Lebensgefährliche Totenmesse
Bei der Beerdigung von Serbiens Patriarch Irinej hielten sich Tausende Trauernde nicht an die Corona-Auflagen.
BELGRAD Das Gefühl der Trauer ist oft stärker als alle irdischen Ängste vor einer Infektion. Tausende Serben drängten sich am Sonntag in und vor dem Belgrader Dom des Heiligen Sava, um den an einer Corona-Infektion gestorbenen Patriarchen Irinej I. das letzte Geleit zu geben. Weder die Bischöfe, die die mehrstündige Totenmesse für das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche leiteten, noch die meisten Gläubigen, die den Gottesdienst auf Großleinwänden verfolgten, trugen Schutzmasken.
Die Ärztevereinigung „Vereint gegen Covid“hatte vor der Trauerfeier als einem Ereignis von höchstem Risiko gewarnt – und staatliche Würdenträger, Kirchenfürsten und Gläubige dazu aufgerufen, sich verantwortlich zu verhalten. Doch obwohl die serbisch-orthodoxe Kirche vorab gelobt hatte, sich strikt an alle Vorsichtsmaßnahmen halten zu wollen, konnte davon vor allem bei der Aufbahrung des Leichnams kaum die Rede sein.
Schon am Vortag hatten zahlreiche Gläubige und Geistliche die Acrylglasscheibe über dem Antlitz des zunächst in der Kathedrale des Heiligen Michael aufgebahrten Verstorbenen und das auf dem Sarg liegende Kreuz geküsst. Eltern führten selbst ihre Kinder zum Sarg, um diesen zu küssen. Nein, sie habe vor dem Virus keine Angst, erklärte eine immerhin maskierte Gläubige: „Dies ist ein heiliger Ort. Hier hilft Gott.“
Doch in der Pandemie nur auf Gottvertrauen zu bauen, hatte sich schon zu Lebzeiten für Serbiens Patriarchen als fatal erwiesen. Am 1. November hatte der 90-jährige Irinej noch selbst die von Tausenden Gläubigen besuchte Totenmesse für den in der Kathedrale in Podgorica offen aufgebahrten, ebenfalls an den Folgen einer Covid-Infektion gestorbenen Metropoliten von Montenegro Amfilohije geleitet. Drei Tage später wurde bei ihm selbst eine Infektion festgestellt – am 20. November war er tot. Im Gegensatz zur Beerdigung in Podgorica waren am Sonntag zumindest fast alle anwesenden Politiker maskiert, aber nicht die meist hochbetagten Bischöfe. Der Belgrader Totenmesse könnten neue Tote folgen. Denn auch in Serbien steigen die Infektionszahlen rapide. Die offizielle, wenig verlässliche Zahl der Neuinfektionen pro Tag ist am Wochenende erstmals über 6000 geklettert – über ein Drittel davon wurde in Belgrad registriert. In der Hauptstadt sind alle Krankenhäuser hoffnungslos überfüllt. Hunderte warten vor den Covid-Ambulanzen stundenlang in der Kälte auf eine Untersuchung.
Ob die große Trauerfeier für noch mehr Andrang in den Spitälern sorgt, werden die nächsten Tage zeigen. Während Serbiens Presse eifrig über den Nachfolger im höchsten Amt der serbisch-orthodoxen Kirche spekuliert, müssen die aussichtsreichsten Kandidaten jetzt erst einmal abwarten, ob sie nicht selbst infiziert sind.