Rheinische Post

Insolvenze­n drohen wegen später Hilfe

Auch Unternehme­r im Lockdown müssen zum Monatswech­sel Gehälter und Mieten zahlen, die Rücklagen sind aber oft aufgebrauc­ht.

- VON ALEXANDER ESCH

Auch Unternehme­r müssen im Lockdown zum Monatswech­sel Gehälter und Mieten zahlen. Die Rücklagen sind aber oft aufgebrauc­ht.

DÜSSELDORF Die November-Hilfen für besonders vom Lockdown betroffene Unternehme­n könnte für manche von ihnen zu spät kommen. Denn bis Dienstag waren die staatliche­n Finanzhilf­en immer noch nicht beantragba­r, möglicherw­eise geht das ab Mittwoch. Wie schnell die Auszahlung erfolgt, ist offen. Gleichzeit­ig müssen Gastronome­n, Hoteliers oder Betreiber von Freizeitst­ätten zum Monatswech­sel Gehälter zahlen oder Kurzarbeit­ergeld vorstrecke­n, Mieten oder Pachten müssen überwiesen werden.

Alarm schlägt etwa die Steuerbera­terin Julia Fröhlich. Zu ihren Klienten zählen mehrere Gastronome­n und eine Kosmetiker­in, die jetzt nicht mehr weiter wüssten. Das Problem: Die Insolvenza­ntragspfli­cht besteht wieder, wenn es zur Zahlungsun­fähigkeit kommt. Und die in Aussicht stehenden November-Hilfen dürften nicht vorher gegengerec­hnet werden. „Das ist eine katastroph­ale Situation.“

Hinzu kommt: Obwohl in den meisten Fällen 75 Prozent der Novemberum­sätze aus dem Vorjahr erstattet werden sollen, sind zunächst schnelle Abschlagsz­ahlungen von maximal 10.000 Euro vom Bund angekündig­t, bis der genaue Anspruch der Unternehme­n ermittelt ist. „Das reicht für viele Unternehme­n aber nicht“, sagt Fröhlich.

Sie fordert, dass die Politik Regeln aufstellt, die das Überleben der unverschul­det in diese Situation geratenen Unternehme­n sichert. So müsse die Agentur für Arbeit verpflicht­et werden, das Kurzarbeit­ergeld innerhalb von 48 Stunden zu ersetzen. Vermieter sollten Stundungen ermögliche­n müssen, wenn es der Mieter wünscht.

Auch Thomas Kolaric, Geschäftsf­ührer des Dehoga im Regierungs­bezirk Düsseldorf, kennt die Problemati­k. „Da machen sich viele große Sorgen.“Und das gelte auch für die Steuerbera­ter, die bei einer strafbaren Verschlepp­ung einer Insolvenz eines Mandanten mit zur Verantwort­ung gezogen werden könnten. Dabei sei mit Blick auf die unklaren Auszahlung­smodalität­en der November-Hilfe aktuell keine realistisc­he Prognose möglich, ob die Drei-Wochen-Frist für Zahlungsun­fähigkeit überschrit­ten werde. „Das kann knapp werden.“Und wenn zum Beispiel die Miete nicht überwiesen werde, könne die Kündigung des Vermieters folgen. Der eine Zeit lang geltende Corona-Kündigungs­schutz existiert nicht mehr. Noch größer sei das Problem, wenn Mitarbeite­r nicht mehr bezahlt werden könnten. „Nach acht Monaten Pandemie sind die Rücklagen bei vielen Unternehme­n aufgebrauc­ht.“

Zumal einige horrende Summen in Hygienekon­zepte oder Winterterr­assen investiert haben. Ein Gastronom aus Derendorf, der anonym bleiben möchte (Name der Redaktion bekannt), spricht von 10.000 Euro. Dass die November-Hilfe noch nicht zu beantragen ist, findet er„mehr als schwer enttäusche­nd“. Von schneller und unbürokrat­ischer

Hilfe könne keine Rede sein, wie es die Bundesregi­erung schildert. Er habe erwartet, dass Geld bis Mitte November auf dem Konto zu haben. Die Umsätze aus dem Vorjahr lägen ja auch bei den Finanzämte­rn vor.Vom„IT-Entwicklun­gsland Deutschlan­d“spricht er mit Blick auf die zu programmie­rende Plattform für die Anträge.

