Wie man im Park badet
Eine Stunde in der Natur hilft gegen die Corona-Melancholie. Noch beruhigender als Spazierengehen ist Waldbaden, sagt Forstwissenschaftlerin Ana Erika Dittrich. Das geht im Park genauso gut – im Winter sogar ein wenig besser.
DÜSSELDORF Wenn Ana Erika Dittrich in den Wald oder in den Park geht, dann wandert sie nicht, sie geht auch nicht spazieren, sondern sie badet. Mit allen Sinnen taucht sie ein in die grüne Umgebung, betrachtet die Farben der Blätter und Beeren, ertastet die Baumrinde mit ihren Fingern, saugt den Duft der Tannennadeln auf, hört dem Gesang der Rotkelchen und dem Klopfen des Spechts zu. Jeden Tag, sagt die Forstwissenschaftlerin, begibt sie sich raus in die Natur zum Waldbaden. Wie wichtig dieser Ausgleich ist, wird gerade jetzt im Teil-Lockdown vielen Menschen bewusst, wenn sie von zuhause arbeiten und in ihrer Freizeit in die Natur streben. „Sich draußen aufzuhalten, ist immer eine gute Entscheidung“, sagt die Düsseldorferin. Dennoch könne man dabei auch einiges falsch machen.
Es beginnt schon bei der Unterscheidung zwischen Wandern, Spazieren gehen und Waldbaden. Wandern, sagt die Forstwissenschaftlerin, sei viel zu schnell, um die Umgebung richtig wahrzunehmen. Und selbst beim langsamen Spaziergang bewege man sich zu unaufmerksam durch die Natur. Der Spaziergänger nimmt vielleicht den Hund wahr, der über die Wiese läuft, und das Pärchen, das auf der Bank sitzt, nicht aber die Natur. BeimWaldbaden hingegen, sagt Ana Erika Dittrich, geht es darum, ganz bewusst alle Sinne zu erwecken.
Dafür muss man vor allem eines sein: alleine. Wer zu zweit durch den Park spaziert und sich dabei unterhält, könne sich nicht auf die Natur konzentrieren, sagt Ana Erika Dittrich. Und wer dann alleine durchs Grün läuft, darf sich nicht scheuen,
zwischendurch stehenzubleiben und die Pflanzen zu betrachten, an Blüten und Laub zu riechen, Baumrinde mit einer Lupe zu inspizieren und auch mal die Augen zu schließen und die Finger über die Äste und Blätter fahren zu lassen.
Dafür sollten Wald- oder Parkbadende mindestens eine Stunde einplanen, um anfangs einen Effekt zu spüren, rät Ana Erika Dittrich. Wer schon geübt ist, dem reichen auch 20 Minuten, um in der Natur runterzufahren, sagt die Försterin. Dennoch gilt für alle, egal ob Anfänger oder Profi, dass das Handy zuhause bleiben muss oder zumindest ausgeschaltet wird.
Wer Ruhe sucht in der Natur, muss dafür aber nicht weit fahren. Baden muss man nicht zwangsläufig in einem menschenleeren Wald, es geht fast genauso gut in einem der Düsseldorfer Parks. Natürlich müsse man hier auch mit Eindrücken rechnen, vor denen man im Wald verschont bleibt: Hundegebell, andere Spaziergänger, Autos von der Straße. „Der Park hat nicht genau denselben Effekt wie der Wald. Aber er kommt sehr nahe dran.“
ImWinter kann das Baden im Park sogar von Vorteil sein. Während die Laubbäume im Wald nämlich ihre Blätter verloren, ihre Systeme und den Gasaustausch heruntergefahren haben, finden sich in Parks viele immergrüne Pflanzen, die auch imWinter aktiv sind.„Wenn wir diese Mikroorganismen einatmen, steigern sie bei uns Menschen die Laune, die Aktivität und stärken unser Immunsystem“, sagt Dittrich. Das heißt, regelmäßige Besuche in der Natur können auch Krankheiten vorbeugen. Gesund sei das Waldoder Parkbaden allemal. Die Herzfrequenz fährt runter, die Atmung verlangsamt sich, der Cortisolspiegel – also das Stresshormon – sinkt, sagt die Försterin. Gut für den Körper ebenso wie für den Kopf. „Man kommt mit vielen Gedanken in den Wald und kommt ohne wieder raus.“
Ihr selbst sei das langsame, bewusste Fortbewegen anfangs auch schwer gefallen, sagt Ana Erika Dittrich. „Ich bin eine aktive Frau, rede schnell, habe brasilianisches Temperament“, sagt sie. „Ich war überrascht, wie sehr man in der Natur runterkommt. Das hat mein Leben bereichert.“Vorher habe sie als Försterin den Wald mit professionellem Auge gesehen – kranke Bäume, Hitzeschäden, Wildverbiss. „Jetzt gehe ich ganz anders in denWald. Es kommt selten vor, dass ich keinen Baum streichel.“
Wer sich ein Stück Natur mit nach Hause oder an den Schreibtisch holen will, kann sich ein Duftglas zusammenstellen. Gefüllt mit Blättern, Tannenzapfen und Moos, beträufelt mit ätherischen Ölen aus Hölzern, kann man sich damit zurück in den Wald riechen.