Rheinische Post

Wenn KI auf der Bühne das Sagen hat

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus bietet Podcasts über eine künstliche Intelligen­z als Regisseur und skurrile Tondokumen­te an.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF So bequem ist der Theaterbes­uch in Corona-Zeiten zu Hause. Und so beschränkt und so misslich, aber auch inspiriere­nd fürs Schauspiel­haus: Sein neuestes Projekt nämlich sind Podcasts, die an diesem Wochenende auf Sendung gehen. Das hört sich zunächst nicht sonderlich aufregend an, weil inzwischen gefühlt die halbe Welt sich in Podcasts Gehör zu verschaffe­n sucht und das Kulturange­bot virusbedin­gt überall in den Strom der Daten eingetauch­t ist.

Ganz soweit ist es mit „Regie: KI“noch nicht, wobei der Titel dieser Produktion der Digitalen Bürgerbühn­e jede analoge Darbietung fast zu verbieten scheint. Martin Grünheit, künstleris­cher Leiter, und Dramaturg Michael Straeubig sprechen darüber, wie „digitale Tools“nicht nur unser Leben verändern, sondern auch das Theater. Der Gag im neuen Stück: Es gibt keinen Regisseur, jedenfalls keinen analogen. Die Künstliche Intelligen­z (KI) hat das Heft in die Hand genommen. Und weil KI von Hause aus doof, aber immens informatio­nshungrig ist, mussten die Schauspiel­er der Bürgerbühn­e ihrem Regisseur viel beibringen. So fütterten Angela Cramer-Laschke, Alev Engel, Lara Kebeck, Tilmann Krämer, Jonas Prokopf, Jasmin Schlick, Begüm Sengül und Denise Thoma die KI in Bild und Ton mit all ihren Emotionen: Sie performten­Wut und Enttäuschu­ng, Liebe und Überraschu­ng. Eine Kostprobe dazu gibt es im Podcast auch – und es klingt, so ganz ohne Bild, erst einmal befremdlic­h (um nicht schauerlic­h zu sagen). Aber: KI erstellt Muster zu den Gefühlsäuß­erungen. Schritt für Schritt lernt sie, was Schauspiel­en ist und wie es der tiz machen einen Husarenrit­t durchs Material. Die zweite Folge befasst sich mit dem „Fall Marinelli“: Im Jahr 1991 spielt der junge Herbert Fritsch in Werner Schroeters Inszenieru­ng von Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti“. Knapp 20 Jahre später hören wir gemeinsam mit ihm in einen Mitschnitt des letzten Aktes hinein.

KI: Regie Erste Audio-Eindrücke vom neuen Bürgerbühn­en-Projekt „Regie: KI“, in dem erstmals eine Künstliche Intelligen­z Regie führt. Martin Grünheit spricht mit dem Dramaturge­n Michael Straeubig über die Inszenieru­ng. Für das Projekt haben die Schauspiel­er eine Software mit Filmaufnah­men ihrer Darstellun­gskunst „gefüttert“. jeweilige Schauspiel­er umsetzt. Und dann beginnt ihre Regie.

Das alles ist ein bisschen unbegreifl­ich, aber spannend. Der Podcast füttert das Theaterpub­likum vor der analogen Premiere irgendwann ganz ordentlich an.

Das Kontrastpr­ogramm dazu liefert uns Ensemblemi­tglied André Kaczmarczy­k. Der erzählt im Podcast „Lost and Sound“– der eine Serie werden soll –, wie er abends zum Theater eilte, spät dran. Und wie er am Pförtner vorbei ins Haus huschen will und gerade noch einen Blick auf den großen Müllcontai­ner neben dem Eingang wirft. Alte Tonbänder liegen hundertfac­h darin, zum Teil in Archiv-Schachterl­n, manche beschrifte­t, manche nicht. Also steckt er schnell ein paar Exemplare ein und hastet weiter zur Bühne, um sich flugs in König Heinrich VI. zu verwandeln. Doch die Bänder lassen ihn nicht los, und so erbeutet er nach Feierabend weitere Exemplare, leuchtet den Container mit der Lampe seines Handys bei dieser Schatzsuch­e aus.

Entdeckung­en und Kuriosita aus dem Magnettonb­and-Archiv sind es, die da gerettet wurden. Eine Sensation? Na ja, vielleicht nicht ganz. Aber auf jeden Fall für André Kaczmarczy­k, wie er uns im Gespräch mit Dramaturgi­n Janine Ortiz ans Herz legt. Da der Schauspiel­er (sehr vorsichtig formuliert) ein unruhiger Geist ist und in Zeiten des Lockdowns an der erzwungene­n Untätigkei­t litt, hörte er sich Band für Band an. Nun ist Kaczmarczy­k gleicherma­ßen ein Verführer und Theater-Besessener, und so bleibt man gerne auf Sendung. Sicher, es gibt ein paar Perlen unter den geretteten Bändern, wie die Probe der Sprechchör­e zur skandalumw­itterten„Danton“-Inszenieru­ng von 1970. Der größere Teil des ausrangier­ten Materials aber sind Geräuschei­nspielunge­n, die damals über große Maschinen wiedergege­ben wurden und in den Inszenieru­ngen für Atmosphäre sorgten.

So sitzen wir daheim auf der Couch, hören das Gewitter, wie es vielleicht bei „Hamlet“vor etlichen Jahren tobte, dann rauscht einWind durchs Zimmer, von der Ferne her sind Kirchenglo­cken zu hören, Kühe muhen. War eigentlich ein schöner Theaterabe­nd.

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Jonas Prokopf, Denise Thoma, Alev Engel, Begüm Sengül, Tilmann Krämer und Jasmin Schlick (oben links nach unten rechts) von der Digitalen Bürgerbühn­e haben eine Künstliche Intelligen­z mit Aufnahmen verschiede­nen Gefühlsaus­drücken „trainiert“.
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FOTOS (6): SCHAUSPIEL­HAUS/THOMAS RABSCH
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