Eine Welt aus Schuhkartons
Andrea Franken und Tim Clark haben wochenlang die kleinen Häuser gebastelt und ihre Werke im Hausflur ausgestellt.
DERENDORF Die Bewohner des Hauses 29 an der Münsterstraße schalten im Dunkeln gar nicht mehr das Licht an im Flur. Sie nehmen Stolperfallen in Kauf, hangeln sich am Geländer entlang, die Treppen rauf und runter, weil in der ersten und zweiten Etage eine liebevolle Dekoration auf sie wartet, die seit ein paar Tagen auch noch so schön beleuchtet ist. Das Licht von den Strahlern an der Decke würde die Atmosphäre kaputt machen, das Werk von Andrea Franken und ihren Helfern – ihrem Mann HansWilli und Nachbar Tim Clark (43), der die 64-Jährige nach fast 18 Jahren Tür an Tür inzwischen Mama Franken nennt.
Die letzten Wochen haben die Drei aus ausrangierten Schuhkartons eine kleine Winterwelt gebastelt. Drei Häuser wollte Andrea Franken ursprünglich machen, inspiriert wurde sie vor einem Jahr in einem Blumenladen in Belgien. In den Schuhgeschäften rund um die Münsterstraße fragte die 64-Jährige nach alten Kartons, aus denen Mann Hans Willi das Grundgerüst für die Häuser baute. Dann waren Andrea Franken und Tim Clark gefragt, die mit der Schneiderei Esma loslegten.
Die Außenfassade haben die beiden tapeziert, flache Holzstäbchen umrahmen die Fenster, hinter denen kleine Spitzengardinen hängen. Eine winzige Spule hat Andrea Franken gefunden, auf die sie orangefarbenen Faden aufgewickelt hat. Die liegt nun im Erdgeschoss der Schneiderei, die Franken nach ihrer Freundin Esma benannt hat. „Sie ist Schneiderin und hat uns oft Kleider genäht“, erzählt die Derendorferin, die früher mit ihrem Mann einen Feinkostladen im Erdgeschoss des Hauses an der Münsterstraße hatte. Und während sie und Clark darauf warteten, dass die Dachziegel trocknen, fingen sie das nächste Projekt an.
Eine Kirche, die die beiden mehrfach überarbeiten mussten, weil sie einfach nicht zufrieden waren mit dem Ergebnis. „Das war viel Fummelarbeit, die ich dann abends vor dem Fernseher erledigt habe“, sagt Clark, der Erzieher ist und sein Basteltalent sicher auch ein bisschen aus dem Kindergarten hat. Die Fenster hat er aus halbtransparentem Papier gefertigt, solange gezeichnet und gemalt, bis sie aussahen wie echte Kirchenfenster. Im Turm hängt eine alte Glocke – ein Familienerbstück, das bald 80 Jahre alt ist.
Vieles, was Clark und Franken in ihren Häusern verbauen, stammt aus dem Keller, aus alten Kisten,
Schränken und Schubladen – Knöpfe, Perlen, Klammern, eben alles, was sich so ansammelt über die Jahre. Manchmal basteln die beiden auch mit Abfall, „mal ist die Kaffeekapsel ein Blumentopf, mal ein Schornstein“, sagt Andrea Franken. Weil aber nach dem dritten Schuhkarton – dem Jagdhaus Hubertus, das deswegen so heißt, weil Hans Willi Mitglied im Schützenverein ist – noch lange nicht Schluss war, musste Franken shoppen und den einen oder anderen Euro ausgeben. In Kreativläden wird sie fündig oder in Dekogeschäften. Dort hat sie zum
Beispiel ein Kontaktlinsendöschen gefunden in Kaktus-Form, die Kakteen stehen im Blumenhaus Tausendschön.
Das Juweliergeschäft heißt „Meine Perle“und hat für Tim Clark eine Bedeutung. Er tanzte früher, lange bevor er in das Haus an der Münsterstraße einzog, mit Andrea Frankens Tochter Julia. „Sie nannte mich Hase, ich sie Perle“, erzählt der 43-Jährige. Julia ist vor ein paar Jahren ausgewandert nach Australien. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder, die eine ganz wichtige Rolle spielen in der Schuhkarton-Winterwelt. Die Eisdiele ist nach der drei Jahre alten Mia benannt, das Spielwarengeschäft nach dem sechsjährigen Luke. Eigentlich wollte die Familie über Weihnachten nach Düsseldorf kommen, aber Corona macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Deshalb schickt Andrea Franken jetzt regelmäßig kleine Videos ihrer Häuser nach Australien. Pro Film stellt sie zwei neue Kreationen vor, positioniert sie auf einem Käsedrehteller, den sie langsam bewegt, damit die Kinder jedes Detail erfassen können. Dazu erzählt sie eine kleine Geschichte,
„Luke war ganz begeistert von den Skiern“, sagt die 64-Jährige. 13 Häuser haben Andrea Franken und Tim Clark gebaut, Hans Willi sie mit Lichterketten illuminiert. Sie stehen im Hausflur, damit alle Nachbarn etwas davon haben. Zu Ostern stellt seine Vermieterin Hasen auf, im Sommer macht sie was mit Muscheln, im Herbst kommen die gefärbten Blätter. Am schönsten aber ist es zu Weihnachten, dann kann Andrea Franken loslegen und all ihre Kisten aus dem Kellerabteil holen, um ihren Mietern eine Freude zu machen.