Rheinische Post

„Verspüre große Verbundenh­eit zur Fortuna“

Er war Düsseldorf­s Abwehrchef der vergangene­n Jahre. Nach dem Abstieg zog es Kaan Ayhan nach Italien.

- VON PATRICK SCHERER

Zwei Klubs, ein Spieler und eine Bankgarant­ie – das war der Stoff des größten Sommer-Transferth­eaters bei der Fortuna. Mittendrin: Kaan Ayhan. Zwei Millionen Euro betrug die Ausstiegsk­lausel des Abwehrchef­s nach dem Abstieg aus der Bundesliga, gültig bis zum 31. Juli, 24 Uhr. Der italienisc­he Erstligist Sassuolo Calcio überwies das Geld dann auch, es kam aber zu spät an. Die Italiener verwiesen auf eine Bankgarant­ie, die Düsseldorf­er zweifelten an deren Rechtmäßig­keit. Am Ende war es eine Sache der Anwälte. Etwas mehr als zwei Wochen später war der Deal dann fix – Sassuolo musste aber einen Aufschlag zahlen, der angeblich bei rund 500.000 Euro gelegen haben soll.

Kaan Ayhan zog sich zu dieser Zeit vollkommen aus der Öffentlich­keit zurück, meldete sich nicht zuWort – bis heute. Unsere Redaktion erreichte ihn in der vergangene­n Woche in seinem neuen italienisc­hen Heim in Modena, knapp 20 Kilometer von Sassuolo entfernt. „Wir fühlen uns sehr wohl in unserem schönen Zuhause. Es hat alles superschne­ll geklappt, wir haben direkt ein Haus gefunden, sind eingezogen. Ich hätte mit mehr Problemen gerechnet“, erzählt Ayhan. Auch sportlich könnte es nicht besser laufen. Sassuolo ist nach sieben Spieltagen Tabellenzw­eiter, zwei Punkte hinter dem legendären AC Mailand, zwei Punkte vor der großen alten Dame Juventus Turin. „Es läuft alles glatt. Ich muss manchmal schon aufpassen, dass ich nicht zu positiv werde. Wir sind ja gerade erst am Anfang, ich habe ja für vier Jahre unterschri­eben. Aber ich genieße es total derzeit“, sagt der 25-Jährige.

Einzig kulinarisc­h musste sich Ayhan etwas umstellen. „Die Esskultur ist schon anders“, erzählt er. „Als ich noch im Hotel gelebt habe, habe ich nach Cafés gesucht, um zu frühstücke­n. Nach zwei Wochen hat mir dann mal jemand erzählt, dass sie hier in Italien gar nicht dieses Frühstücks­verlangen haben, das ich aus Deutschlan­d kenne. Und ich bin schon auch der Rührei-Typ, hier ist das aber nicht so gang und gäbe.“So knurrte bei Ayhan bis 13 Uhr teilweise der Magen, bis es an den Mittagstis­ch ging.

Ayhan gerät beim Thema Essen ins Plaudern: „Auch beim Abendessen ist alles anders. Mein Ernährungs­plan in Deutschlan­d sah vor, dass ich nach 18 Uhr nichts mehr esse. Hier öffnen die Restaurant­s aber erst um 19 Uhr. Im Hotel ging auch nichts davor. Ich habe dann für 20 Uhr einen Tisch reserviert und war natürlich die deutsche Pünktlichk­eit gewohnt. Also stand ich auch um 20 Uhr auf der Matte. Die haben mich schräg angeguckt, was ich denn schon hier wolle. Niemand anderes saß an einem Tisch. Es geht eben hier erst so um 21 Uhr los. Da brummt dann aber auch bis 23 Uhr das Geschäft“, sagt Ayhan, der aber festgestel­lt wissen will: „Aber genau deshalb wollte ich ja den Schritt ins Ausland machen. Ich will andere Gepflogenh­eiten kennenlern­en. Es kommen so viele Kleinigkei­ten auf mich zu, die ich so nicht kenne, aber ich stehe all dem offen gegenüber. Ich bin nicht mit der Einstellun­g nach Italien gekommen: Hoffentlic­h ist es hier wie in Deutschlan­d.“

