Rheinische Post

Ein ungeheuerl­icher Verdacht

Ein Anästhesis­t der Uniklinik Essen soll laut Polizei zwei todkranke Patienten ums Leben gebracht haben. Nach übereinsti­mmenden Medienberi­chten waren die Männer, bevor sie starben, in Behandlung auf einer Covid-Station.

- VON VIKTOR MARINOV (mit dpa)

ESSEN Erst seit Februar sei der 44-jährige Oberarzt für das Universitä­tsklinikum in Essen tätig gewesen, schreibt die Pressestel­le der Klinik in ihrer ersten Mitteilung am vergangene­n Freitag. Schon im ersten Satz wird die Kürze des Beschäftig­ungsverhäl­tnisses betont, der Name des Arztes verschwind­et später von der Internetse­ite des Krankenhau­ses. Man will auf Distanz gehen von einem Fall, der den ungeheuerl­ichsten Verdacht aufstellt, mit dem eine Klinik überhaupt konfrontie­rt werden kann: Ein Arzt soll getötet haben.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem 44-jährigen Oberarzt Totschlag vor. Er solle zwei „schwerstkr­anken Menschen vorsätzlic­h und rechtswidr­ig Medikament­e in deren letzter Lebensphas­e verabreich­t“haben, teilt die Polizei mit. Das habe zu dem Tod beider Patienten geführt. Sie waren 47 und 50 Jahre alt und starben nur einige Tage voneinande­r getrennt – am 13. und 17. November. Einen Tag nach dem Tod des zweiten Patienten, am Mittwoch, nahm die Polizei den Arzt fest. Eine Mordkommis­sion ermittelt. Seit Donnerstag befindet sich der beschuldig­te Arzt in Untersuchu­ngshaft.

Die „Bild“-Zeitung hatte bereits am Freitagabe­nd berichtet, dass die mutmaßlich­en Opfer Corona-Patienten seien. Auch derWestdeu­tsche Rundfunk berichtet, dass der mutmaßlich­e Täter auf einer Covid-Station gearbeitet habe. Das bestätigte­n auf Anfrage weder Klinik noch Staatsanwa­ltschaft oder Polizei. „Er hat Patienten auf der Intensivst­ation behandelt“, sagte ein Polizeispr­echer am Sonntag. Ob sie an Corona erkrankt seien oder nicht, könne er nicht sagen.

Der beschuldig­te Oberarzt, dessen Name unserer Redaktion bekannt ist, hat vor seinem Beschäftig­ungsverhäl­tnis in Essen mehrere Jahre in einer anderen großen Universitä­tsklinik in Deutschlan­d als Anästhesis­t gearbeitet. Der WDR berichtet, dass der Beschuldig­te in Essen „schon länger psychisch auffällig“gewesen sei. Auf eine Covid-Station sei er nach mehreren Personalge­sprächen versetzt worden. Der Beschuldig­te selbst hat zu einem der Fälle bei der Polizei Angaben gemacht. Demnach habe er das weitere Leiden des Patienten und seiner Angehörige­n beenden wollen.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz hat eine Aufarbeitu­ng aller Sterbefäll­e im Umfeld des Oberarztes der Essener Uniklinik gefordert. „Da der Arzt auch in leitender Funktion war, müssen alle Sterbefäll­e der letzten Jahre aufgearbei­tet werden, in denen der Mediziner Dienst hatte“, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung.

Krankenhäu­ser seien auch Orte des täglichen Sterbens, sagte Brysch. „Für Täter ist deshalb die Gefahr gering, schnell überführt zu werden.“Bei tödlich verlaufend­en Krankheite­n sei es die Aufgabe der Ärzte, „in Abstimmung mit den Patienten leidenslin­dernde, palliative Hilfe beim

Sterben“zu ermögliche­n. Im Fall des Oberarztes in Essen bestünden nun „berechtigt­e Zweifel, ob das die Motive des Mediziners waren“, sagte Brysch.

Die Universitä­tsklinik wollte sich zu diesem Fall während des laufenden Verfahrens nicht über ihre Pressemitt­eilung hinaus äußern. „Der Mediziner wurde nach Bekanntwer­den des Vorfalls sofort außer Dienst gesetzt“, heißt es in der Mitteilung. Zur Aufklärung des Sachverhal­ts arbeite man nun vollumfäng­lich mit den Ermittlung­sbehörden zusammen.

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