Als Deutschland wieder mitspielen durfte
Vor 70 Jahren stieg das erste Länderspiel des DFB nach dem Zweiten Weltkrieg. Es sagt viel darüber aus, wie unfertig die Bundesrepublik noch war.
DÜSSELDORF Deutschlands Länderspieljahr 2020 ist beendet. Mit dem 0:6 in Spanien konnten die Historiker einen dicken Haken dahinter machen. Am Sonntag geht der Blick trotzdem nochmal auf ein Länderspiel, zurück in die Geschichte, zurück auf den 22. November 1950. Denn vor genau 70 Jahren spielte die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes Länderspiel nach dem Zweiten Weltkrieg. In Stuttgart gab es einen 1:0-Erfolg gegen die Schweiz. Doch es ist nicht das Ergebnis, es sind die Begleitumstände, die dieser Partie einen Nachhall in der Betrachtung verschafften.
Der 22. November 1950 war ein Mittwoch. Buß- und Bettag. Es regnete. Doch das war 102.000 Zuschauern – oder 115.000, je nach Quelle – egal. Sie wollten ihre Mannschaft sehen. Acht Jahre war es auf den Tag genau her, dass die zuletzt gespielt hatte. 1942 gab es ein 5:2 in Bratislava gegen die Slowakei. Danach verschlang der Krieg den Sport wie alles andere – auch Nationalspieler. Doch der Krieg war vorbei, war weit weg an diesem Nachmittag, an dem sich beide Mannschaften auf dem Rasen aufstellten. Eine Stehplatzkarte kostete eine Mark, der Sitzplatz 53, auch die Aschenbahn war ausverkauft. Wollte der Schalker Berni Klodt einen Eckball schießen, musste er die Zuschauer von der Eckfahne erst zurückbitten.
Doch noch vor dem Anpfiff gab es einen Moment, der die Unfertigkeit der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft verdeutlichte. Der Journalist Peter Kasza beschreibt ihn in seinem Buch „Fußball spielt Geschichte“so: „Als die Schweizer Hymne verklungen war, legte sich Schweigen über das Neckarstadion zu Stuttgart, das bis vor nicht allzu langer Zeit noch ,Adolf-Hitler-Kampfbahn` hieß.“
Warum dieses Schweigen? Die Antwort: Es gab zu diesem Zeitpunkt noch keine Nationalhymne. Erst im Mai 1952 wurde die dritte Strophe des Deutschlandliedes dazu auserkoren. Die Notwendigkeit, zeitnah eine Hymne auswählen zu müssen, hatten dabei nicht zuletzt Sportveranstaltungen deutlich gemacht – Veranstaltungen wie dieses Länderspiel.
Denn es gab noch skurrilere Momente als nur Schweigen, wie Kasza schreibt.„Dass gehandelt werden müsse, machte Adenauer mehrmals deutlich, spätestens, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, man habe bei internationalen Sportveranstaltungen je nach geografischer Lage das Karnevalslied ,Wir sind die Einwohner von Trizonesien` oder aber ,In München steht ein Hofbräuhaus` angestimmt. Daraufhin hätten die gegnerischen Sportler Haltung angenommen, im falschen Glauben, es handele sich um die neue deutsche Hymne.“Noch als Adenauer 1953 zum ersten Staatsbesuch in den USA in Chicago eintraf, intonierte eine Kapelle zur Begrüßung den Karnevalsschlager „Heidewitzka, Herr Kapitän“.
Doch zurück zum Nachmittag des 22. November 1950. Das Tor des Tages resultierte aus einem Handelfmeter. Herbert Burdenski – derVater von Torhüter Dieter Burdenski – traf in der 42. Minute. Er habe gar nicht schießen wollen, erzählte er später. Aber sonst eben auch keiner, da habe er eben. „Mein Tor? Also, das war so: Wir hatten ja Schlamm an dem Tag. Knietief. Da kannst beim Elfer nicht groß Anlauf nehmen, sonst bleibst nämlich stecken. Also: Ich bück mich, leg den Ball hin, zwei Schrittchen, Augen zu – und drauf!“Für den Sieg gab es vom DFB 100 Mark Prämie, und die Schweizer schenkten jedem eine Uhr.
In der Elf von Trainer Sepp Herberger an diesem Abend standen übrigens drei Spieler, die nicht einmal vier Jahre später in der Schweiz imWM-Finale gegen die Ungarn stehen sollten: Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter. Fritz Walter war verletzt. Apropos Schweiz: Dass die Eidgenossen an diesem Tag Gegner der Deutschen waren, war kein Zufall, sondern ein Akt des Dankeschöns. Ein Dank dafür, dass sich die Schweizer zuvor bei der Fifa für die
Aufnahme Westdeutschlands in die Fifa eingesetzt hatten.
Und es waren immer wieder die Schweizer, die an Markpunkten der deutschen Länderspielgeschichte als Gegner auftauchten. 1908, beim allerersten Spiel, 1920 beim ersten Länderspiel nach dem ersten Weltkrieg, eben 1950 und auch 1990, beim ersten Länderspiel einer gesamtdeutschen Mannschaft.
Geschichte wiederholt sich eben doch.