Wesen wie aus fernen Welten
Der Düsseldorfer Kunstverein 701 zeichnet den 62 Jahre alten Keramik-Künstler Bernd Kastner mit einem Preis für sein Gesamtwerk aus.
DÜSSELDORF Bernd Kastner ist ein freundlicher Mensch, aber er hat offenbar destruktive Gene. Im Keller seines Ateliers liegen Hunderte von zerbrochenen Keramikstücken, die beim Korrigieren und Zerschlagen seiner Kunst anfallen und auf eine Wiederverwertung warten. In seinem Arbeitsraum in Eller sind die meisten Werke gegen Staub geschützt und verhüllt. Enthüllt man sie, sieht man die Spuren der freiwilligen Zerstörung.
Das Irritierende an dieser scheinbar unproduktiven Art der Produktion ist, dass all die schlanken, oft akrobatischen Figuren interessanter wirken, je mehr sie malträtiert sind: Nixen, Maskenträgerinnen und Gestrandete ruhen auf einem zerborstenen Eiland, als warteten sie auf bessere Zeiten. Schlanke Grazien turnen übereinander, merkwürdige Tiere scheinen zu überwintern.
Der Kunstverein 701 hat dem 62-Jährigen den ersten Kunstförderpreis für sein Gesamtwerk in Höhe von 5000 Euro verliehen. Kastner gehört nicht zu den sogenannten Schreihälsen, die nach staatlicher Förderung Ausschau halten. Wenn das Geld knapp wird, jobbt er beim Aufbau oder Abbau in Museen und Kunsthallen.
Seine Werke sind störrisch wie er selbst, das Material ist rau und grob: umschamottierter Ton, aus dem er Figuren baut und glasiert, die anmutig sind, bis man ihre Fehler, Brüche,Versatzstücke, Fundstücke und Reste aus älteren Arbeiten erkennt. „Terrakotta ist auch heute noch unbeliebt“, sagt der Künstler, „weil man das Material automatisch mit Töpferei und Hobbykunst inVerbindung bringt.“Er arbeitet seit 1980 damit, also seit den Tagen als Student und Meisterschüler von Irmin Kamp, die ihm 1983 als Rektorin der Kunstakademie das renommierte PS1-Stipendium in New York verschaffte. Weitere seiner Auszeichnungen in den 80er-Jahren waren der Bernhard-Hoetger-Preis und der Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung.
Sein Werk ist figurativ und erinnert an eine klassische Kunst, die jedoch aus fernen Welten zu stammen scheint, denn zur Harmonie gehört die Spannung. Die Bruchstelle ist genauso wichtig wie der intakte Kopf, der Glanz der Glasur wie die Flecken, die farbigen Spurenelemente wie die römischen Fundstücke, die Fossilien und die Fragmente vom Bauschutt. Er sucht und findet Reste von historischen Siedlungsplätzen rund um das Häuschen seiner inzwischen verstorbenen Großmutter. Falls das Steinstück seinen
Gefallen findet, wird es verklebt, verschraubt oder als Passstück mit den schon vorhandenen Skulpturen kombiniert, neu glasiert und zuweilen unendlich oft gebrannt.
Die Bruchstücke vergleicht er mit Viren oder Keimlingen, die einem Objekt aufgepfropft werden, auf dass sie ihm einen neuen Glanz oder einen neuen Sinn verleihen. Dann muss er nur noch den Ton zum zweiten oder dritten Mal glasieren und durch die strahlenden Farben in ein anderes Leben überführen. Zwei Brennöfen stehen bereit, um das spröde Material in eine rätselvolle Kunst zu überführen und abermals in den Ofen zu schieben.