kuvert mit den Worten „Gehen Sie mit Ihren Darstellern nochmal richtig schön essen“. Alle wollten reden bei der letzten Vorstellung vor dem Lockdown, alle sind voller Mitleid, niemand versteht das harte Durchgreifen. „Sie hatten doch jetzt fünf Monate wieder geöffnet, ohne dass etwas passiert ist. Niemand ist krank geworden. Sie haben sich doch an alle Regeln gehalten.“Haben wir.
Hilft trotzdem nichts. Nach der Vorstellung haben wir noch einmal alle Tische abgewischt, geöffnete Getränke ans Personal verteilt, die Kühlschränke vom Strom genommen. Paradoxerweise standen da genau diesselben Darsteller auf der Bühne, mit denen ich im März schon in den ersten Lockdown „gestartet“bin. Wir müssen trotz aller Trauer grinsen: Hoffentlich wird das nicht zum Dauerzustand. Das gehört auch dazu, wenn das Theater offen ist: Die schöne Luegallee entlang gehen. Kalle Wahle in seinem Brockenstüble zuwinken. Die Auslagen bei Blumen Leo bewundern. Daneben der neue Schmuckladen – arme Besitzerin! Mitten im ersten Lockdown erst eröffnet. Ob sie als Neuunternehmerin wohl von den Soforthilfen etwas bekommt? Andererseits – wer bekommt schon etwas von den ach so tollen Hilfsprogrammen?Wer darf es behalten? Mache mir einmal mehr Sorgen um
„meine“Schauspieler. Alle Freiberufler. Alle Soloselbstständige. Werden die alle „heil“durch dieses Jahr kommen? Wieder ist die Stimmung getrübt. Abschied feierten wir in unserer Lieblingskneipe, der Zille, schräg gegenüber des Theaters. Zur „Feier“des Tages den großen Burger. Und noch ein Dessert hinterher. „Glaubt Ihr, dass Ihr im Dezember wieder öffnen dürft?!“– „Hoffen ja, glauben nein.“– Geht mir genauso. Wie geht es weiter? Keine Ahnung. Mein kleines Theater wird es überleben. Ich auch. Bin ja anpassungsfähig. Morgen erstmalVorstellungsgespräch bei einer Neusser Kita. Hatte gelesen, dass der Sozialbereich gerade Hilfe braucht und mich einfach mal beworben. Den Lockdown sinnvoll nutzen. Bis das Theaterleben endlich wieder losgehen kann. Bis dahin: Tschüss Luegallee, Tschüss Oberkassel. Wir sehen uns. Bald.