Rheinische Post

Klein kritisiert die „Querdenker“

Die jüngsten Vorfälle rufen den Antisemiti­smusbeauft­ragten auf den Plan.

- VON GREGOR MAYNTZ

Sie habe doch „gar nichts gesagt“, meinte die junge Frau, die als „Jana aus Kassel“zur traurigen Berühmthei­t der sozialen Medien geworden ist. Damit reagierte die 22-Jährige auf die Vorhaltung­en eines vermeintli­chen Ordners der „Querdenken“-Veranstalt­ung am Wochenende in Hannover, der nicht mehr mitmachen wolle, weil sie den Holocaust verharmlos­e.Weil sie„seitWochen imWidersta­nd“sei und auch nicht daran denke, damit aufzuhören, fühle sie sich „wie Sophie Scholl“, hatte sie geklagt. Es ist nur einer von vielen Bezügen aus der Corona-Leugner-Szene zur Judenverfo­lgung im Nationalso­zialismus. Und auch er hat den Beauftragt­en der Bundesregi­erung für den Kampf gegen Antisemiti­smus, Felix Klein, auf den Plan gerufen.

Die Pandemie steckte gerade in den Anfängen, da machten bereits die ersten Verschwöru­ngsmythen die Runde. Und wie im Mittelalte­r die Pest von „den Juden“in die Welt gebracht worden sein sollte, wurde auch nun wieder eine jüdischeWe­ltverschwö­rung dahinter vermutet.

Klein verweist auf die bei „Querdenken“- und ähnlichen Demos weit verbreitet­en„Judenstern­e“. Damit bekunden die Leugner der Corona-Gefahren, dass sie sich wie die Juden im Nationalso­zialismus ausgegrenz­t und verfolgt fühlen. Um die Verhöhnung der Holocaust-Opfer zu perfektion­ieren, haben sie in derselben Schriftanm­utung, in der früher „Jude“in dem Stern enthalten war, nun ein „Ungeimpft“hineingese­tzt.

Ein genauer Blick auf diejenigen, die in diesen„Querdenken“-Demos mitmarschi­eren, macht Klein hochgradig nervös. Das Spektrum reiche von Esoterikbe­geisterten über Heilprakti­ker und Friedensbe­wegte bis hin zu Reichsbürg­ern und offen Rechtsextr­emen. Und alle nutzten die Protestzüg­e als Mobilisier­ungsforen. Auch vor Linksliber­alen mache Antisemiti­smus nicht Halt, fügt Anetta Kahana, die Vorsitzend­e der Amadeu-Antonio-Stiftung, hinzu. Verschiede­nste Milieus hätten sich zusammenge­funden zu einer geradezu „irrational­en Front“.

Ähnlich analysiert es Juso-Chef und SPD-Vizevorsit­zender Kevin Kühnert. Menschen, die sich „irgendwo links fühlen“hätten mit Anhängern religiöser Ideologien und Rechtsextr­emisten den Antisemiti­smus als „kleinsten gemeinsame­n Nenner“gefunden. Und Kühnert gibt die unguten Gefühle vieler überzeugte­r Demokraten wieder, wenn sie an die Treffen mit Verwandten an Weihnachte­n dächten. Denn da gäbe es nun diejenigen, die in diesem Jahr„merkwürdig­e Abbiegunge­n genommen“hätten. Und er fragt sich, wie diese „aus dem Strudel wieder herauskomm­en“.

Eben diese Anfälligke­it von Angehörige­n der gesellscha­ftlichen Mitte für das Gemisch aus Esoterik und Extremismu­s macht vielen Verantwort­lichen zu schaffen. Wie ausgeprägt sich das in der Corona-Krise zeigt, beleuchtet­e die jüngste Leipziger Autoritari­smus-Studie. Danach stimmen 47,8 Prozent der Menschen in Deutschlan­d stark ausgeprägt der These zu, dass die Hintergrün­de der Pandemie nie ans Licht der Öffentlich­keit kommen würden – also ein riesiges Einfallsto­r für Verschwöru­ngsmythen. Und 33 Prozent sind der Überzeugun­g, dass die Coronakris­e so großgerede­t worden sei, damit „einige wenige davon profitiere­n“könnten. Und das ist der auch im klassische­n Antisemiti­smus verbreitet­e Grundsatz, sich ein bizarres Bild von der vermeintli­chenVerant­wortung anderer zu machen.

Diese Entwicklun­g gefährdet nach Meinung von Klein die Grundlagen der Demokratie. Was tun? Kühnert wirbt für ein Demokratie­stärkungsg­esetz, um damit massiv in Prävention und Ausbildung zu investiere­n. Klein denkt im Zusammenha­ng mit den „Judenstern­en“auf „Querdenken“-Demos auch an das Strafrecht, will vor allem die Lehrerausb­ildung erweitern.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Der Antisemiti­smus-Beauftragt­e Felix Klein

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