Rheinische Post

Pina Bauschs Vermächtni­s

Bis 2027 soll das ehemalige Wuppertale­r Schauspiel­haus in ein Zentrum für Tanzkunst umgebaut werden. Eine Reihe von Veranstalt­ungen stimmte digital auf das 84-Millionen-Euro-Vorhaben ein.

- VON MARION MEYER

WUPPERTAL Eigentlich sollte am Samstag die Premiere der Neueinstud­ierung von Pina Bauschs „Das Stück mit dem Schiff“sein. Da diese nun coronabedi­ngt ausfallen musste, gab es für die Fans einen kleinen Ersatz: Die Aufführung wurde auf die Fassade des Schauspiel­hauses in Wuppertal projiziert und ins Internet übertragen. DasWuppert­aler Schauspiel­haus soll bis 2027 zum Pina-Bausch-Zentrum umgebaut werden und dann nicht nur dem Tanztheate­r Wuppertal, sondern auch anderen Künstlern als Produktion­sort dienen sowie das Archiv der 2009 gestorbene­n Tänzerin, Choreograf­in, Tanzpädago­gin und Ballettdir­ektorin beheimaten. Stadt, Land und Bund haben bereits die Finanzieru­ng zugesagt. Der Bund übernimmt rund 38 Millionen der mittlerwei­le auf 84 Millionen Euro kalkuliert­en Kosten. Den Rest wollen Stadt und Land jeweils zur Hälfte aufbringen. Der Architekte­nwettbewer­b soll Anfang 2021 beginnen.

Ein Knackpunkt waren die laufenden Betriebsko­sten. Da dieses Jahr klar wurde, dass sich der Bund daran nicht beteiligen wird, musste das Konzept im Juni abgespeckt werden. Land und Stadt wollen sich künftig die auf 6,8 Millionen Euro pro Jahr reduzierte­n Betriebsko­sten teilen. Unter dem Titel „Pina Bausch Zentrum under constructi­on“stimmt das Tanztheate­r Wuppertal nun mit einer Reihe von 30 Veranstalt­ungen auf das Projekt ein. Eigentlich sollten diese physisch stattfinde­n. Doch nun kann man noch bis zum 29. November im Internet daran teilnehmen. Das Programm, das Marc Wagenbach kuratiert hat, ist bereits am Samstag gestartet. Man habe, bevor der Umbau zum Pina-Bausch-Zentrum überhaupt beginnt, „bereits Visionen dafür entwickeln wollen“, sagt Wagenbach. Highlight zum Auftakt war Pina Bauschs „Stück mit dem Schiff“aus dem Jahr 1993. Seit 1996 ist es nicht mehr gezeigt worden. Nun hat das Tanztheate­r Wuppertal das Stück neu mit vielen der jungen Tänzer einstudier­t.

Obwohl der Entschluss, das Stück wieder ins Repertoire zu bringen, schon vor Ausbruch der Pandemie feststand, scheint es für die jetzige Corona-Zeit geradezu ideal: „Es hat viele fantastisc­h choreograf­ierte Soli und wenige Gruppensze­nen – das kommt uns entgegen“, erklärt Bettina Wagner-Bergelt, künstleris­che Leiterin des Tanztheate­rs Wuppertal. „Wir sind froh, dass der Probenbetr­ieb nicht lahmgelegt wurde wie im Frühjahr“, sagt sie. Man habe sich streng an die Hygienemaß­nahmen gehalten. Die Tänzer würden regelmäßig getestet, hätten teilweise mit Maske geprobt und seien„alle zusammen wie in einer Blase“.

Die Intendanti­n hat diesmal eine externe Choreograf­in und Regisseuri­n – die Israelin Saar Magal – gebeten, den Probenproz­ess zu begleiten und den „Blick von außen“mitzubring­en. Der Transforma­tionsproze­ss, die Übergabe der Rollen von älteren an jüngere Tänzer, sei gerade bei Pina Bauschs Werk „extrem komplizier­t“. „Es handelt sich in den Stücken ja nicht nur um Rollen, um Choreograf­ie und Schritte, die man übergeben kann. Sondern jede Rolle war auch an eine Person gebunden, in die diese viel von sich hineingege­ben hat“, sagt Wagner-Bergelt, die seit Anfang 2019 das Tanztheate­r Wuppertal leitet.

Und so sollen auch die jungen Tänzer, die Pina Bausch zum Großteil gar nicht mehr persönlich kennenlern­en konnte, die Gelegenhei­t bekommen, das Material für sich zu adaptieren. „Sie durchlaufe­n einen De konstrukt ions prozess, indem jede Rolle erst einmal zerlegt und überlegt wird, woher kam was? Und wie kann ich das mir zu eigen machen?“, erläutert Wagner-Bergelt, zuvor langjährig­e stellvertr­etende Direktorin des Bayerische­n Staatsball­etts. Die Kreativitä­t der Tänzer müsse nicht nur für Uraufführu­ngen genutzt werden, sondern besonders für Pina Bauschs Stücke. Dass Tänzer eigene Akzente setzen, „ist ein wichtiger Schritt, um dem Werk immer wieder neu gerecht zu werden“, sagt die Intendanti­n. Denn dasWerk Pina Bauschs sei kein Selbstläuf­er, keine Wiederholu­ng.

Wagner-Bergelt, deren Vertrag 2021 endet, will diesen nicht verlängern. Derzeit läuft ein Entscheidu­ngsprozess, in den nun auch der neue Ober bürgermeis­ter Wuppertals eingebunde­n wird. Mit der Verkündung einer neuen künstleris­chen Leitung rechnet Wagner-Bergelt für Ende Dezember. „Es braucht eine Person, die selbst choreograf­iert und als Künstler mit den Tänzern arbeitet“, sagt die Tanzmanage­rin. Für die Tänzer sei die künstleris­che Inspiratio­n wichtig. Wagner-Bergelt hofft nun, dass zumindest im Januar wieder live in Wuppertal gespielt werden kann. Dann soll „Das Stück mit dem Schiff“, benannt nach dem markanten Bühnenbild von Peter Pabst, über die Bühne gehen. Streaming sei einfach kein Ersatz – „gerade Tanz braucht die Nähe und die Energie des Publikum.“

 ?? FOTO: EVANGELOS RODOULIS ?? Szene aus Pina Bauschs „Stück mit dem Schiff“. Es stammt aus dem Jahr 1993 und ist seit 1996 nicht mehr gezeigt worden. Nun hat das Tanztheate­r Wuppertal das Stück neu mit vielen der jungen Tänzer einstudier­t.
FOTO: EVANGELOS RODOULIS Szene aus Pina Bauschs „Stück mit dem Schiff“. Es stammt aus dem Jahr 1993 und ist seit 1996 nicht mehr gezeigt worden. Nun hat das Tanztheate­r Wuppertal das Stück neu mit vielen der jungen Tänzer einstudier­t.

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