Beratungen dauern an
Zwischen Corona-Strategie und Festtagsstimmung – Merkel berät mit den Ministerpräsidenten in einer Videokonferenz über Weihnachten.
BERLIN Der Tag geht nicht gut los für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Während sie am Mittwochmorgen mit ihrem Kabinett im großen Saal des Kanzleramts berät, rammt ein Auto das Tor des Bundeskanzleramts. Um kurz nach zehn Uhr fährt ein 54-jähriger Fahrer mit einem dunkelgrünen Golf Kombi, Nummernschild aus dem Kreis Lippe in NRW, gegen das Tor in der Zufahrt. Bundespolizisten nehmen den Mann sofort fest, die Straße wird abgesperrt. Für den öffentlichen Autoverkehr ist der Bereich nicht erlaubt, nur Fahrradfahrer können an der Pforte vorbeifahren.
Die Motive des Mannes sind unklar. Auf der Fahrerseite des Kombis steht in weißer Schrift: „Ihr verdammten Kinder- und alte Menschen-Mörder“, auf der Beifahrerseite: „Stop der Globalisierungs-Politik“. Unglaubliches sickert durch: 2014 soll der damals 48-Jährige mit demselben Auto schon einmal gegen den Zaun des Kanzleramts gefahren sein. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigt das. Für Merkel, die Kabinettsmitglieder und die Beschäftigten im Kanzleramt habe zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung bestanden, erklärt ein Regierungssprecher. Es sei auch nur geringer Sachschaden entstanden.
Nach zahlreichen Vorgesprächen beginnt dann um 14 Uhr die Video-Konferenz der Kanzlerin mit den Regierungschefs der Bundesländer. Der Vorsitzende, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und sein Stellvertreter – der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder – sind vor Ort. Alle anderen per Video zugeschaltet. Zwei Regierungschefinnen, 14 Regierungschefs – und mindestens 16 verschiedene Interessen.
Doch diesmal waren der Sitzung langeVorbereitungen vorausgegangen. Bereits vor der Konferenz hatten die Ministerpräsidenten miteinander ohne Merkel gesprochen, am Montagabend vier Stunden konferiert. Denn diesmal sind sie es, die ihre Hausaufgaben vorher machen mussten. Sie bringen ein untereinander abgestimmtes Konzept mit in die Sitzung. Es ist das erste Mal, dass nicht Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) eine Vorlage erstellt hat, sondern auf die Beschlüsse reagieren muss.
Bei der Besprechung vor zehn Tagen hatte die Kanzlerin entnervt auf die Kritik der Länderchefs an ihrem Konzept reagiert: „Dann sollen die doch Vorschläge machen“, soll sie nach Stunden zähen Ringens gesagt haben.
Zu Beginn der Sitzung, in der man eine Festtagsstrategie festzurren will, ergreift Söder das Wort. Er hatte sich schon zuvor nicht völlig zufrieden mit den bereits vereinbarten Ländermaßnahmen gezeigt. Er will eine Strategie für Corona-Hotspots und den Ski-Urlaub in diesem Jahr ausfallen lassen. Auch will er strenge Kontaktbeschränkungen über Silvester – anders als die meisten seiner Länderkollegen.„DennWeihnachten ist das Fest der Familie, Silvester natürlich mehr das Fest der Freunde“, erklärt er kurz vor der Sitzung. Ihm sei lieber, dass man über den Jahreswechsel konsequenter sei als über Weihnachten.
Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, greift er in der Videoschalte dann zu einem drastischen Bild, berichten Teilnehmer. Die täglichen Todeszahlen seien vergleichbar mit einem täglichen Flugzeugabsturz, sagt Söder.
Tatsächlich wird die Besprechung von einem traurigen Rekord überschattet. Binnen 24 Stunden waren 410 Menschen an oder mit Corona gestorben. Insgesamt sind nach offiziellen Angaben damit in Deutschland bereits 14.771 Menschen gestorben. Der bayerische Ministerpräsident gab damit den Ton der Sitzung vor – es herrsche eine ernste Stimmung, hieß es.
Auch läuft es diesmal anders als sonst. Die Länder treten geeinter auf, die Vorbesprechungen für die Weihnachtstage zahlen sich aus, es geht nicht mehr wie Kraut- und Rüben durcheinander. Noch vor zehn Tagen hatte sich vor allem eine Süd-Allianz aus Bayern und Baden-Württemberg dem strengen Kurs der Kanzlerin angeschlossen. Diesmal sind die Länder weitgehend auf einer Linie – auch weil die hohen Infiziertenzahlen nahezu alle betreffen. So hat etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit Hildburghausen den derzeit führenden deutschen Hotspot in seinem Bundesland.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sind die Schulen ein Herzensanliegen. „Der Küchentisch zu Hause in einer Zwei- oder Drei-Zimmerwohnung ist nicht der bessere Lernort. Der beste Lernort ist die Schule“, so seine Überzeugung. Allerdings werden die Debatten über die Schulen zunächst nach hinten geschoben.
Am früheren Abend stehen noch andere Fragen im Raum: 50 oder 200? Es geht um die Sieben-Tages-Inzidenz in den Hotspots – wo zieht man die Grenze für stärkere Maßnahmen? Merkel ist für die 50, die Länder wollen eine höhere Zahl. Dem Vernehmen nach einigt man sich auf die 200er-Inzidenz. Dann wird erstmal eine kurze Pause eingelegt. Denn die Nerven sind bei allen Beteiligten angespannt – egal, ob in den Staatskanzleien oder im Kanzleramt. Es steht so vieles auf dem Spiel.