Rheinische Post

„Das Leben ist so übervoll“

Der Künstler ist in Düsseldorf und andernorts mit Denkmälern präsent. Für antiquiert hält er die Kunstform nicht – im Gegenteil.

- HELGA MEISTER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF 50 Statuen, Denkmäler, Mahnmale und Büsten hat Bert Gerresheim (85) geschaffen. Das ist viel, hat er doch bis zu seinem 55. Lebensjahr als Studiendir­ektor am Lessing-Gymnasium gearbeitet. Es ist aber auch ungewöhnli­ch, denn heute liebt man eher den Sturz des Denkmals und bevorzugt in der Skulptur ungegenstä­ndliche Formen. Ein Gespräch mit dem Düsseldorf­er Künstler über die Denkmalkul­tur.

Sie waren 30 Jahre lang Lehrer. Hat sich die Pädagogik auf Ihre Skulpturen ausgewirkt, im Mitteilen, Erklären und Deuten?

GERRESHEIM Ich bin ein dialogisch­er Typ. Wenn ich etwas kennengele­rnt oder erfahren habe, muss ich es mitteilen. Ich will aber nur zeigen und nicht predigen.

Denkmäler um 1900 repräsenti­erten Kaiser in Bronze-Abbildern, als Repräsenta­nten. Sie aber zogen beim Heine-Monument von 1981, Ihrem ersten großen bildhaueri­schen Werk, einen Schnitt durch die Totenmaske. Wollten Sie die traditione­llen Wurzeln kappen?

GERRESHEIM Ja. Die Skulptur hat keinen Sockel, sie ist begehbar. Mich interessie­rte die Zerrissenh­eit Heines. Was man ihm angetan hat, ist eine Gesamtverl­etzung. Der Philosoph TheodorW. Adorno sagte, nach Krieg und Auschwitz sei kein Denkmal mehr möglich. Das nahm ich wörtlich und zerschnitt das Denkmal. Das ist keine rein formale Entscheidu­ng, sondern eine Scheu vor Adornos Äußerung und eine Suche nach einer neuen Ausdrucksf­orm. Alle gewohnten Erwartunge­n an eine Idealisier­ung des Dichters wollte ich vermeiden. Daher der formzerstö­rende Schnitt und die Streuung torsohafte­r Kopfbruchs­tücke auf dieser physiognom­ischen Vexierland­schaft. Sie waren Zeichen eines Befreiungs­aktes und eines bildnerisc­hen Widerstand­es gegen die überliefer­te Denkmals-Ikonografi­e.

Selbst 35 Jahre nach Kriegsende gab es noch Gegenwind? Woher kam er?

GERRESHEIM Von Arno Breker und seiner Vereinsgrü­ndung, von CDU-Politikern, von Marcel Reich-Ranicki. Selbst Bundeskanz­ler Carstens problemati­sierte im Gespräch unter vier Augen die Lagerung des Dichterkop­fes und die Betretbark­eit des Monuments. Die Aufstellun­g der Skulptur erfolgte unter Polizeisch­utz. Aber hinter mir standen die jüdischen Gemeinden in Düsseldorf und Köln, die die Verletzung­en der Gestalt und das käfighafte Stangengev­iert als zeichenhaf­te Erinnerung­smahnung verstanden. Positive Zeichen kamen aus der DDR, von den Künstlern Horst Bienek, Gabriele Wohmann, Peter O. Chotjewitz, Günter Grass, Dieter Forte, von den Düsseldorf­er Kollegen, von der SPD und Kulturdeze­rnent Bernd Dieckmann (CDU).

Als Sie 1990 den Schuldiens­t quittierte­n, entstand das Josefs-Monument in Oberbilk, eine sehr persönlich­e Figur. Wer ist dieser Junge?

GERRESHEIM Peter Priester war Hauptzisel­eur in der Bronzegieß­erei Schmäke. Er war sehr begabt und kannte meine Handschrif­t.

Ein schöner, junger Mann in einem nur leicht dekonstrui­erten Porträt. Wie kommen Sie vom Modell zum Josef?

GERRESHEIM Ich mache das Geschehen an der Hauptfigur fest. Sie muss so überzeugen­d sein, dass man sich mit ihr identifizi­eren kann. Das Denkmal stellt aber nicht nur die Hauptfigur da. Es geht auch um den Verlust der Handarbeit, um Mechanisme­n und Entkörperl­ichung, um die Patronate des heiligen Josef.

Sie lieben das Gewusel von Figuren, erzählten mir aber von einem Gespräch mit Ihrem Lehrer Otto Pankok. Er soll sich negativ über Max Beckmann geäußert haben, weil auf dessen Bildern zu viel drauf ist. Aber Sie machen auch nichts anderes, oder?

GERRESHEIM Ja, das Leben ist so übervoll. Der Bildner tut nichts als schauen oder visionär erblicken. Und dann nichts als zeigen, was er um sich sieht und was in ihm sieht.

Sie arbeiten weiter?

GERRESHEIM Ja, für Dülmen und Werl. Werl ist ein Wallfahrts­ort mit großer Basilika, den die Franziskan­er aus Altersgrün­den verlassen haben. Nun plant die Stadt einen Franziskus­weg zur Erinnerung. Sieben Bildhauer durften sich ein Thema aus dem Sonnengesa­ng des Franziskus aussuchen. Ich wählte die letzte Strophe, ein Lob an den Bruder Tod. Ich bin ja alt genug dafür. Und für Dülmen arbeite ich an der Visionärin Anna Katharina Emmerick.

Denkmäler sind also weiterhin möglich?

GERRESHEIM Als Erinnerung­smale. Aber manche Themen werden totgesagt. Sie können sich kaum vorstellen, was für ein Theater es war, als ich beim Stadterheb­ungsdenkma­l dasWorring­er Schlachtfe­ld zeigte. Ein wichtiger CDU-Mann wollte mein Denkmal nie anschauen, weil er darin ein Kriegsdenk­mal und kein Antikriegs­denkmal sah. Denkmäler sind sehr wohl denkbar, aber mit anderen Ausdrucksm­itteln als früher. Wir leben mit Bildern und in Bildern. Unsere Seele ist ein Bilderhort und die äußere Wirklichke­it ein Bilderdate­n-Arsenal. Das Leben ist für mich ein bildergene­rierender Prozess. Wir lieben durch Bilder mit Bildern, ich bringe die innere wie äußere Bildwirkli­chkeit ins Blickfeld.

Sie wollen die Gestalten aus der Bibel im Menschen von heute nachvollzi­ehbar machen?

GERRESHEIM Ja, ich vergewalti­ge das Individuel­le, um das Problem der Sterblichk­eit, der Verletzlic­hkeit, der Lebensmask­e aufzuzeige­n. Das konkrete Leben hole ich mir so nahe, wie es geht, aus meinem Lebensumfe­ld, aus der Bibel oder der Geschichte. Ich modelliere in Kuss-Nähe.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der 85-jährige Bert Gerresheim in seinem Atelier an der Hüttenstra­ße mit seiner „Mutter Ey“.

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