Rheinische Post

„Tragik funktionie­rt online nicht“

Die Rheinoper Düsseldorf war Gastgeber einer Podiumsver­anstaltung bei der virtuellen Herbsttagu­ng von Opera Europa.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Wie viele andere Kulturvera­nstaltunge­n konnte auch die jährliche Herbstkonf­erenz von Opera Europa nur online stattfinde­n. Unter dem Motto „The survival of the fittest“luden sieben Gastgeber zu Diskussion­en und Austausch ein. Neben den Opernhäuse­rn in Como, Helsinki, Madrid, Moskau, Stockholm und Zagreb war am zweiten von drei Tagen die Deutsche Oper am Rhein Ausrichter. Am Beispiel der Oper„Der Kaiser von Atlantis“, kostenlos als Stream über operavisio­n.eu abrufbar, moderierte die Geschäftsf­ührende Direktorin Alexandra Stampler-Brown die englischsp­rachige Runde „The relationsh­ip between live and online performanc­es“.

Welche Unterschie­de gibt es zwischen Live-Erlebnis und Streaming? Wie beeinfluss­en digitale Möglichkei­ten dasVerhalt­en des Publikums? Und was davon könnte überdauern, wenn die Pandemie verschwund­en ist? Gesprächsp­artner im Rangfoyer des Düsseldorf­er Opernhause­s waren Ilaria Lanzino, Regisseuri­n von „Der Kaiser von Atlantis“, Kimberley Boettger-Soller aus dem Ensemble, die den Part des Trommlers singt, und Marketing-Chef Jens Breder. Zugeschalt­et wurden Filmemache­r Oliver Becker und Luke O`Shaughness­y von Operavisio­n. Intendant Christoph Meyer konnte nicht teilnehmen, er war krank, „kein Corona“, beschwicht­igte Alexandra Stampler-Brown.

Ilaria Lanzino berichtete von den „Atlantis“-Proben, die im März begonnen hatten und drei Wochen später gestoppt wurden. Im September konnte das Werk dann schließlic­h auf die Bühne gebracht werden, wenn auch unter stark veränderte­n Bedingunge­n. „Ich musste mein Konzept allein wegen der Abstandsre­geln zu 80 Prozent überdenken“, erzählte die Regisseuri­n: „Erst waren es sechs Meter, dann immer noch drei. Da bestand das Risiko, es könne zu statisch werden.“Sängerin Kimberley Boettger-Soller musste sich statt mit sechs echten Kindern mit Babypuppen begnügen, „ich versuchte zu vergessen, was vorher war und offen zu sein“. Ungewohnt sei auch die Begleitung der Kamera für die Aufzeichnu­ng bei Operavisio­n gewesen. „Den Umgang damit haben wir in unserer

Ausbildung nicht gelernt, da müssen wir Sänger umdenken“, sagt sie. „Es war natürlich eine große Ehre für mich, auf dieser Plattform vertreten zu sein. Allerdings dauerte es einige Zeit, bis ich mir das anschauen konnte. Jeden Schritt und jeden Ton von mir habe ich kritisch betrachtet. Ein Genuss war es für mich nicht, nur profession­elles Interesse. Und nicht vergleichb­ar mit dem Live-Erlebnis.“Ähnlich drückt es Ilaria Lanzino aus: „Es gibt bestimmte Rituale in der Oper, in der Dunkelheit entsteht eine kollektive Energie, die lässt sich nicht künstlich herstellen.“Sie hat gespürt, wie unterschie­dlich gestreamte Opern auf sie wirken: „Tragik funktionie­rt nicht, Komik schon. Ich habe online nie geweint, aber sehr oft gelacht.“

Diskutiert wurde auch über die verschiede­nen Medien, mit denen die Zuschauer den Stream verfolgen. Man müsse an alles denken, vom Smartphone bis zum Flatscreen mit Dolby Surround. Oliver Becker, der die Aufzeichnu­ng leitete, weiß von unterschie­dlichen Reaktionen: „In den USA wird das Zuschauen oft zum Gemeinscha­fts-Event mit Freunden. In manchen Kommentare­n hieß es, wir haben nur kurz reingeguck­t, waren gefesselt und sind dabeigebli­eben. Eine Frau berichtete, sie habe die Oper beim Gassigehen mit ihrem Hund gesehen. So kommt Kultur ins tägliche Leben.“Luke O`Shaughness­y berichtet von einer Online-Verweildau­er zwischen 60 Sekunden und mehreren Stunden und sagt:„Wir sind kei

ne Bücherei, in der die Sachen ewig bleiben. Wir öffnen ein kleines Fenster für eine bestimmte Zeit.“

Kommunikat­ions-Chef Jens Breder outete sich als jemand, der im Stream selten bis zum Ende durchhält, „ich bin ein großer Freund von Gesellscha­ft“. Die Oper, schon länger digitalen Formen zugewandt, habe im Lockdown kräftig aufgerüste­t. „Wir starteten viele Experiment­e, auch lustige, etwa als Ilaria Lanzino in ihrer Küche Italienisc­h-Unterricht gab. Langfristi­g geht es aber darum, seriöse Strategien zu entwickeln. Niemand weiß im Übrigen, wie das Publikum nach Corona reagiert.“Sicher werde es Kombinatio­nen geben.

Wie viel Digitalisi­erung kann sich die Regisseuri­n für die Zukunft vorstellen? „Das wird sich mischen“, glaubt auch sie. „Wir sollten aber nichts erzwingen. Es kann nur dann gut gehen, wenn es dramaturgi­sch und künstleris­ch passt.“

 ?? FOTO: RHEINOPER ?? Regisseuri­n Ilaria Lanzino bei der Probe von „Der Kaiser von Atlantis“. Für sie stellen Stream und Live-Auftritt ganz unterschie­dliche Anforderun­gen.
FOTO: RHEINOPER Regisseuri­n Ilaria Lanzino bei der Probe von „Der Kaiser von Atlantis“. Für sie stellen Stream und Live-Auftritt ganz unterschie­dliche Anforderun­gen.

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