Rheinische Post

Warum die Zahl der Geflüchtet­en sinkt

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liebsten würde sie jetzt eine Ausbildung machen, aber auch dafür findet sie keinen Platz.

Solche Geschichte­n hört Zeynep Kartal seit Pandemie-Beginn häufig. „Die Arbeitsver­mittlung ist derzeit ein großes Problemfel­d. Es ist für Migranten praktisch unmöglich, Praktikums­plätze zu finden“, sagt sie. Dabei kann ein Praktikum der Schlüssel zum Beruf sein, und damit der Schlüssel zur Integratio­n. „Es ist ein Weg, sich zu beweisen, zu zeigen, dass es sich lohnt, jemandem eine Chance zu geben.“Besonders für junge Mütter sei das wichtig.

Was die Belastung mit einer Mutter machen kann, zeigt die Geschichte von Manal Hamandi. Die 31-Jährige kam vor fünf Jahren aus dem Libanon mit einem Schlauchbo­ot nach Europa. In dem Boot, sagt sie, gab es eigentlich Platz für 35 Leute, doch es saßen 52 darin. Darunter Hamandi und ihre drei Söhne, damals acht, neun und zehn Jahre alt. Hamandi lebt in einer Flüchtling­sunterkunf­t in Düsseldorf wie rund 4000 weitere Menschen in der Landeshaup­tstadt. Sie kennt in Düsseldorf fast alle „Camps“, wie sie die Unterkünft­e nennt. Am Anfang wohnte sie in Rheine, seit vier Jahren ist sie nun in Düsseldorf. Dort wechselte sie im Schnitt alle vier Monate ihren Wohnort. Sie hat schon in zwölf oder 13 Unterkünft­e gelebt, an die genaue Zahl kann sie sich selbst nicht mehr erinnern. In der jetzigen Unterkunft teilt sie sich auf ihrem Flur zwei Toiletten und eine Küche mit 17 Leuten. Vor der Pandemie war das eng, währenddes­sen ist es manchmal unerträgli­ch. Dann schläft Hamandi bei einer Freundin, um ein bisschen Ruhe zu finden.

Mit den Jahren in Deutschlan­d hat sich die Gesundheit der 31-Jährigen immer mehr verschlech­tert. Sie bekommt täglich Anfälle, ihr wird schwindeli­g, manchmal fällt sie um. Das kommt alles vom Stress, habe ihre Ärztin gesagt.

Hamandis größter Wunsch ist es, einen Job zu finden. Ein Angebot hätte sie, ein Versandhän­dler aus Krefeld hat ihr bereits zugesagt. Sie könnte dort Pakete einsortier­en, in Hamandis Ohren klingt das wie ein Traum. Die Libanesin schreibt immer wieder E-Mails an die Sachbearbe­iterin vom Ausländera­mt. In der letzten Nachricht erzählt sie über das Jobangebot in Krefeld. In der Betreffzei­le hat die 31-Jährige „sad life“geschriebe­n – trauriges Leben. „Ich könnte mir auch einen illegalen Job suchen.“Doch das will sie nicht. Sollte sie erwischt werden, könnte ihr Leben noch schwierige­r werden, als es ohnehin schon ist.

Kein Job, keine Wohnung, kein Ausweg. Wie stark die Pandemie zu diesem Stillstand in Hamandis Leben beiträgt, ist schwer zu sagen. Dass sie unter dem Lockdown schwer leidet, liegt aber auf der Hand. Die 31-Jährige richtet alles nach ihren drei Söhnen aus. Sie sind auf dem Hintergrun­dbild ihres Handys zu sehen, drei lächelnde Jungs. Von ihrem Vater hat sich Hamandi schnell nach der Ankunft in Deutschlan­d getrennt, nun hat er die Kinder. Er lässt nicht zu, dass sie bei Hamandi in der Flüchtling­sunterkunf­t übernachte­n. In den Wintermona­ten hat sie ihre Söhne seltener gesehen als im Sommer – draußen war es kalt, drinnen war die Angst von einer Infektion zu groß.

Wie kommt man in einem Land an, wenn dort keiner einen begrüßt, auf einen Kaffee einlädt, die Tür aufmacht? Die Lebensgesc­hichten der drei Einwandere­r zeigen, wie schwierig das sein kann.

Die Libanesin hat beschlosse­n, für ihre Söhne zu leben. „Deutschlan­d braucht mich nicht. Meinen ExMann auch nicht. Aber es braucht meine Kinder.“Neulich war der 14-jährige Sohn auf einem Geburtstag eingeladen, darauf ist Hamandi besonders stolz. Denn das Geburtstag­skind kam aus Deutschlan­d. Die Söhne sind Teil der Gesellscha­ft geworden, ihre Mutter hat es fast aufgegeben.

Die junge Mutter aus Bulgarien hat kurz nach dem ersten Telefonat für diesen Artikel den Durchbruch geschafft. Nach 150 Bewerbunge­n hat sie endlich einen Job gefunden. Die Probezeit ist vorbei, sie hat ihren Chef überzeugt, und er gibt ihr eine Chance.

Aso Majeed lernt weiter.Wenn die Pandemie vorbei ist, kann er wieder Menschen treffen. „Es muss einen Ort geben zwischen zwei Menschen“, sagt er. „Das kann die Universitä­t sein, der Arbeitsort, die Schule der Kinder.“An einem dieser Orte hofft er, seinen ersten deutschen Freund finden. 2020 Im vergangene­n Jahr haben nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e bundesweit 102.581 Menschen erstmals einen Asylantrag gestellt, so wenig wie seit 2012 nicht mehr. NRW hat 21.875 von ihnen aufgenomme­n. 2019 waren es 142.509 Asylanträg­e.

Gründe Zum einen kommen weniger Flüchtling­e nach Deutschlan­d, weil die Corona-Pandemie die Grenzübert­ritte im vergangene­n Jahr deutlich erschwert hat. Aber auch die restriktiv­e Migrations­politik hat laut Innenminis­terium eine Rolle gespielt. Migrations­experten gehen davon aus, dass auch steigende Armut während der Pandemie Menschen an der Flucht hindert.

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FOTO: MARINOV Manal Hamandi ist aus dem Libanon mit einem Schlauchbo­ot nach Europa gekommen.

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