Bund und Länder im Dilemma
Corona-Beschlüsse werden teils ignoriert, die politische Verantwortung will keiner.
WtenW enige Tage vor der nächs
Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) werden in der Corona-Politik die Fliehkräfte zwischen Bund und Ländern größer. Aus Regierungskreisen ist Kritik daran zu hören, dass die Beschlüsse der letzten Bund-Länder-Runde nicht konsequent genug umgesetzt werden oder Länder etwa beim Einsatz der Luca-App zur digitalen Kontaktnachverfolgung vorpreschen. Wenn nun selbst Kommunen mit Inzidenzwerten jenseits der 100er-Marke nicht die verabredete Notbremse ziehen und zu den Lockdown-Regelungen von Anfang März zurückkehren, bedeutet das nichts anderes, als dass die MPK an Durchsetzungsfähigkeit verloren hat. Verwunderlich ist das nicht. Ursache für das Dilemma, in dem sich die Regierungsspitzen jetzt befinden, ist ihr eigenes Erwartungsmanagement. Ein Wischi-Waschi-Lockdown, der einzelne Branchen extrem hart getroffen hat und seit November in Existenznöte bringt, fühlt sich an anderer Stelle wie gar keiner an. Bund und Ländern ist es kaum gelungen, die Mobilität spürbar einzuschränken. Busse, Bahnen, Parks und Innenstädte sind gut gefüllt, Schulen und Kitas, bestimmte Einzelhändler und Dienstleister sind teils wieder geöffnet.
Und obwohl die Inzidenzwerte derzeit rasant ansteigen, hoffen weitere Unternehmen auf Lockerungen. Denn die Anderen dürfen doch auch. Diese Stimmung lässt sich kaum mehr einfangen – und der Druck wächst auch durch wieder verfügbare Mallorca-Flüge. Bund und Länder haben es nicht geschafft, die Infektionszahlen ausreichend zu drücken. Nun werden sie es wohl kaum schaffen, die Öffnungsschritte rückgängig zu machen, bis die Kliniken Alarm schlagen. Bemerkenswert ist in dieser Lage, dass aus Kreisen von Union, SPD und Ländern gleichermaßen die Führungsqualitäten der Kanzlerin weiter betont werden. Eine „lame duck“an der Spitze rückt automatisch andere aus der Schusslinie. Es wirkt, als wolle man die Verantwortung für den Schlamassel vor der Wahl bei Angela Merkel abladen. Sie geht schließlich sowieso. Unser Autor ist stellvertretender Leiter des Berliner Parlamentsbüros. Er wechselt sich hier mit unserer Bürochefin Kerstin Münstermann und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, ab.