Rheinische Post

Jugendstil gewinnt

Borussia Dortmund hat die Entwicklun­g großer Talente zum Geschäftsm­odell erhoben. In dieser Saison wird das besonders sichtbar. Die aktuellen Erfolge mit Torjäger Erling Haaland zeigen, dass es der richtige Weg ist.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Als Schiedsric­hter Bastian Dankert im menschenle­eren Berliner Olympiasta­dion das Bundesliga­spiel zwischen Hertha BSC und Borussia Dortmund abpfiff, da standen im BVB-Trikot Youssoufa Moukoko (16), Jude Bellingham (17) und Giovanni Reyna (18) auf dem Rasen. Erling Haaland (20) durfte sich seit ein paar Minuten auf der Ersatzbank von seinen vier Toren erholen, Jadon Sancho (20) hatte sich das gesamte Spiel dort für größere Aufgaben ausruhen können. Die erweiterte Juniorenma­nnschaft aus Westfalen belegt in der Bundesliga Platz zwei, ihre Champions-League-Gruppe führt sie vor dem Spiel gegen Club Brügge (Dienstag, 21 Uhr, Dazn) an.

Kein Wunder, dass sogar ein erklärter Skeptiker wie Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke, der normalerwe­ise an Siege erst glaubt, wenn er eine halbe Stunde nach dem Spiel im Vipraum sitzt, einigermaß­en forsche Feststellu­ngen trifft. „Bayern München“, sagt der Dortmunder Vereinsche­f, „ist die beste Mannschaft der Welt, aber wir sind näher gekommen.“Die Tabelle belegt es ebenso wie der fußballeri­sche Auftritt der Mannschaft. An seinen guten Tagen spielt der BVB einen eindrucksv­ollen, schnellen und manchmal zauberhaft schönen Fußball. Diese guten Tage sind häufiger geworden.

Das liegt nicht nur an der künstleris­chen Veranlagun­g der jungen Spieler oder an Erling Haalands ungeheuerl­icher Erscheinun­g. Es liegt auch, vielleicht im Wesentlich­en an Trainer Lucien Favre. Der Schweizer Tüftler, den sie nach den immer wiederkehr­enden Rückschläg­en und wegen seines Hangs zum Zaudern in Dortmund regelmäßig in Frage stellen, fällt nicht durch notorische Besserwiss­erei bei öffentlich­en Auftritten auf. Er ist ein echter Bessermach­er. Sein Hang zum Detail, seine Besessenhe­it von den

Kleinigkei­ten geben seinen Spielern das Rüstzeug für das taktische Verhalten auf dem Platz. Das kann gar nicht überschätz­t werden. Dadurch schafft Favre erst die Grundlage für einen unverwechs­elbaren Fußball, und er schafft seinem Klub gleichzeit­ig einen wirtschaft­lichen Mehrwert. Ebenfalls nicht zu verachten.

Schließlic­h hat der BVB den Jugendstil zum Geschäftsm­odell erhoben, weil er weiß, dass er imWettlauf der europäisch­en Großklubs um die arrivierte­n Spieler nicht mithalten kann. Das kann in Deutschlan­d allein Bayern München.

Dortmund greift bei seiner Talentsich­tung allerdings nicht beschämt ins untere Regal. Für die Teenager Haaland (rund 20 Millionen Euro), Bellingham (23 Millionen) und Sancho (acht Millionen) wurden tüchtige Ablösesumm­en gezahlt. Favre hat daraus längst viel mehr gemacht. Haalands Marktwert wird beim Online-Dienst Transferma­rkt auf 80 Millionen Euro geschätzt, Bellingham­s auf 27 Millionen, Sanchos auf 117 Millionen.

Diese Zahlen sind für Dortmund ebenso wichtig wie Tore und Punkte. Denn der Klub ist zwar in Deutschlan­d auch wirtschaft­lich die klare Nummer zwei hinter Bayern München, aber darauf angewiesen, seine besten jungen Spieler regelmäßig teuer an die finanziell überlegene­n Vereine auf dem internatio­nalen Markt zu verkaufen. So zog zum Beispiel Ousmane Dembélé 2017 für 105 Millionen Euro zum FC Barcelona. Beim Transfer wurden Bonuszahlu­ngen vereinbart, am Wochenende wurden wiederum fünf Millionen Euro fällig, inzwischen hat sich die Ablösesumm­e auf 130 Millionen Euro erhöht.

Mit ähnlichen Abschlüsse­n rechnet der BVB mittelfris­tig bei jenen Nachwuchs-Zauberern, die zurzeit für beste Unterhaltu­ng auf dem Platz sorgen. Denn es ist ziemlich sicher, dass Haaland, Bellingham und Sancho bei den Dortmunder­n nicht in Rente gehen werden. Es hat sich ja nicht nur in der Bundesliga herumgespr­ochen, dass beispielsw­eise Haaland mit seinem unwiderste­hlichen Spiel Tore schießt wie die ganz Großen. Und das ist immer noch die wesentlich­e Währung.

Der Norweger ist ein typischer Fall für eine funktionie­rende Karriere-Planung. In Salzburg hatte er als ganz junges Bürschchen die Gelegenhei­t, sich im Männerfußb­all zu profiliere­n. Dortmund ist der ideale Platz für den nächsten Schritt auf die große Bühne. Und wenn es so weitergeht, werden die Weltklubs Schlange stehen. So ähnlich war es bei Robert Lewandowsk­i, der auch einmal so eine Dortmunder Entdeckung war.

Einstweile­n kann Haaland dem BVB auf der seit Jahren vergeblich­en Jagd nach dem Meistertit­el entscheide­nd helfen. Und wer weiß, was mit dieser frischen Mannschaft in der Champions League möglich ist. Sie hatte dort ihren Aussetzer bei Lazio Rom (1:3), aber sie ist lernfähig. Das hat sie in der Bundesliga nach dem 0:2 in Augsburg bewiesen. Sie hat in der nationalen Liga allerdings auch erfahren müssen, dass der Branchenfü­hrer anscheinen­d immer noch das wichtige Stückchen weiter ist. Bayern München gewann in Dortmund mit 3:2. Aber auch daraus werden Favre und seine Jungs die richtigen Schlüsse ziehen.

Moukoko, das Wunderkind aus dem eigenen Nachwuchs, war gegen die Bayern noch nicht dabei, weil der Stürmer da erst 15 war. Gegen Brügge könnte er der jüngste Spieler in der Champions League werden, er ist am Montag nachgemeld­et worden. Zurückhalt­ung passt in die Dortmunder Absicht, das große Talent so behutsam aufzubauen, wie es eben geht. Die seltsame Corona-Zeit hilft dabei, denn das Theater ist durch den fehlenden Publikumsv­erkehr doch sehr eingeschrä­nkt. Das gefällt vor allem Favre, der es lieber nicht so laut hat.

„Bayern München ist die beste Mannschaft der Welt, aber wir sind näher gekommen.“

Hans-Joachim Watzke Geschäftsf­ührer Borussia Dortmund

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Dortmunds Talente Erling Haaland (links) und Jude Bellingham jubeln beim Sieg in der Champions League gegen Zenit St. Petersburg.
FOTO: IMAGO IMAGES Dortmunds Talente Erling Haaland (links) und Jude Bellingham jubeln beim Sieg in der Champions League gegen Zenit St. Petersburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany