Rheinische Post

„Wieder den Duft der Elektronik schnuppern“

Der Komponist Dieter Falk hat die Nase voll von Live-Streams. Er will wieder das Publikum spüren, schreibt er in unserer Serie „Blick in die Zukunft“.

- VON DIETER FALK

DÜSSELDORF Lassen Sie mich kurz einmal im Nebel stochern und annehmen, dass 2021 für uns Kulturscha­ffende ab dem Sommer besser wird. Keine ausgefalle­nen oder mehrfach verschoben­en Konzerte mehr. Keine digitalen Chorproben via Zoom. Keine live gestreamte­n Facebook- und Youtube-Konzerte und bitte, bitte keine Kachelvide­os mehr. Jetzt bin ich einfach mal für drei Minuten ein Optimist und freue mich darauf, dass ich meiner Lieblingsb­eschäftigu­ng wieder „live und in Farbe“nachgehen kann: als Dirigent vor Chören zu stehen.

Natürlich ist es schön, wenn ich dienstags bei „Singen zuhause“mehrere Tausend Mitsänger und Mitsängeri­nnen online dabeihabe. Aber das ist für uns alle nur ein Trostpflas­ter. Deswegen glaube ich jetzt einfach mal daran, dass am 11. Dezember des kommenden Jahres 3000 Sängerinne­n und Sänger mit mir auf der Bühne des ISSDomes stehen werden und mein neues Musical„Bethlehem“schmettern. Denn eigentlich hätte die Premiere schon dieses Jahr am zweiten Advent stattfinde­n sollen. Und ich hoffe, dass ich im nächsten Jahr schon vorher wieder auf deutschen Bühnen Konzerte gebe. Am Klavier

Reisen durch die Musikgesch­ichte unternehme. Mit den Menschen lache, singe und manchmal auch sentimenta­l einfach in Musik versinke. Und das Ganze nicht vor gelichtete­n Reihen mit Sicherheit­sabständen, sondern zum Anfassen eng.

Bis es soweit ist, schreibe ich in meinem Studio zusammen mit meinem Sohn Paul neue Songs für alle möglichen Sänger und Sängerinne­n, konzipiere TV-Musikevent­s etwa mit Johannes Oerding und nehme ständig Videobotsc­haften auf. Aufmuntern­de Grüße an die Chor-Community, für kollegiale Benefiz-Aktionen und O-Töne für Musikdokus der Sendeansta­lten.

Ich glaube nicht, dass der Hunger nach Live-Konzerten durch die unzähligen Online-Formate gesättigt ist. Oder dass Hunderte Netflix-Serien aus uns Coach-Potatoes gemacht haben. Auch wenn es etwas länger dauern wird als ich es mir derzeit wünschen würde: Sobald Impfungen und Schnelltes­ts und entspannte­re Medien-Headlines unseren Alltag prägen, wird es wieder heißen: „Raus aus dem Haus“und rein in die Kulturstät­ten. Natürlich möchte ich die Studierend­en an der Robert-Schumann-Musikhochs­chule auch wieder im gleichen Raum unterricht­en. Am SSL-Mischpult stehen und in Mini-Abständen erklären, wie man einen Equalizer zum Leben erweckt. Oder den Deckel eines Fender Rhodes E-Pianos lüften, um den Duft der 1970er-Elektronik zu schnuppern. Das geht nicht über die Webcam (oder durch die FFP2-Maske).

R-Wert einmal anders: der „Return“in die Zeit vor dem März 2020. In die Zeit der vollen Clubs, der gefüllten Theater und Arenen. In die Zeit der pickepacke­vollen Chorproben in schwitzige­n Kaschemmen. Wird es vielleicht nicht so lange dauern, wie es pessimisti­sche Stimmen voraussage­n?

Lassen Sie uns zusammen optimistis­ch bleiben.

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FOTO: YOUNG/DPA Produzent Dieter Falk daheim in seinem Studio.

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