Eon sucht einen neuen Chef
Aus dem Megadeal der Energiebranche ist RWE als Gewinner hervorgegangen. Am 15. Dezember entscheidet der Aufsichtsrat über den neuen Eon-Chef. Der tritt ein schweres Erbe an. Favorit auf den Job ist Leonhard Birnbaum.
ESSEN Im März 2018 war die Welt noch in Ordnung. Eon-Chef Johannes Teyssen und RWE-Chef Rolf Martin Schmitz waren augenscheinlich bester Laune – und hatten allen Grund dazu: In der Messehalle Essen verkündeten sie das, was Teyssen „einen der kreativsten Deals der deutschen Industriegeschichte“nannte. Anders formuliert: Aus Erzrivalen wurden Partner. Sie teilten die RWE-Tochter Innogy unter sich auf. Sie machten Eon zum größten Netzkonzern und RWE zum drittgrößten Ökostrom-Konzern in Europa. Alles war symmetrisch: Banner über dem Podium, Krawatten der Chefs – bei RWE alles in blau, bei Eon alles in rot. Zweieinhalb Jahre später ist von Symmetrie keine Spur mehr: „Die RWE-Aktie hat seit März 2018 um 90 Prozent zugelegt, die Eon-Aktie dagegen nur um neun Prozent“, sagt Thomas Deser, Manager bei der Fondsgesellschaft Union Investment.
Nun bekommen beide Konzerne einen neuen Chef. Bei RWE ist die Entscheidung bereits gefallen: Markus Krebber übernimmt 2021 das Steuer von Schmitz. Bei Eon läuft der Vertrag von Johannes Teyssen (61) noch ein Jahr. Am 15. Dezember 2020 kommt der Aufsichtsrat zusammen, wie unsere Redaktion aus Konzernkreisen erfuhr. Dann stehen auch Personalien auf der Tagesordnung. Wenn Teyssen 2021 geht, könnte er 2023, nach der vorgeschriebenen Abkühlungsphase, in den Aufsichtsrat des Energiekonzerns wechseln.
„Angelegenheiten des Aufsichtsrats können wir nicht kommentieren. Der Vertrag von Herrn Teyssen läuft im Dezember 2021 aus, wir gehen davon aus, dass der Aufsichtsrat rechtzeitig Klarheit schaffen wird“, erklärte ein Konzernsprecher.
Gesucht wird der potenzielle Nachfolger extern und intern. Als interner Favorit gilt Eon-Vorstand Leonhard Birnbaum. Der früher mal genannte Karsten Wildberger, Vertriebschef bei Eon, sei dagegen noch immer nicht recht angekommen. Klar ist: Seine Sparte trägt nur ein Fünftel zum Eon-Gewinn bei. Eon betont hingegen, Wildberger habe die Sparte „erfolgreich weiterentwickelt“. Einen guten Ruf hat dagegen der Finanzchef: Marc Spieker, Finanzchef von Eon, sei zwar im Kapitalmarkt anerkannt, aber der Kopf hinter dem großen Deal sei Birnbaum (53), so Analysten. Extern soll Eon sich auch beim Siemens-Führungspersonal umgeschaut haben, sei aber abgeblitzt.
Birnbaum ist derzeit „Chief Operating Officer“und für die Mammutaufgabe Innogy-Integration zuständig. Er muss dafür sorgen, dass zusammenwächst, was seit 2018 zusammengehören soll: das Netz- und
Vertriebsgeschäft von Eon und Innogy sowie die verschiedenen Unternehmenskulturen. Eon gilt als hierarchisch, Innogy als offen. Mancher Innogy-Mitarbeiter fühlt sich dominiert, die Marke Innogy ist bereits weitgehend verschwunden.
Der Chemieingenieur Birnbaum startete seine Karriere als Unternehmensberater bei McKinsey in Düsseldorf und gilt als fleißiger „Mecki ohne Arroganz“. 2008 wurde er Vorstand bei RWE, 2013 wechselte er zu Eon, was damals für viel Aufregung sorgte.
Klar ist: Das Erbe, das ein neuer Eon-Chef antritt, ist schwer. „Die RWE-Aktie kam von einem niedrigen Niveau, aber der Kapitalmarkt honoriert auch das künftig klarere Geschäftsmodell, das auf erneuerbare Energien ausgerichtet ist“, sagt Deser. „Eon zeichnet sich dagegen durch einen hohen Anteil an reguliertem Geschäft aus, da fehlt die große Wachstumsstory.“Eon will sich nicht mehr mit RWE messen. „DerVergleich hinkt, RWE hatte mit dem Kohleausstieg ein Großthema, und die Unternehmen sind auch nicht mehr vergleichbar – wir sind nach Abschluss der Innogy-Übernahme in anderen Geschäftsfeldern tätig“, so der Sprecher.
Was für ein Wandel! Vor 15 Jahren war Eon mit einem Börsenwert von 100 Milliarden Euro einmal das wertvollste deutsche Unternehmen. Im Jahr 2000 war der Konzern aus der Fusion von Veba und Viag entstanden, ein Gemischtwarenladen mit 190.000 Beschäftigten. Nach der Innogy-Integration zählt der Konzern nun noch 75.000 Mitarbeiter.
Unter Teyssen hat der Konzern manchen Strategiewechsel erlebt. Für den Ausflug nach Brasilien, auf den Eon viel Geld abschreiben musste, ist der Konzernchef auf Hauptversammlungen immer wieder kritisiert worden. Als Teyssen 2010 als Vorstandsvorsitzender antrat, war die Aktie mehr als doppelt so viel wert wie heute. Gleich mehrfach lieferte er unterm Strich Milliarden-Konzernverluste ab.
Aus dem Vorreiter ist ein etwas langweiliger Netzkonzern geworden. „Eon wird zur Netzgesellschaft mit weitestgehend regulierten Ergebnisquellen“, sagt Deser. Der Vorteil: Die Energiewende brauche gute Stromnetze, das lasse für Eon Investitionschancen erwarten. Der Nachteil: „Sollten die Zinsen ansteigen, wären regulierte und mäßig wachsende Geschäftsmodelle wie jenes von Eon für viele Anleger nur zweite Wahl“, so Deser.
2018 schien es, als habe Eon den besseren Deal gemacht. Einen Kohleausstieg später sieht es so aus, als habe Schmitz den größeren Weitblick gehabt. Dass RWE seitdem mit einem Anteil von 16 Prozent auch noch der größte Aktionär von Eon ist und Schmitz am 15. Dezember über den Eon-Chef mitentscheidet, ist die feine Ironie dieses Kapitels Energiegeschichte. Und ob Schmitz es künftig zulassen wird, dass Teyssen nach seiner durchwachsenen Bilanz in den Aufsichtsrat kommt, das bleibt die spannende Frage.