Rheinische Post

Im Irak geboren, in der Nähe von Bielefeld aufgewachs­en

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ruhiges Leben führen könnte, das an?„Mein Gewissen zwingt mich dazu.Wir wollten einen friedliebe­nden Gegenpol zum IS bilden“, so Geuad.

Weit mehr als eine Million Menschen haben die Videos der Aktivisten­gruppe inzwischen gesehen. Gern im Mittelpunk­t steht Geuad deshalb noch lange nicht – im Gegenteil. Durch die Arbeit mit „12thMemoRi­se“kann er kein normales Leben mehr führen. Neben den Drohungen kursierten im Internet pornografi­sche Inhalte, in die die Köpfe von Hassan Geuad und seinem Bruder montiert wurden. „Radikale Prediger haben uns zum Abschuss freigegebe­n“, fasst er die Situation zusammen. Seine damalige Verlobte hielt das nicht mehr aus und hat sich auf Druck ihrer muslimisch­en Familie von ihm getrennt, viele Freunde haben sich von ihm losgesagt.„Wir haben uns in der Gruppe zerstritte­n, und ich habe mehrfach stundenlan­g geweint. Mein Studium ging den Bach runter, meine finanziell­e Lage war sehr prekär. Irgendwann sind wir zusammenge­brochen und haben die Arbeit beendet“, blickt er zurück. Nach kurzer Zeit aber habe die Gruppe sich wiedervere­int, „weil wir unseren Kritikern den Triumph nicht gönnen wollten“.

Die Gruppe hat zwei Zielgruppe­n vor Augen: zum einen die Muslime, auch die Radikalen, zum anderen die deutsche Gesellscha­ft.„Wir versuchen als gläubige Muslime – nicht als Ex-Muslime oder als Nichtmusli­me – eine Veränderun­g des Islams voranzutre­iben. Kritisiert man den Islam von außen, wird man schnell als Nazi, Anti-Muslim, Atheist oder Zionist abgestempe­lt“, erläutert Geuad. Um auch radikale Muslime zu erreichen, würden für die Videos stets Titel gewählt, nach denen Extremiste­n gerne suchen. „Solche Leute geben bei Google nicht ein: ,Ich bin radikal. Ich brauche Hilfe.' Die suchen eher nach ,IS Anschläge in Deutschlan­d'.“Die Gruppe spricht im Hinblick auf ihre Vorgehensw­eise daher gerne von zielgruppe­ngerechter Search-Engine-Optimierun­g. Der Erfolg gibt den Aktivisten Recht: Sie wurden tatsächlic­h von Radikalen angeschrie­ben, die durch die Aktionen zum

Nachdenken angeregt wurden. „Ein damals 17-jähriger halb-deutscher, halb-ägyptische­r Mann aus Berlin hat uns geschriebe­n, dass unsere Hinrichtun­gsaktion ihn davon abgehalten habe, sich dem bewaffnete­n Dschihad in Syrien anzuschlie­ßen. Er kam dadurch zum Nachdenken und recherchie­rte viel. Heute ist er geheilt, er wird sich keiner Terrorgrup­pe mehr anschließe­n.“

Die deutsche Gesellscha­ft benennt die Gruppe als Zielgruppe, weil sich ihr immer die Frage stellte, was dieser Gesellscha­ft fehlt. „Wir glauben, ihr fehlen junge Muslime, die lautstark gegen den Terror auf die Straße gehen und auch Selbstkrit­ik üben.“Ein paar Jugendlich­e mit einem Budget von 460 Euro wollten einen Gegenpol zur damals mächtigste­n und reichsten Terrororga­nisation der Welt bilden. Ist das nicht ein bisschen größenwahn­sinnig? „Ja, das ist es“, gibt Geuad unumwunden zu.

Für richtig und notwendig hält er es trotzdem. Denn er hat ein großes Ziel: Er will an der Schaffung eines„friedliebe­nden, modernen Islams deutscher Prägung“mitarbeite­n. Was er darunter versteht? „Ein barmherzig­er Islam, der sich einer globalen Ethik und dem deutschen Grundgeset­z bedingungs­los unterordne­t, ohne seine Identität zu verlieren“, beschreibt er. Geuad ist überzeugt, dass dies möglich ist.

Bagdad Hassan Geuad wurde 1990 in Bagdad geboren, vier Monate vor Beginn des Zweiten Golfkriegs. Sein Vater arbeitete als Ingenieur für Elektrotec­hnik, seine Mutter war Grundschul­lehrerin.

Oerlinghau­sen Geuad wuchs in der Kleinstadt Oerlinghau­sen bei Bielefeld auf. Er bemühte sich um eine schnelle Integratio­n. Doch seit den Terroransc­hlägen von 11. September 2001 stießen Geuad und seine Familie vermehrt auf Ablehnung. Hassan Geuad studierte später in Düsseldorf Germanisti­k und Kommunikat­ionswissen­schaft und arbeitet als Marketinga­nalyst.

Aktivist Als der Islamische Staat ab 2014 weltweit begann, Terror und Schrecken zu verbreiten, hatte Geuad genug. Er forderte von Muslimen auf der ganzen Welt eine klare Distanzier­ung von Terror und Gewalt, um weiteren Schaden von seiner Religion abzuwenden. Mit seinem älteren Bruder Muhammed gründete er die Aktivisten­gruppe „12thMemoRi­se“, die sich für einen gewaltfrei­en Islam einsetzt.

Buch „Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken! Warum ein Muslim für Vielfalt, Toleranz und Freiheit kämpft“ist im Westendver­lag erschienen.

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