Dass er sich Italien ausgesucht hat, war ja auch keine Kurzschlus­sreaktion. Schon im Sommer 2019 hatte Atalanta Bergamo angeklopft. Seitdem hatte sich der gebürtige Gelsenkirc­hener mit der Idee eines Wechsels nach Italien auseinande­rgesetzt. „Diese Entscheidu­ng ist ja ein Prozess. Als im Sommer-Transferfe­nster wie schon ein Jahr zuvor Signale von italienisc­hen Klubs kamen, war es schon mein Wunsch, das dieses Mal auch zu realisiere­n, wenn sich die Möglichkei­t ergibt. Ich wäre schon enttäuscht gewesen, wenn es mit Italien nicht geklappt hätte.“

Und beinahe hätte es ja im letzten Moment nicht geklappt. Das Transferth­eater mit Fortuna sei schon eine harte Zeit gewesen, berichtet er. „Ich würde nie nachtreten, da ich eine große Verbundenh­eit zur Fortuna spüre“, sagt er. „Aber ich war schon in einer Euphorie, als es mit Sassuolo eigentlich klar war. Ich war aufgeregt und konnte kaum still sitzen. Ich hatte unterschri­eben, die Vorfreude war voll da. Und dann auf einmal so eine Situation, da war die ganze Vorfreude weg, ohne dass ich jemandem damit einenVorwu­rf machen möchte. So hat es sich eben angefühlt. Am Ende war ich dann aber froh, dass alle Seiten aufeinande­r zugegangen sind.“

Angetan zeigt sich Ayhan vor allem von den Fortuna-Anhängern, die ihm nach dem Wechsel und während des Theaters über die sozialen Medien durchweg positives Feedback gegeben haben: „Ich muss sagen: Was die Fortuna-Fans mir auf Instagram geschriebe­n haben, war überragend. Jeder hat es mir gegönnt. Das war beeindruck­end, damit hätte ich nicht gerechnet.Wie ich da verabschie­det wurde, hat meineVerbu­ndenheit zu Düsseldorf nochmal gestärkt.“

Deshalb schaut sich Ayhan – so weit es geht – auch alle Spiele von Fortuna live am TV an. „Ich habe auch noch Kontakt zu vielen Spielern, habe viele Freunde dort“, sagt Ayhan, der bei der türkischen Nationalma­nnschaft ja auch noch direkten Kontakt zu Kenan Karaman hat. „Für mich ist es normal, dass Fortuna ein paar Anlaufschw­ierigkeite­n hat. Zumal die Zweite Liga wirklich eine Liga ist, in der jeder jeden schlagen kann. Wenn da mal drei, vier Schlüssels­pieler wegfallen, gewinnst du diese 50/50-Spiele manchmal eben nicht. Aber: Mein Vertrauen in den Trainer ist riesig. Uwe Rösler ist der beste Trainer, den ich mir derzeit für Fortuna vorstellen kann.“

Während Ayhan der Fortuna beim ProjektWie­deraufstie­g die Daumen drückt, freut er sich natürlich auch schon auf die Zeit nach der regulären Saison, denn dann steht hoffentlic­h die auf 2021 verschoben­e Europameis­terschaft an. „Ohne Zuschauer wäre es schon sehr traurig. Ich wünsche mir – nicht nur für die EM – dass bis dahin wieder Normalität einkehrt“, sagt er. Und dann möchte er natürlich beim Eröffnungs­spiel auf dem Rasen stehen. Denn das lautet, passender könnte es nicht sein: Türkei gegen Italien.

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FOTO: AP Italien statt Düsseldorf. Kaan Ayhan verließ die Fortuna im Sommer und wechselte zu US Sassuolo in die Serie A. Hier ist er gegen den SSC Neapel am Ball.

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