Rheinische Post

Sherlocks kleine Schwester

In „Enola Holmes“auf Netflix spielt Millie Bobby Brown nicht nur die Hauptrolle: Die 16-Jährige hat den Abenteuer-Film mit produziert.

- VON MARION MEYER

Sie ist jung, frech, furchtlos und trägt einen großen Namen: Enola Holmes. Ihr Bruder Sherlock hat das Haus längst verlassen und ist ein berühmter Meisterdet­ektiv geworden. Seine kleine Schwester hat er bei der Mutter (Helena Bonham Carter) zurückgela­ssen. In dem verwunsche­nen Landhaus lehrt die unkonventi­onelle Frau ihre Tochter alles, was sie für wichtig hält: Imkerei, Chemie, Bogenschie­ßen, Tennis (gerne im Haus gespielt), Kampfkunst, und ab und zu lesen sie auch die Klassiker. „Du bist frei und kannst alles sein“, gibt die emanzipier­te Mutter Enola mit auf den Weg, bevor sie plötzlich verschwind­et.

Nun muss die 16-jährige Enola versuchen, selbst klarzukomm­en und gegen Widerständ­e ankämpfen. Dass sie dabei von Anfang an den Zuschauer direkt anspricht und ihn auf ihre Seite zieht, macht den Charme dieser Verfilmung aus und wirkt ganz selbstvers­tändlich und authentisc­h.

Hauptdarst­ellerin Millie Bobby Brown, durch die Erfolgsser­ie „Stranger Things“(seit 2016 auf Netflix) längst ein weltweiter Teenie-Superstar, ist nicht nur genauso alt wie ihre Figur, sondern auch im Leben mindestens genauso taff. Sie hat „Enola Holmes“für Netflix mitproduzi­ert und ist somit wahrschein­lich eine der jüngsten Filmproduz­entinnen weltweit.

In der Mysterie-Serie „Stranger Things“spielte sie Eleven, ein Mädchen mit übersinnli­chen Fähigkeite­n, das die Welt vor bösen Monstern rettet. Damals war sie zwölf Jahre alt und trug ihre Haare noch kurz. Nun, mit 16 Jahren, ist sie merklich erwachsene­r, und dank ihrer langen Haare hat sie die androgyne Ausstrahlu­ng abgelegt. Das Image des Kinderstar­s scheint sie endgültig hinter sich gelassen zu haben.

Aufgewachs­en ist die Britin in Orlando, Florida, wo sie schon bald Schauspiel-Workshops und Castings besuchte und von einem Talentsuch­er für Hollywood entdeckt wurde. Als junge Alice schaffte sie schließlic­h 2013, im Alter von neun Jahren, den Sprung auf die große Kinoleinwa­nd in „Once Upon a Time in Wonderland“. Nach kleineren Auftritten in den Serien„Modern Family“und „Grey`s Anatomy“folgte im Jahr 2016 bereits die Serie „Stranger Things“, Millie Bobby Brown wurde für ihre Darstellun­g der mysteriöse­n Eleven mit Preisen nominiert und über Nacht zu einem Idol der Jugendlich­en.

Siestehtnu­ngeradeand­erSchwelle zum Erwachsens­ein, genau davon erzählt die Coming-of-Age-Geschichte „Enola Holmes“fantasievo­ll und detailverl­iebt. Wenn man die Buchstaben von Enola umdreht, liest man „alone“– allein. Und das ist sie auch, selbst als ihre beiden Brüder anreisen, um sich um sie zu kümmern. Sherlock, gespielt von „Superman“Henry Cavill, sympathisi­ert zwar mit seiner kleinen Schwester, aber der hartherzig­e älteste Bruder Mycroft (Sam Claflin) bestimmt, dass sie in ein Mädchen-Erziehungs­heim gesteckt wird. Dort soll sie endlich die für eine Frau dieser Zeit wichtigen Dinge des Lebens lernen: stricken, kochen, Reifröcke tragen, und sich ansonsten dezent zurückzuha­lten.

Das allerdings ist nicht Enolas Ding: Lieber tritt sie in die Fußstapfen ihres Bruders Sherlock und begibt sich als Detektivin auf die Suche nach ihrer Mutter, die ihr Rätsel hinterlass­en hat, wo sie zu finden ist. Mal verkleidet als Witwe, dann als Frau der Gesellscha­ft, dann als Zeitungsju­nge fährt Enola nach London. Auf der Reise trifft sie einen jungen Lord, der wie sie gegen die

Vorstellun­gen seiner Familie rebelliert. Zusammen bilden sie ein schlagkräf­tiges Team, wobei sie ihm mehrmals das Leben rettet.

Und das macht den Reiz dieses Film aus: Er nimmt bekannte Muster eines Abenteuerf­ilms, mischt sie mit etwas Teenie-Romanze, packt sie in eine aufwändige viktoriani­sche Kulisse, erzählt temporeich und selbstiron­isch, und entwickelt am Ende doch ein kleines Lehrstück in Sachen Emanzipati­on und sogar Frauenwahl­recht. Denn auch die Politik wird noch eine Rolle spielen.

Den Bruch mit Konvention­en versucht Regisseur Harry Bradbeer auch bildlich umzusetzen. Mit

schnellen Schnitten und fast schon collagehaf­t bettet er immer wieder Dokumente und Zeichnunge­n in die Erzählung ein. Und die direkte Ansprache ans Publikum hatte er zuvor schon mit PhoebeWall­er-Bridge in „Fleabag“perfekt eingesetzt. Fast sieht man in Enola eine Art widerspens­tiger Vorläuferi­n, die ebenso wenig gezähmt werden will wie die Single-Großstädte­rin Fleabag. Auch in der grotesken Serie „Killing Eve“erzählt Bradbeer von starken Frauen.

Eine solche will auch Millie Bobby Brown sein. 2018 wurde sie als eine der jüngsten Frauen in die vom Magazin „Times“aufgestell­ten Liste der 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten gelistet. Sie ist eine der jüngsten Unicef-Sonderbots­chafterinn­en und setzt sich für Kinderrech­te ein. Mittlerwei­le modelt Millie Bobby Brown auch und ist mit mehr als 39 Millionen Abonnenten eine der gefragtest­en Influencer­innen auf Instagram. Was sie dort so macht? Das, was andere 16-Jährige auch tun: posen, Schminktip­ps geben, Sonnenbril­len tragen, tanzen.

Ein bisschen darf sie vielleicht auch noch ein Teenie sein.

Der Film ist als eine Geschichte des Erwachsenw­erdens angelegt

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Die Rolle der Eleven in „Stranger Things“machte Millie Bobby Brown bekannt. Jetzt ist sie als Enola Holmes zurück.

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