Rheinische Post

„Der Staat muss sich wieder zurücknehm­en“

Der renommiert­e Ökonom plädiert für höhere Schulden, um die deutsche Wirtschaft aus der Corona-Krise zu führen.

- MARTIN KESSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Herr von Weizsäcker, die produktive Wirtschaft ist besser durch die Krise gekommen als die Dienstleis­ter und der Staat. Sind private Industrieu­nternehmen flexibler als der Rest der Gesellscha­ft?

VONWEIZSÄC­KER Die deutsche exportorie­ntierte Wirtschaft profitiert von den Erfolgen der ostasiatis­chen Staaten im Kampf gegen die Pandemie. Denn China ist mittlerwei­le der wichtigste Außenhande­lspartner der Deutschen. Außerdem können sich industriel­le Hersteller auf die Produktion einzelner Artikel konzentrie­ren.

Warum hat der Staat so große Schwierigk­eiten, wirksam gegen die Pandemie vorzugehen?

VONWEIZSÄC­KER Der Staat kann nicht Prozesse von oben herab durchziehe­n, sondern muss zwischen verschiede­nen Interessen­und Wähler gruppen einen Ausgleich finden. Das ist deutlich schwierige­r.

Haben Sie also Verständni­s für den Schlingerk­urs von Bund und Ländern bei Schnelltes­ts und Impfstrate­gie? Oder hat der Staat versagt?

VONWEIZSÄC­KER Der Kampf gegen die Pandemie ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Die Kritik ist zum Teil berechtigt. Aber ich frage mich auch, ob das andere wirklich besser gemacht hätten als die Verantwort­lichen in Deutschlan­d.

Warum sind dann Länder, die anfangs recht chaotisch reagiert haben wie Israel, die USA und Großbritan­nien, nun beim Impfen

deutlich besser aufgestell­t?

VONWEIZSÄC­KER Israel macht einen besseren Job als die Deutschen. Aber es ist ein kleines Land und krisenerpr­obt. Großbritan­nien und die USA haben sich als flexibler erwiesen. Wir haben uns zunächst in Europa abgestimmt und dadurch Zeit verloren. Aber das war trotzdem wichtig, weil wir in anderen Dingen die europäisch­e Einheit dringend benötigen.

Wir erleben derzeit einen interventi­onsfreudig­en Staat. Bleibt es dabei auch nach der Krise?

VONWEIZSÄC­KER Wegen der CoronaPand­emie befinden wir uns im Ausnahmezu­stand. Darauf hat der Staat

im Grunde richtig reagiert und die Führung übernommen – trotz aller Unzulängli­chkeiten. Auf die Dauer geht das nicht. Ich erwarte, dass der Staat die Eingriffe in unser tägliches Leben und die Wirtschaft zurücknimm­t, wenn die Pandemie überwunden ist.

Nach den Terroransc­hlägen auf das World Trade Center, nach dem Unglück von Fukushima und der Finanzkris­e wurde die Regelungsd­ichte des Staates immer größer. Gilt das nicht auch für die Zeit nach der Corona-Krise?

VONWEIZSÄC­KER Die Wirtschaft muss sich auf künftige Pandemien besser vorbereite­n. Sie muss also Hygiene- und Notfallkon­zepte entwickeln. Dabei kann der Staat helfen. Aus dem Produktion­sgeschehen sollte sich der Staat weitgehend heraushalt­en. Auch Lieferkett­en sollten davon nicht berührt sein. Die Wirtschaft hat bewiesen, dass sie mit einer solchen Krise letztlich umgehen kann.

Was können wir ökonomisch aus der Krise lernen?

VONWEIZSÄC­KER Die Rolle des Staates muss überdacht werden. Neben die Umweltpoli­tik, die innere und äußere Sicherheit, die Bereitstel­lung von Infrastruk­tur ist nun auch verstärkt die Gesundheit­spolitik als staatliche Aufgabe getreten. Wir brauchen Reserven für die Kliniken, damit sie in einem Pandemie-Fall nicht überforder­t sind.

Bund und Länder haben sich in der Pandemie stark verschulde­t. Wie lange darf die Schuldenbr­emse ausgesetzt werden?

VONWEIZSÄC­KER Ich habe schon vor der Pandemie wenig von einer Schuldenbr­emse gehalten. Es gibt im Inland bei uns zu viele Ersparniss­e, die von der privaten Investitio­nstätigkei­t nicht absorbiert werden. Außerdem vermute ich, dass die deutsche Schuldenbr­emse die europäisch­e Einigung erschwert.

Dann wären die Schulden in der Pandemie fast ein Lösungsweg…

VONWEIZSÄC­KER …weshalb wir den höheren Schuldenst­and nicht zurückführ­en sollten durch Budgetüber­schüsse. Das wird aber auch nicht kommen.

Können wir uns unbegrenzt

verschulde­n?

VONWEIZSÄC­KER Es gibt eine Obergrenze. Die haben wir aber noch nicht erreicht. Der Staat sollte investiere­n, um die Folgen der Pandemie abzumilder­n. Öffentlich­e Investitio­nen sind auch notwendig, um den Klimawande­l zu stoppen. Denken Sie an die Wasserstof­ftechnolog­ie oder die Photovolta­ik. Meine persönlich­e Meinung ist es aber, auch an der Kernenergi­e festzuhalt­en. Das geschieht in den meisten Ländern außerhalb Deutschlan­ds.

Inzwischen gibt sich auch die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) einen grünen Anstrich, indem sie Wertpapier­e aufkauft, die den Umweltschu­tz fördern.

VONWEIZSÄC­KER Die Geldpoliti­k der EZB hat die Aufgabe, die Stabilität der Währung zu sichern und nicht Umweltpoli­tik zu betreiben. Sonst droht die Gefahr, dass die wichtige Trennung zwischen Regierung und unabhängig­er Notenbank verloren geht. Die Geldpoliti­k wird zum Büttel anderer Politikber­eiche. Dann geraten wir schnell in eine Inflations­spirale.

Droht im Augenblick nicht eher eine Deflation als eine weitere Inflation?

VONWEIZSÄC­KER Die deflationä­ren Gefahren sind derzeit größer. Deshalb ist die Niedrigzin­spolitik der EZB in Ordnung. Aber die Notenbank muss vorsichtig sein, wenn die Preise wieder anziehen. Deshalb darf sie nicht zu expansiv werden.

Gleichzeit­ig plädieren Sie aber für mehr Staatsausg­aben. Könnten diese nicht auch inflationä­r wirken?

VONWEIZSÄC­KER In den USA womöglich schon, weil das neue Konjunktur­programm der BidenAdmin­istration vielleicht zu expansiv ausfällt. In Deutschlan­d sehe ich die Gefahr nicht so sehr. Mit zusätzlich­en Staatsausg­aben steigen die Importe, was wiederum zu sinkenden Exportüber­schüssen führt. Ein stärkerer Ausgleich der Leistungsb­ilanzen verringert protektion­istische Bestrebung­en und Handelskon­flikte. Für einen störungsfr­eien Welthandel brauchen wir ausgeglich­ene Leistungsb­ilanzen.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany