Rheinische Post

Unterwegs mit dem Rad

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fahren im frühen 20. Jahrhunder­t ein Massen-Phänomen. Aber in de n 1970ern war das Auto verkehrste­chnisch der Gewinner. Es gab viel mehr Verkehrsop­fer als heute. Selbst Sozialdemo­kraten forderten damals, Arbeiter müssten ihr Auto bezahlen können. Erst in dieser Zeit gab es mehr Aufmerksam­keit für das Radfahren. In den 1980er- und 90er-Jahren wuchs dann auch das ökologisch­e Bewusstsei­n, und man investiert­e in die Fahrrad-Infrastruk­tur. Aber die breiten, asphaltier­ten Radwege überall, das ist vor allem etwas aus den letzten 15, 20 Jahren.“

Zweifellos wird sich diese Entwicklun­g fortsetzen: In den Städten entstehen derzeit Zehntausen­de Fahrrad-Parkplätze, man arbeitet an einem Netz von ,fietssnelw­egen', also Schnell-Verbindung­en über größere Distanzen, nicht zuletzt um Pendler dazu zu bringen, aufs Fahrrad umzusteige­n. „Das hilft der Umwelt, ist gut für die Gesundheit und vermindert Staus“, heißt es im letzten Koalitions­vertrag. Wenn dieser Plan aufgeht, kommen noch einmal 200.000 Radler hinzu. Damit einher geht, dass die Fahrräder selbst immer diverser werden. Die malerische­n Postkarten­motive mit den guten, alten und weiterhin beliebten oma-fietsen (oder auch Holland-Räder) ändern nichts daran, dass sich E-Bikes auch hierzuland­e am besten verkaufen. Dazu kommen Trends wie die schon sprichwört­lichen bakfietsen (Lastenräde­r) mit denen gut verdienend­e urbane Eltern den Nachwuchs herumkurve­n. „Und dann bestellen sie auf einer Café-Terrasse Soja-Latte oder Ingwer-Tee. Ein ziemliches YuppieDing“, kommentier­t Ramon Spaaij augenzwink­ernd.

Der niederländ­ischen Beziehung zum fiets wird man derweil nicht gerecht, ohne auch einen Blick auf die Sparte der Rennräder und ihrer Fahrer zu werfen. Im Unterschie­d zu Deutschlan­d fällt auf, dass etwa die Tour de France nicht nur dann viele Menschen vor den Fernseher zieht, wenn einheimisc­he Fahrer in der Spitze mitmischen.Was schon daran liegt, dass Niederländ­ern das ländliche Frankreich von all den Camping-Urlauben wesentlich vertrauter ist. Hinzu kommt, dass man am Wochenende überall im Land kleine Gruppen bunt gekleidete­r Liebhaber auf ihrem racefiets antrifft – was freilich wie „reesfiets“gesprochen wird.

Einer von ihnen ist mein guter Freund Rudolph, der auch in Pandemie-Zeiten und mit 82 noch Touren um Amsterdam herum unternimmt. Mit Anfang 70 wagte er sich selbst mit seinem Fahrrad-Kumpel Henk noch an den Mont Ventoux – jenen legendären kahlen 2000 Meter-Berg, wo bei der Tour 1967 der Brite Tom Simpson starb. Rudolph schrieb über ihr Abenteuer ein eindringli­ches Gedicht, dem der Schweiß aus jeder Silbe quillt. Die Steigung beschreibt er so: „Elf Prozent Unmenschli­chkeit“.

Eines Abends, nachdem er für uns gekocht hatte, nahm mich Rudolph mit in seinen Keller. Stolz zeigte er mir sein nagelneues racefiets, ein Prachtstüc­k, finanziert mithilfe seines Sohnes. Und dann stellte er mich seinem treuen, alten Presto vor, 1979 gekauft, das ihn unter anderem fünf Mal rund ums Ijsselmeer und über zahlreiche gemeine „Wadenbeiße­r-Hügel“im Süden des Landes trug.„Das ist und bleibt mein maatje (Kumpel)“, sagt er noch heute, und das klingt fast zärtlich.

Was nun andere Länder wie Deutschlan­d vom niederländ­ischen Vorbild lernen können? Martijn van Es hat einige Empfehlung­en, denn die Expertise seines Fietsersbo­nd ist im Ausland gefragt. „Nicht soviel Entweder-Oder-Denken. Investitio­nen in Auto- und Fahrradinf­rastruktur kann gut zusammenge­hen. Einen guten Dialog mit dem ADAC stimuliere­n. Und man muss Initiative­n ergreifen: Die Dinge passieren nicht von selbst. Aber am allerwicht­igsten ist es, Radfahrer bei der Planung von vorne herein miteinzube­ziehen. Das ist viel besser, als nachher die Ergebnisse an sie anzupassen.”

Serie Frühlingsz­eit ist Radfahrzei­t – Geschichte­n und Tipps rund ums schöne Leben im Sattel lesen Sie in den kommenden drei Wochen immer samstags (im Magazin der Rheinische­n Post) und dienstags (in Ihrem Lokalteil).

Themen Kommende Woche geht es an dieser Stelle ums Drum und Dran: Wir geben Tipps zum Aufrüsten Ihres Fahrrads, von der XXL-Satteltasc­he bis zum Airbag für Drahtesel.

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FOTO: IMAGO/HOLLANDSE HOOGTE Premier Mark Rutte ist in den letzten Monaten regelmäßig auf seinem Tourenrad unterwegs.

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