Insolvenzen drohen wegen später Hilfe
Auch Unternehmer im Lockdown müssen zum Monatswechsel Gehälter und Mieten zahlen, die Rücklagen sind aber oft aufgebraucht.
Auch Unternehmer müssen im Lockdown zum Monatswechsel Gehälter und Mieten zahlen. Die Rücklagen sind aber oft aufgebraucht.
DÜSSELDORF Die November-Hilfen für besonders vom Lockdown betroffene Unternehmen könnte für manche von ihnen zu spät kommen. Denn bis Dienstag waren die staatlichen Finanzhilfen immer noch nicht beantragbar, möglicherweise geht das ab Mittwoch. Wie schnell die Auszahlung erfolgt, ist offen. Gleichzeitig müssen Gastronomen, Hoteliers oder Betreiber von Freizeitstätten zum Monatswechsel Gehälter zahlen oder Kurzarbeitergeld vorstrecken, Mieten oder Pachten müssen überwiesen werden.
Alarm schlägt etwa die Steuerberaterin Julia Fröhlich. Zu ihren Klienten zählen mehrere Gastronomen und eine Kosmetikerin, die jetzt nicht mehr weiter wüssten. Das Problem: Die Insolvenzantragspflicht besteht wieder, wenn es zur Zahlungsunfähigkeit kommt. Und die in Aussicht stehenden November-Hilfen dürften nicht vorher gegengerechnet werden. „Das ist eine katastrophale Situation.“
Hinzu kommt: Obwohl in den meisten Fällen 75 Prozent der Novemberumsätze aus dem Vorjahr erstattet werden sollen, sind zunächst schnelle Abschlagszahlungen von maximal 10.000 Euro vom Bund angekündigt, bis der genaue Anspruch der Unternehmen ermittelt ist. „Das reicht für viele Unternehmen aber nicht“, sagt Fröhlich.
Sie fordert, dass die Politik Regeln aufstellt, die das Überleben der unverschuldet in diese Situation geratenen Unternehmen sichert. So müsse die Agentur für Arbeit verpflichtet werden, das Kurzarbeitergeld innerhalb von 48 Stunden zu ersetzen. Vermieter sollten Stundungen ermöglichen müssen, wenn es der Mieter wünscht.
Auch Thomas Kolaric, Geschäftsführer des Dehoga im Regierungsbezirk Düsseldorf, kennt die Problematik. „Da machen sich viele große Sorgen.“Und das gelte auch für die Steuerberater, die bei einer strafbaren Verschleppung einer Insolvenz eines Mandanten mit zur Verantwortung gezogen werden könnten. Dabei sei mit Blick auf die unklaren Auszahlungsmodalitäten der November-Hilfe aktuell keine realistische Prognose möglich, ob die Drei-Wochen-Frist für Zahlungsunfähigkeit überschritten werde. „Das kann knapp werden.“Und wenn zum Beispiel die Miete nicht überwiesen werde, könne die Kündigung des Vermieters folgen. Der eine Zeit lang geltende Corona-Kündigungsschutz existiert nicht mehr. Noch größer sei das Problem, wenn Mitarbeiter nicht mehr bezahlt werden könnten. „Nach acht Monaten Pandemie sind die Rücklagen bei vielen Unternehmen aufgebraucht.“
Zumal einige horrende Summen in Hygienekonzepte oder Winterterrassen investiert haben. Ein Gastronom aus Derendorf, der anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt), spricht von 10.000 Euro. Dass die November-Hilfe noch nicht zu beantragen ist, findet er„mehr als schwer enttäuschend“. Von schneller und unbürokratischer
Hilfe könne keine Rede sein, wie es die Bundesregierung schildert. Er habe erwartet, dass Geld bis Mitte November auf dem Konto zu haben. Die Umsätze aus dem Vorjahr lägen ja auch bei den Finanzämtern vor.Vom„IT-Entwicklungsland Deutschland“spricht er mit Blick auf die zu programmierende Plattform für die Anträge.
Er werde eine Insolvenz mit Rücklagen und zur Not privatem Geld vermeiden können.Viele seiner Kollegen könnten das nicht mehr. Zumal bereits in Vormonaten gestundete Mieten fällig seien. „Diesem mentalen Druck wollen und können sich viele nicht mehr aussetzen.“
Die Ungewissheit sei für ihn das größte Problem. Er wünsche sich langfristigere Ansagen der Politik. Dann könne er überlegen, ob es sich lohne, noch mehr ins Take-AwayGeschäft zu investieren, etwa mit einem Webshop. Auch die Urlaubsplanung ließe sich besser gestalten sowie die gesamte Finanzplanung.
Auch der Geschäftsführer einer Freizeitstätte mit Start-up-Charakter kritisiert, dass keine langfristigen unternehmerischen Entscheidungen möglich seien. Er beschreibt ein „emotionales Ping-Pong-Spiel.“ImVertrauen auf die November-Hilfe habe man studentische Hilfskräfte gehalten, jetzt würden die Löhne fällig. „Wenn die Hilfe nicht rechtzeitig kommt, stecken wir in der Zwickmühle.“Von „ganz dünnem Eis“spricht er im Hinblick auf drohende Zahlungsunfähigkeit. Die Rücklagen des Betriebs mit rund zehn Mitarbeitern seien mittlerweile zu einer vierstelligen Summe geschrumpft.
Erschwerend hinzu komme, dass Ende Oktober abgerechnete Beträge für Programmierungsaufträge, die als Kompensation für den runtergefahrenen Betrieb angenommen wurden, im November fließen sollten. Das würde aber die November-Hilfe schmälern. Schon im Mai sei der Antrag auf Überbrückungshilfe gescheitert, da dort ein höherer Betrag eingegangen sei. Dabei sei man als Start-up noch nicht in der Gewinnzone angekommen. „Wir fühlen uns mit dem Rücken zur Wand, da wir bei den Hilfen ständig durchs Rost gefallen sind.“
Von nicht geahnten Untiefen im Sammelsurium der staatlichen Hilfen weiß auch Haakon Herbst zu berichten. Der Gründer und Geschäftsführer der Hotel-Friends-Group und Leiter des Hotelverbands HSMA hat auf Anraten seiner Bank ein KfW-Darlehen für seine Häuser in Köln und Düsseldorf in Höhe von 800.000 Euro aufgenommen. Dann musste er feststellen, dass sich damit keine Überbrückungshilfen mehr beantragen ließen. „Faktisch stehen wir bis auf die Soforthilfen ohne staatliche Zuschüsse da.“
Für sein Haus mit 40 Zimmern am Worringer Platz sagt er, dass er ohne das Entgegenkommen des Vermieters halb in der Zahlungsunfähigkeit stecken würde. Und: „Keiner weiß, was in vier Wochen ist.“Seine Prognose ist, dass es bald 50 Hotels in Düsseldorf und naher Umgebung weniger geben wird.