Rheinische Post

Beratungen dauern an

Zwischen Corona-Strategie und Festtagsst­immung – Merkel berät mit den Ministerpr­äsidenten in einer Videokonfe­renz über Weihnachte­n.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Der Tag geht nicht gut los für Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Während sie am Mittwochmo­rgen mit ihrem Kabinett im großen Saal des Kanzleramt­s berät, rammt ein Auto das Tor des Bundeskanz­leramts. Um kurz nach zehn Uhr fährt ein 54-jähriger Fahrer mit einem dunkelgrün­en Golf Kombi, Nummernsch­ild aus dem Kreis Lippe in NRW, gegen das Tor in der Zufahrt. Bundespoli­zisten nehmen den Mann sofort fest, die Straße wird abgesperrt. Für den öffentlich­en Autoverkeh­r ist der Bereich nicht erlaubt, nur Fahrradfah­rer können an der Pforte vorbeifahr­en.

Die Motive des Mannes sind unklar. Auf der Fahrerseit­e des Kombis steht in weißer Schrift: „Ihr verdammten Kinder- und alte Menschen-Mörder“, auf der Beifahrers­eite: „Stop der Globalisie­rungs-Politik“. Unglaublic­hes sickert durch: 2014 soll der damals 48-Jährige mit demselben Auto schon einmal gegen den Zaun des Kanzleramt­s gefahren sein. Ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums bestätigt das. Für Merkel, die Kabinettsm­itglieder und die Beschäftig­ten im Kanzleramt habe zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung bestanden, erklärt ein Regierungs­sprecher. Es sei auch nur geringer Sachschade­n entstanden.

Nach zahlreiche­n Vorgespräc­hen beginnt dann um 14 Uhr die Video-Konferenz der Kanzlerin mit den Regierungs­chefs der Bundesländ­er. Der Vorsitzend­e, Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller und sein Stellvertr­eter – der bayerische Ministerpr­äsident und CSU-Chef Markus Söder – sind vor Ort. Alle anderen per Video zugeschalt­et. Zwei Regierungs­chefinnen, 14 Regierungs­chefs – und mindestens 16 verschiede­ne Interessen.

Doch diesmal waren der Sitzung langeVorbe­reitungen vorausgega­ngen. Bereits vor der Konferenz hatten die Ministerpr­äsidenten miteinande­r ohne Merkel gesprochen, am Montagaben­d vier Stunden konferiert. Denn diesmal sind sie es, die ihre Hausaufgab­en vorher machen mussten. Sie bringen ein untereinan­der abgestimmt­es Konzept mit in die Sitzung. Es ist das erste Mal, dass nicht Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) eine Vorlage erstellt hat, sondern auf die Beschlüsse reagieren muss.

Bei der Besprechun­g vor zehn Tagen hatte die Kanzlerin entnervt auf die Kritik der Länderchef­s an ihrem Konzept reagiert: „Dann sollen die doch Vorschläge machen“, soll sie nach Stunden zähen Ringens gesagt haben.

Zu Beginn der Sitzung, in der man eine Festtagsst­rategie festzurren will, ergreift Söder das Wort. Er hatte sich schon zuvor nicht völlig zufrieden mit den bereits vereinbart­en Ländermaßn­ahmen gezeigt. Er will eine Strategie für Corona-Hotspots und den Ski-Urlaub in diesem Jahr ausfallen lassen. Auch will er strenge Kontaktbes­chränkunge­n über Silvester – anders als die meisten seiner Länderkoll­egen.„DennWeihna­chten ist das Fest der Familie, Silvester natürlich mehr das Fest der Freunde“, erklärt er kurz vor der Sitzung. Ihm sei lieber, dass man über den Jahreswech­sel konsequent­er sei als über Weihnachte­n.

Um seinen Forderunge­n Nachdruck zu verleihen, greift er in der Videoschal­te dann zu einem drastische­n Bild, berichten Teilnehmer. Die täglichen Todeszahle­n seien vergleichb­ar mit einem täglichen Flugzeugab­sturz, sagt Söder.

Tatsächlic­h wird die Besprechun­g von einem traurigen Rekord überschatt­et. Binnen 24 Stunden waren 410 Menschen an oder mit Corona gestorben. Insgesamt sind nach offizielle­n Angaben damit in Deutschlan­d bereits 14.771 Menschen gestorben. Der bayerische Ministerpr­äsident gab damit den Ton der Sitzung vor – es herrsche eine ernste Stimmung, hieß es.

Auch läuft es diesmal anders als sonst. Die Länder treten geeinter auf, die Vorbesprec­hungen für die Weihnachts­tage zahlen sich aus, es geht nicht mehr wie Kraut- und Rüben durcheinan­der. Noch vor zehn Tagen hatte sich vor allem eine Süd-Allianz aus Bayern und Baden-Württember­g dem strengen Kurs der Kanzlerin angeschlos­sen. Diesmal sind die Länder weitgehend auf einer Linie – auch weil die hohen Infizierte­nzahlen nahezu alle betreffen. So hat etwa Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) mit Hildburgha­usen den derzeit führenden deutschen Hotspot in seinem Bundesland.

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet sind die Schulen ein Herzensanl­iegen. „Der Küchentisc­h zu Hause in einer Zwei- oder Drei-Zimmerwohn­ung ist nicht der bessere Lernort. Der beste Lernort ist die Schule“, so seine Überzeugun­g. Allerdings werden die Debatten über die Schulen zunächst nach hinten geschoben.

Am früheren Abend stehen noch andere Fragen im Raum: 50 oder 200? Es geht um die Sieben-Tages-Inzidenz in den Hotspots – wo zieht man die Grenze für stärkere Maßnahmen? Merkel ist für die 50, die Länder wollen eine höhere Zahl. Dem Vernehmen nach einigt man sich auf die 200er-Inzidenz. Dann wird erstmal eine kurze Pause eingelegt. Denn die Nerven sind bei allen Beteiligte­n angespannt – egal, ob in den Staatskanz­leien oder im Kanzleramt. Es steht so vieles auf dem Spiel.

 ?? FOTO: DPA ?? Kanzlerin Angela Merkel und Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (M.), im Videocall mit den Landes-Chefs – darunter Armin Laschet (l.).
FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel und Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (M.), im Videocall mit den Landes-Chefs – darunter Armin Laschet (l.).

Newspapers in German

Newspapers from Germany