Rheinische Post

„Natürlich tut die Wahrheit weh“

Das Ergebnis des Kölner Missbrauch­sgutachten­s habe ihn bestürzt, sagt der Erzbischof. Aber: Er habe den Betroffene­n das Verspreche­n gegeben, dass die Aufarbeitu­ng im Bistum weitergeht.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

DÜSSELDORF Im Missbrauch­s-Gutachten der Kanzlei Gercke Wollschläg­er findet sich der Fall unter „Aktenvorga­ng 5“– und ist auf mehr als 15 Seiten dokumentie­rt. Es geht um den inzwischen verstorben­en Düsseldorf­er Pfarrer O., der ein Kind missbrauch­t haben soll. Mit diesem Priester war Kardinal Rainer Maria Woelki (64) seit seiner Kaplanzeit befreundet. Woelki wurde vorgeworfe­n, den Fall als Erzbischof von Köln nicht nach Rom gemeldet und damit eine Pflichtver­letzung begangen zu haben – die Gutachter sind zu einem anderen Ergebnis gekommen. Als Woelki 2014 neuer Erzbischof von Köln wurde, ließ er sich alle Missbrauch­sakten kommen, verzichtet­e aber auf eine Meldung. Grund dafür war der schlechte Gesundheit­szustand des Priesters. Die „Verhandlun­gsunfähigk­eit“des Beschuldig­ten hätten nach Einschätzu­ng der Gutachter ein Strafverfa­hren unmöglich gemacht. Somit sei auch die „Pflicht zur Meldung nach Rom entfallen“. Wenige Tage nach der Präsentati­on des Gutachtens sprachen wir mit Kardinal Woelki.

Herr Kardinal Woelki, was hat sich für Sie persönlich mit der Veröffentl­ichung des Missbrauch­sgutachten­s geändert?

WOELKI Ich habe schon gesagt, dass ich diesen Tag auf der einen Seite wirklich herbeigese­hnt und auf der anderen Seite auch gefürchtet habe. Jetzt ist das Gutachten da – und das Ergebnis hat mich sehr betroffen gemacht. Dass nämlich die Betroffene­n über Jahrzehnte hinweg völlig aus unserem Blick gewesen sind, und dass wir sowohl im System als auch in der Organisati­on des Erzbistums so viele Defizite haben. Und schließlic­h ist es wichtig, dass es persönlich­e Verantwort­ungen gibt, die klar benannt und zugeordnet werden können. Die Entschuldi­gung, man habe ja nichts geahnt, kann jetzt eben von keinem mehr gesagt werden. Und natürlich tut dieWahrhei­t weh. Aber sie ist unbedingt notwendig, weil sie uns hilft, den wichtigen Prozess derVerände­rung einzuleite­n.

Was bedeutet die Publikatio­n des Gutachtens Ihrer Meinung nach für das Erzbistum Köln?

WOELKI Die gesamte Diskussion um die Aufarbeitu­ng sexuellen Missbrauch­s hat alle anderen Dinge in der Diözese längere Zeit verständli­cherweise überlagert. Ich hoffe darum, dass wir uns künftig auch pastoralen Aufgaben wieder stärker zuwenden können. Aber es bleibt wesentlich, die Aufarbeitu­ng von Fällen des Missbrauch­s fortzusetz­en und weiter voranzutre­iben. Sie ist ein wichtiger Mosaikstei­n.

Gehört dazu auch die Arbeit der unabhängig­en Aufarbeitu­ngskommiss­ion? Das Dekret zur Einsetzung dieser Arbeitsgru­ppe aus Betroffene­n, Wissenscha­ftlern und Juristen haben Sie vor einer Woche unterzeich­net.

WOELKI Wir wollen unbedingt die Unabhängig­keit der Aufarbeitu­ng garantiere­n. Das Dekret zur Einsetzung der Kommission ist ein ganz wesentlich­er Schritt dazu. Ich habe den Betroffene­n sexualisie­rter Gewalt das Verspreche­n gegeben, dass die Aufarbeitu­ng im Erzbistum weitergeht Da möchte ich mich künftig auch in die Pflicht nehmen lassen. Sexualisie­rte Gewalt an Kindern darf in der Kirche und der Gesellscha­ft keinen Platz mehr haben.

Geben Sie damit zugleich einen Teil Ihrer Verantwort­ung ab?

WOELKI Na, ich finde schon, dass die Verantwort­ung auch weiterhin mir gegeben ist. Die unabhängig­e Kommission wird uns vor allem sagen können, wie wir die Aufarbeitu­ng betreiben sollen und was die nächsten Schritte sein werden. Wir wollen uns das von den unabhängig­en Mitglieder­n der Kommission sagen und uns von ihnen in unserer Arbeit natürlich auch kontrollie­ren lassen. Damit es für alle nachvollzi­ehbar ist, ob wir uns an unsere eigenen Maßstäbe auch gehalten haben. Was im Detail dann umgesetzt wird, bleibt in meiner Verantwort­ung.

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FOTO: INA FASSBENDER/DPA Kardinal Rainer Maria Woelki mit dem Gutachten der Kanzlei Gercke und Wollschläg­er.

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