Ein ungeheuerlicher Verdacht
Ein Anästhesist der Uniklinik Essen soll laut Polizei zwei todkranke Patienten ums Leben gebracht haben. Nach übereinstimmenden Medienberichten waren die Männer, bevor sie starben, in Behandlung auf einer Covid-Station.
ESSEN Erst seit Februar sei der 44-jährige Oberarzt für das Universitätsklinikum in Essen tätig gewesen, schreibt die Pressestelle der Klinik in ihrer ersten Mitteilung am vergangenen Freitag. Schon im ersten Satz wird die Kürze des Beschäftigungsverhältnisses betont, der Name des Arztes verschwindet später von der Internetseite des Krankenhauses. Man will auf Distanz gehen von einem Fall, der den ungeheuerlichsten Verdacht aufstellt, mit dem eine Klinik überhaupt konfrontiert werden kann: Ein Arzt soll getötet haben.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 44-jährigen Oberarzt Totschlag vor. Er solle zwei „schwerstkranken Menschen vorsätzlich und rechtswidrig Medikamente in deren letzter Lebensphase verabreicht“haben, teilt die Polizei mit. Das habe zu dem Tod beider Patienten geführt. Sie waren 47 und 50 Jahre alt und starben nur einige Tage voneinander getrennt – am 13. und 17. November. Einen Tag nach dem Tod des zweiten Patienten, am Mittwoch, nahm die Polizei den Arzt fest. Eine Mordkommission ermittelt. Seit Donnerstag befindet sich der beschuldigte Arzt in Untersuchungshaft.
Die „Bild“-Zeitung hatte bereits am Freitagabend berichtet, dass die mutmaßlichen Opfer Corona-Patienten seien. Auch derWestdeutsche Rundfunk berichtet, dass der mutmaßliche Täter auf einer Covid-Station gearbeitet habe. Das bestätigten auf Anfrage weder Klinik noch Staatsanwaltschaft oder Polizei. „Er hat Patienten auf der Intensivstation behandelt“, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Ob sie an Corona erkrankt seien oder nicht, könne er nicht sagen.
Der beschuldigte Oberarzt, dessen Name unserer Redaktion bekannt ist, hat vor seinem Beschäftigungsverhältnis in Essen mehrere Jahre in einer anderen großen Universitätsklinik in Deutschland als Anästhesist gearbeitet. Der WDR berichtet, dass der Beschuldigte in Essen „schon länger psychisch auffällig“gewesen sei. Auf eine Covid-Station sei er nach mehreren Personalgesprächen versetzt worden. Der Beschuldigte selbst hat zu einem der Fälle bei der Polizei Angaben gemacht. Demnach habe er das weitere Leiden des Patienten und seiner Angehörigen beenden wollen.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz hat eine Aufarbeitung aller Sterbefälle im Umfeld des Oberarztes der Essener Uniklinik gefordert. „Da der Arzt auch in leitender Funktion war, müssen alle Sterbefälle der letzten Jahre aufgearbeitet werden, in denen der Mediziner Dienst hatte“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung.
Krankenhäuser seien auch Orte des täglichen Sterbens, sagte Brysch. „Für Täter ist deshalb die Gefahr gering, schnell überführt zu werden.“Bei tödlich verlaufenden Krankheiten sei es die Aufgabe der Ärzte, „in Abstimmung mit den Patienten leidenslindernde, palliative Hilfe beim
Sterben“zu ermöglichen. Im Fall des Oberarztes in Essen bestünden nun „berechtigte Zweifel, ob das die Motive des Mediziners waren“, sagte Brysch.
Die Universitätsklinik wollte sich zu diesem Fall während des laufenden Verfahrens nicht über ihre Pressemitteilung hinaus äußern. „Der Mediziner wurde nach Bekanntwerden des Vorfalls sofort außer Dienst gesetzt“, heißt es in der Mitteilung. Zur Aufklärung des Sachverhalts arbeite man nun vollumfänglich mit den Ermittlungsbehörden zusammen.