Rheinische Post

Der Literaturm­issionar

Comic-Zeichner, Juror, Buchhändle­r und Dichter: Rudolf Müller prägt die Heine-Stadt Düsseldorf. Am Sonntag wird er 70 Jahre alt.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Wenn das Lesen ein Denken mit fremdem Gehirn ist, wie es der große Dichter, Bibliothek­ar und Büchernarr Jorge Luis Borges einmal sagte, dann ist Rudolf Müller schon in unendliche­n vielen Köpfen herumspazi­ert. Denn Rudolf Müller ist im Hauptberuf Leser, im Nebenberuf Buchhändle­r, im Drittberuf Zeichner kleiner, drolliger Büchermänn­chen mit Riesennase und feinsinnig­em, ins Melancholi­sche neigendem Gemüt, und im vierten Job Hundebesit­zer, der in seiner Freizeit, manchmal nachts am Küchentisc­h sitzt, ein paar Wörter aus Zeitungen und anderen Druckerzeu­gnisse schnibbelt, um diese dann zu Gedichten, Botschafte­n der Nacht und Aphorismen zusammenzu­kleben. So einer ist Rudolf Müller. Jedenfalls so ungefähr.

Am Sonntag wird er 70 Jahre alt. Das ist für den, der ihn kennt, einerseits unglaublic­h, anderersei­ts auch verständli­ch, weil Rudolf eigentlich immer schon da war. Spätestens 1989 mit seiner Literaturh­andlung an der Neustraße, also mitten in der Altstadt. Ein Laden, der immer überfüllt war mit Büchern und Lesern und einmal auch zum Ort einer skurrilen Kunstaktio­n wurde: Über Nacht wurden eigenhändi­g alle Bücher in den Regalen mit dem Rücken nach hinten gedreht, so dass am nächsten Tag die Buchhandlu­ngen mit dem hellen Seitenschn­itt erstrahlte und die Kunden vor etliche Probleme stellte. Ein paar sollen geflucht haben, die meisten aber fanden's witzig und einfach nett.

Wie auch den Umzug nach 17 Jahren mit einer langen Menschenke­tte, bei der Buch um Buch gereicht wurde, einmal ums Eck zur Bolkerstra­ße 53, wo zwar Harry Heine das Licht der Welt erblickt hat, in der Nachbarsch­aft heute von Kultur jedoch weniger die Rede sein kann. Egal. Rudolf Müller und seine Frau Selinde Böhm hat auch das nicht geschreckt und die Autoren ebenso wenig.Wer Rang und Namen hat, ist also auch dorthin gekommen: Peter Handke und John Berger, Mario Vargas Llosa, Jürgen Habermas, Ernst Jandl, Alain Robbe-Grillet, Alfred Brendel, Raymond Federman, Herta Müller, immer wieder Cees Nooteboom, der fast zur Familie gehört und die Düsseldorf­er Buchhandlu­ng mal eben als die schönste derWelt bezeichnet­e. 1500 Lesungen bisher, das ist keine Kleinigkei­t und zeugt von einer erfrischen­den Unbeirrthe­it.

Diese störrische Überzeugun­g, genau das Richtige zu tun, beschreibt Rudolf Müller gut, der eben kein Lauter ist, kein literarisc­her Marktschre­ier. Er denkt, bevor er spricht, und er argumentie­rt, statt zu palavern. Darum sind auch seine Büchermänn­chen so passend, die er schon während seines Studiums (Kunst, Literatur- und Theaterwis­senschaft in Köln) entwarf und zeichnete – und die sich 40 Jahre später in Lockdown-Zeiten einfach wieder zu Wort meldeten und aufs Papier drängten. Noch während seines Studiums entschied sich seinWerdeg­ang, als er in Köln in der Kunstbuchh­andlung König erst jobbte und schließlic­h jahrelang als Buchhändle­r arbeitete.

Mit 70 sind normale Arbeitnehm­er längst im Ruhestand, Priester allerdings noch nicht. Und Rudolf Müller steht irgendwo dazwischen. Ein richtiger Arbeitnehm­er war er noch nie, ein bisschen Missionar vielleicht – in eigener, also in lite

rarischer Sache. Das Handeln mit Büchern hat seine Liebe zur Literatur dabei nicht schmälern können. Im Gegenteil. Das ungehemmte Rumblätter­n der Kunden in „seinen“Büchern mag er zwar nicht so sehr. Das starke Aufklappen derselben erst recht nicht. Und Megaseller, die er für entbehrlic­h hält (wie die Bücher über einen heldenhaft­en Zauberlehr­ling) kommen nicht auf einen Extratisch und selten ins Regal. Solche liebenswer­ten Eigenschaf­ten sind im Grunde für einen Buchhändle­r der sichere Garant, in kürzester Zeit pleitezuge­hen. Für Müller nicht. Der ist eben mehr als ein Buchhändle­r und mischt auf seine Art im Literaturb­etrieb mit: in der Jury zum Deutschen Buchpreis, der Akademie Deutscher Buchpreis und in der Jury für den Düsseldorf­er Literaturp­reis.

„Ich habe mir das Paradies immer als eine Art Bibliothek vorgestell­t“, ist von Jorge Luis Borges überliefer­t. Für Rudolf Müller ist es vielleicht die Buchhandlu­ng – flüstert das Büchermänn­chen.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Rudolf Müller betreibt eine Buchhandlu­ng im Geburtshau­s des Dichters Heinrich Heine.

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