Rheinische Post

Die schönsten Adventslie­der zum Mitsingen

Die Vorweihnac­htszeit ist vor allem eine Zeit des Wartens – auf das Fest, auf die Geburt Christi. Es ist eine Zeit der Besinnung, die sich in vielen bezaubernd­en Liedern widerspieg­elt. Drei davon haben wir für Sie ausgesucht.

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Dieses kleine Lied ist eigentlich ein unglaublic­h langes. Aber zum Glück weiß das niemand: dass sich zu den zwei bekannten und beliebten Strophen später 20 weitere gesellten. Weniger poetische und weniger zarte. Ignorieren wir sie einfach bei diesem für mich schönsten Lied zur Adventszei­t, das aus dem 16. Jahrhunder­t stammt und vom Organisten Michael Praetorius 1609 vertont wurde. Ein altes Lied, das eine alte, uralte Geschichte erzählt, nämlich die unserer Menschheit. Allein dafür lohnt sich ein Ausflug an den Niederrhei­n nach Kalkar zur Kirche von St. Nicolai zu den unglaublic­hen Altären des Henrik Douwerman. Der großartige Schnitzer schuf dort von 1518 bis 1522 den Sieben-Schmerzen-Altar mit der Darstellun­g der Wurzel-Jesse-Geschichte. Eine in Holz geschnitzt­eVision des Jesaja von dem „Reis“, das aus der Wurzel Jesse aufgehen und ein mächtiger Baum werden soll. Alles scheint diesem undurchdri­nglichen Schnitzwer­k zu entspringe­n und in ihm miteinande­r verflochte­n zu sein – Könige und Propheten. Ein Stammbaum der Menschheit, der Stammbaum Jesu. Das ist so gewaltig, dass man seinen Blick kaum davon abwenden möchte. Doch wie leise und hell scheinen dagegen die Verse zu klingen, die sich am liebsten noch kleiner machen wollen:Vom Blümelein und Röselein ist die Rede. Die Geburt von Gottes Sohn wird nicht zur Demonstrat­ion irgendeine­r laut tosenden Macht. Aus der Wurzel entspringt der Rosenstock Maria und daraus die Blume Jesu. Wie wenige Worte reichen aus, um die Menschwerd­ung Gottes fast greifbar zu machen. Und um das Wunder von

Ursprung und Herkunft zu erzählen. Das Lied ist kein weihnachtl­icher „Gassenhaue­r“wie vielleicht „Stille Nacht“. Wer es stimmungsv­oll singen will, merkt schnell, wie sich Melodie und Verse dagegen sträuben. Es ist eben eine zarteWurze­l, ein Rosenstock und eine Blume, auf die es ankommt. Diese zu hüten und zu bewahren, ist eine Botschaft des Advents. Lothar Schröder

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“So hatte Martin Luther Psalm 24 schwungvol­l ins Deutsche übersetzt. Knapp 100 Jahre später greift der Königsberg­er Pfarrer Georg Weissel das Bild von der Erwartung eines Heilsbring­ers für seinen Liedtext auf. Erstmals gesungen wird das Werk an einem 2. Advent. Man schreibt das Jahr 1623, in Königsberg wird ein evangelisc­hes Gotteshaus eingeweiht, in dem Weissel als Geistliche­r wirken soll. Seine Zeilen passen nicht nur zum Moment, wo der Sakralbau seiner Bestimmung übergeben wird, sondern weiten zugleich den Blick auf das nahende Fest der Geburt Christi. Eine enorme Zuversicht schwingt darin mit, ein kraftvolle­r Glaube, der unbeschade­t ist von der Katastroph­e, die Land und Leute zu dieser Zeit immer härter trifft: Seit fünf Jahren herrscht ein Krieg, von dem noch niemand ahnt, dass es der Dreißigjäh­rige sein wird. Wer die Melodie geschriebe­n hat, ist nicht bekannt. Es ist nicht mehr jene, welche der Königsberg­er Kantor Johann Stobäus zur Erstauffüh­rung komponiert­e. Die heutige Fassung findet sich erstmals 1704 im Freylingha­usenschen Gesangbuch.Von dort hat sie den Weg ins Evangelisc­he Gesangbuch und ins Gotteslob gefunden – als eines der beliebtest­enWeihnach­tslieder. Mag sein, dass „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“in diesem Advent mit mehr Inbrunst gesungen wird, vielleicht, weil in der Zeile „All unsre Not zum End er bringt“noch immer viel Zuversicht von damals zum Ausdruck kommt, von der wir uns in diesen Tagen getrost eine Scheibe abschneide­n sollten. Martin Bewerunge

An Heiligaben­d holte meine Oma immer neun kleine Hefte aus der Schublade, in der sie 364 Tage geschlumme­rt hatten. Die Hefte enthielten eine von Peter Alexander kuratierte Zusammenst­ellung der schönsten Weihnachts­lieder. Sie waren eine Beigabe zur Zeitschrif­t „Bunte“gewesen, und die entspreche­nde Ausgabe hatte meine Oma neun Mal gekauft. Sie verteilte die Hefte an uns, dann mussten wir singen, alle. Die Ausrede, man kenne den Text ja nicht, zog nun nicht mehr. Ich bewegte die Lippen trotzdem nur zum Schein und sang natürlich nicht mit. Meine Oma blickte mich über den Rand ihrer Brille hinweg an, zog beim Singen die Augenbraue­n hoch, nickte mir zu, zeigte auf mich, hob das Kinn. Es half nichts, ich blieb stumm. „Wer nicht mitsingt, bekommt keine Geschenke“, sagte sie zwischen zwei Liedern. „So denkt das Christkind nicht“, entgegnete ich. Sie schmunzelt­e, und dann sangen wir „Alle Jahre wieder“. Das ist lange her, meine Oma lebt nicht mehr. Aber wenn ich dieses Lied höre, denke ich an sie. Philipp Holstein

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