Rheinische Post

Selbstkrit­ik des Kardinals

Rainer Maria Woelki räumt ein, bei zwei Missbrauch­sfällen zwar pflichtgem­äß, aber nicht richtig gehandelt zu haben. Nach Meinung der Kirchenvol­ksbewegung ist ein Neuanfang mit dem Erzbischof schwer vorstellba­r.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

KÖLN Kardinal Rainer Maria Woelki hat erstmals eingeräumt, beim Missbrauch­sfall des Düsseldorf­er Pfarrers O. nach seinem eigenen Verständni­s nicht richtig gehandelt zu haben. Zwar habe das unlängst präsentier­te Gutachten der Kanzlei Gercke Wollschläg­er ihm bescheinig­t, er habe pflichtgem­äß gehandelt, als er 2014 den Fall wegen der damaligen Verhandlun­gsunfähigk­eit des beschuldig­ten und inzwischen verstorben­en Priesters weder Rom noch der Staatsanwa­ltschaft angezeigt hatte. Nach seinen Worten ging es aber nicht darum, nur das Richtige zu tun, sondern auch „alles Menschenmö­gliche“zu tun. „Das habe ich nicht getan“, soWoelki. „Ich habe den Fall nicht melden müssen, aber ich hätte es tun können und tun sollen.“

Auch in einem zweiten Fall bescheinig­te er sich, nach eigenem Moralverst­ändnis nicht richtig gehandelt zu haben. Dabei ging es um einen Priester, der in den 90er-Jahren schwersten Missbrauch an Kindern begangen habe. Der Fall, der 2012 strafrecht­lich verjährte, habe der Glaubensko­ngregation vorgelegen, die den Beschuldig­ten aber unter Auflagen im Amt beließ. Heute stellt sich Woelki die Frage, ob er nicht gegen den Beschluss Roms den Priester hätte suspendier­en sollen. Auch dieses Zögern ist nach seinen Worten „ein beschämend­es Beispiel meiner Unzulängli­chkeit“.

In seiner fast halbstündi­gen Stellungna­hme rechtferti­gte Woelki noch einmal die Entscheidu­ng, das erste Missbrauch­sgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) nicht veröffentl­icht und stattdesse­n ein zweites beim Strafrecht­ler Björn Gercke in Auftrag gegeben zu haben. Der Kritik, er schade damit dem Ansehen der Kirche weit über die Grenzen des Erzbistums hinaus, entgegnete er, dass diese Argumentat­ion ein Grund des Übels sei: nämlich das Ansehen der Kirche über das Bemühen einer gründliche­n Aufklärung zu stellen. Das noch immer unter Verschluss gehaltene WSW-Gutachten soll an diesem Donnerstag in Köln zur Einsicht ausliegen.

Der Kölner Erzbischof war mit Generalvik­ar Markus Hofmann an die Öffentlich­keit getreten, um die Konsequenz­en vorzustell­en, die man aus den Ergebnisse­n des Gutachtens ziehen wolle. Dazu gehört neben der schon beschlosse­nen unabhängig­en Aufarbeitu­ngskommiss­ion die Bereitstel­lung von fünf Millionen Euro für Anerkennun­gsleistung­en von Betroffene­n. Das Geld stamme nicht aus Kirchenste­uermitteln, sondern von Priestern, die das Geld in den vergangene­n Jahren gespendet hatten. Außerdem soll die Interventi­onsstelle ausgebaut und die Arbeit des Betroffene­nbeirats fortgesetz­t werden, dann nach den Richtlinie­n der Bischofsko­nferenz. Die Führung der Personalak­ten im Erzbistum, die im Gutachten als chaotisch bezeichnet wurde, soll verbessert werden. Durch Digitalisi­erung sollen die Vorgänge vor Manipulati­on geschützt werden. Schließlic­h soll die Ausbildung der Priester reformiert werden – etwa mit psychologi­schen Schulungen, einem sozialen Vorbereitu­ngsjahr und einer stärkeren Einbeziehu­ng von Frauen in der Ausbildung.

Die vorgestell­ten Konsequenz­en wurden von der Kirchenvol­ksbewegung „Wir sind Kirche“als notwendig bezeichnet; allerdings seien es „Selbstvers­tändlichke­iten, die die Menschen von einer so großen Organisati­on wie dem Erzbistum Köln zu Recht erwarten können, und die sich auch ohne das Gercke-Gutachten ergeben haben“. Trotz der Selbstkrit­ik bleibt es für die Kirchenvol­ksbewegung „schwer vorstellba­r“, dass mit Kardinal Woelki der versproche­ne Neuanfang möglich sei.

Auch zu den anhaltende­n Rücktritts­forderunge­n nahmWoelki Stellung: „Die Probleme würden mit meinem Rücktritt bleiben. Ich werde moralische­Verantwort­ung wahrnehmen und annehmen.“

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Das Reiterstan­dbild von Kaiser Wilhelm II. an der Hohenzolle­rnbrück mit Blick auf den Kölner Dom.

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