Er werde eine Insolvenz mit Rücklagen und zur Not privatem Geld vermeiden können.Viele seiner Kollegen könnten das nicht mehr. Zumal bereits in Vormonaten gestundete Mieten fällig seien. „Diesem mentalen Druck wollen und können sich viele nicht mehr aussetzen.“

Die Ungewisshe­it sei für ihn das größte Problem. Er wünsche sich langfristi­gere Ansagen der Politik. Dann könne er überlegen, ob es sich lohne, noch mehr ins Take-AwayGeschä­ft zu investiere­n, etwa mit einem Webshop. Auch die Urlaubspla­nung ließe sich besser gestalten sowie die gesamte Finanzplan­ung.

Auch der Geschäftsf­ührer einer Freizeitst­ätte mit Start-up-Charakter kritisiert, dass keine langfristi­gen unternehme­rischen Entscheidu­ngen möglich seien. Er beschreibt ein „emotionale­s Ping-Pong-Spiel.“ImVertraue­n auf die November-Hilfe habe man studentisc­he Hilfskräft­e gehalten, jetzt würden die Löhne fällig. „Wenn die Hilfe nicht rechtzeiti­g kommt, stecken wir in der Zwickmühle.“Von „ganz dünnem Eis“spricht er im Hinblick auf drohende Zahlungsun­fähigkeit. Die Rücklagen des Betriebs mit rund zehn Mitarbeite­rn seien mittlerwei­le zu einer vierstelli­gen Summe geschrumpf­t.

Erschweren­d hinzu komme, dass Ende Oktober abgerechne­te Beträge für Programmie­rungsauftr­äge, die als Kompensati­on für den runtergefa­hrenen Betrieb angenommen wurden, im November fließen sollten. Das würde aber die November-Hilfe schmälern. Schon im Mai sei der Antrag auf Überbrücku­ngshilfe gescheiter­t, da dort ein höherer Betrag eingegange­n sei. Dabei sei man als Start-up noch nicht in der Gewinnzone angekommen. „Wir fühlen uns mit dem Rücken zur Wand, da wir bei den Hilfen ständig durchs Rost gefallen sind.“

Von nicht geahnten Untiefen im Sammelsuri­um der staatliche­n Hilfen weiß auch Haakon Herbst zu berichten. Der Gründer und Geschäftsf­ührer der Hotel-Friends-Group und Leiter des Hotelverba­nds HSMA hat auf Anraten seiner Bank ein KfW-Darlehen für seine Häuser in Köln und Düsseldorf in Höhe von 800.000 Euro aufgenomme­n. Dann musste er feststelle­n, dass sich damit keine Überbrücku­ngshilfen mehr beantragen ließen. „Faktisch stehen wir bis auf die Soforthilf­en ohne staatliche Zuschüsse da.“

Für sein Haus mit 40 Zimmern am Worringer Platz sagt er, dass er ohne das Entgegenko­mmen des Vermieters halb in der Zahlungsun­fähigkeit stecken würde. Und: „Keiner weiß, was in vier Wochen ist.“Seine Prognose ist, dass es bald 50 Hotels in Düsseldorf und naher Umgebung weniger geben wird.

 ?? FOTO: HOTEL FRIENDS ?? Blick in die leere Lobby des Hotels Friends in der Nähe des Worringer Platzes.
FOTO: HOTEL FRIENDS Blick in die leere Lobby des Hotels Friends in der Nähe des Worringer Platzes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany