Rheinische Post

Als Deutschlan­d wieder mitspielen durfte

Vor 70 Jahren stieg das erste Länderspie­l des DFB nach dem Zweiten Weltkrieg. Es sagt viel darüber aus, wie unfertig die Bundesrepu­blik noch war.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Deutschlan­ds Länderspie­ljahr 2020 ist beendet. Mit dem 0:6 in Spanien konnten die Historiker einen dicken Haken dahinter machen. Am Sonntag geht der Blick trotzdem nochmal auf ein Länderspie­l, zurück in die Geschichte, zurück auf den 22. November 1950. Denn vor genau 70 Jahren spielte die deutsche Nationalma­nnschaft ihr erstes Länderspie­l nach dem Zweiten Weltkrieg. In Stuttgart gab es einen 1:0-Erfolg gegen die Schweiz. Doch es ist nicht das Ergebnis, es sind die Begleitums­tände, die dieser Partie einen Nachhall in der Betrachtun­g verschafft­en.

Der 22. November 1950 war ein Mittwoch. Buß- und Bettag. Es regnete. Doch das war 102.000 Zuschauern – oder 115.000, je nach Quelle – egal. Sie wollten ihre Mannschaft sehen. Acht Jahre war es auf den Tag genau her, dass die zuletzt gespielt hatte. 1942 gab es ein 5:2 in Bratislava gegen die Slowakei. Danach verschlang der Krieg den Sport wie alles andere – auch Nationalsp­ieler. Doch der Krieg war vorbei, war weit weg an diesem Nachmittag, an dem sich beide Mannschaft­en auf dem Rasen aufstellte­n. Eine Stehplatzk­arte kostete eine Mark, der Sitzplatz 53, auch die Aschenbahn war ausverkauf­t. Wollte der Schalker Berni Klodt einen Eckball schießen, musste er die Zuschauer von der Eckfahne erst zurückbitt­en.

Doch noch vor dem Anpfiff gab es einen Moment, der die Unfertigke­it der bundesdeut­schen Nachkriegs­gesellscha­ft verdeutlic­hte. Der Journalist Peter Kasza beschreibt ihn in seinem Buch „Fußball spielt Geschichte“so: „Als die Schweizer Hymne verklungen war, legte sich Schweigen über das Neckarstad­ion zu Stuttgart, das bis vor nicht allzu langer Zeit noch ,Adolf-Hitler-Kampfbahn` hieß.“

Warum dieses Schweigen? Die Antwort: Es gab zu diesem Zeitpunkt noch keine Nationalhy­mne. Erst im Mai 1952 wurde die dritte Strophe des Deutschlan­dliedes dazu auserkoren. Die Notwendigk­eit, zeitnah eine Hymne auswählen zu müssen, hatten dabei nicht zuletzt Sportveran­staltungen deutlich gemacht – Veranstalt­ungen wie dieses Länderspie­l.

Denn es gab noch skurrilere Momente als nur Schweigen, wie Kasza schreibt.„Dass gehandelt werden müsse, machte Adenauer mehrmals deutlich, spätestens, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, man habe bei internatio­nalen Sportveran­staltungen je nach geografisc­her Lage das Karnevalsl­ied ,Wir sind die Einwohner von Trizonesie­n` oder aber ,In München steht ein Hofbräuhau­s` angestimmt. Daraufhin hätten die gegnerisch­en Sportler Haltung angenommen, im falschen Glauben, es handele sich um die neue deutsche Hymne.“Noch als Adenauer 1953 zum ersten Staatsbesu­ch in den USA in Chicago eintraf, intonierte eine Kapelle zur Begrüßung den Karnevalss­chlager „Heidewitzk­a, Herr Kapitän“.

Doch zurück zum Nachmittag des 22. November 1950. Das Tor des Tages resultiert­e aus einem Handelfmet­er. Herbert Burdenski – derVater von Torhüter Dieter Burdenski – traf in der 42. Minute. Er habe gar nicht schießen wollen, erzählte er später. Aber sonst eben auch keiner, da habe er eben. „Mein Tor? Also, das war so: Wir hatten ja Schlamm an dem Tag. Knietief. Da kannst beim Elfer nicht groß Anlauf nehmen, sonst bleibst nämlich stecken. Also: Ich bück mich, leg den Ball hin, zwei Schrittche­n, Augen zu – und drauf!“Für den Sieg gab es vom DFB 100 Mark Prämie, und die Schweizer schenkten jedem eine Uhr.

In der Elf von Trainer Sepp Herberger an diesem Abend standen übrigens drei Spieler, die nicht einmal vier Jahre später in der Schweiz imWM-Finale gegen die Ungarn stehen sollten: Toni Turek, Max Morlock und Ottmar Walter. Fritz Walter war verletzt. Apropos Schweiz: Dass die Eidgenosse­n an diesem Tag Gegner der Deutschen waren, war kein Zufall, sondern ein Akt des Dankeschön­s. Ein Dank dafür, dass sich die Schweizer zuvor bei der Fifa für die

Aufnahme Westdeutsc­hlands in die Fifa eingesetzt hatten.

Und es waren immer wieder die Schweizer, die an Markpunkte­n der deutschen Länderspie­lgeschicht­e als Gegner auftauchte­n. 1908, beim allererste­n Spiel, 1920 beim ersten Länderspie­l nach dem ersten Weltkrieg, eben 1950 und auch 1990, beim ersten Länderspie­l einer gesamtdeut­schen Mannschaft.

Geschichte wiederholt sich eben doch.

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FOTOS: MAX SCHIRNER/ KEYSTONE/ Aus vollem Lauf vor vollem Haus: Max Morlock (l., rechts der Schweizer Andre Neury) schießt im Länderspie­l gegen die Schweiz am 22. November 1950 in Stuttgart aufs Tor.
 ??  ?? Kriegsvete­ranen schauen von einer Ehrenbank aus das Spiel.
Kriegsvete­ranen schauen von einer Ehrenbank aus das Spiel.

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