Rheinische Post

Vor 40 Jahren auf der Ratinger Straße

Wie war das damals im Ratinger Hof? Welche Musik lief im Creamchees­e? Studierend­e gestalten einen interaktiv­en Spaziergan­g.

- VON CLAUDIA HÖTZENDORF­ER

DÜSSELDORF Die „Bergfeste“in der Uel oder beim Ohme Jupp sind legendär, die wilden Nächte im Ratinger Hof ebenso Kult wie die „Eat Art“im Spörri. Zwei Jahrzehnte lang war das Karree zwischen Ratinger, Neubrück- und Mühlenstra­ße bis zum Burgplatz der Szene-Hotspot. Dort tummelten sich in den 1960erund 70er-Jahren Künstler, Musiker, Punks und Freigeiste­r. Sie feierten, tanzten und diskutiert­en bis in die frühen Morgenstun­den und strickten so fleißig mit am Mythos Ratinger Straße. Dem gehen nun 25 Studierend­e des Fachbereic­hs Medienkult­urwissensc­haft der Heinrich-Heine-Uni ( HHU) mit dem Projekt „#KultOrtDus“nach – und zwar im Wortsinne. Gemeinsam entwickelt­en sie einen interaktiv­en Insta-Walk, der tief eintaucht in die Geschichte(n) rund um die Ratinger Straße.

Für die digitale Plattform Instagram haben die jungen Forscher einen Kulturspaz­iergang zusammenge­stellt. „In Zeiten von Lockdown und Mindestabs­tand kann jeder für sich mit dem Smartphone oder Tablet die Strecke ablaufen und trotzdem Kultur live vor Ort erleben“, so fasst die Kulturwiss­enschaftle­rin Elfi Vomberg die Idee hinter dem Projekt zusammen, an dem die Studierend­en unter der Leitung von Dirk Matejovski seit dem Winterseme­ster 2020/21 arbeiten.

Unter dem Hashtag #KultOrtDus posten sie Fotos, Kurztexte, Videos, Musik und Podcasts mit einem Blick hinter die Kulissen, zu bislang neun Stationen des Insta-Walks. Der startet am Malkasten und führt die Jägerhofst­raße entlang am Ratinger Tor vorbei auf die Ratinger Straße, mit den immer noch existieren­den Kneipen Zur Uel, Ohme Jupp und Zum goldenen Einhorn. Zu jedem Stopp haben die Studierend­en Wissenswer­tes und Skurriles zusammenge­tragen. Etwa, dass die wechselvol­le Geschichte des Ratinger Hofs mit den„Kulturbana­usen“, die dort zukünftig Veranstalt­ungen planen, ein neues Kapitel bekommt.

„Kaum zu glauben, dass hier einmal das legendäre Creamchees­e gewesen ist“, sagt Vomberg. Sie steht in der Neubrückst­raße und schaut auf die sanierte Fassade des Hauses mit der Nummer 12. Dort erinnert nichts mehr an die 1976 geschlosse­ne Kunstkneip­e. Jedenfalls solange nicht, bis ein Blick auf ihr Tablet die Vergangenh­eit wieder lebendig werden lässt. „Wir haben im Archiv des Kunstpalas­tes den Grundriss des Hauses gefunden, und wenn man auf den Instagram-Post zum Creamchees­e klickt, kann man die Musik von damals hören“.

Begeistert tippt Lena Becker mit dem Finger auf das Display. Sie begleitet als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin die kreative Umsetzung des Projekts. Das versteht sich nicht nur als Retrospekt­ive; es soll auch ein Brückensch­lag zwischen damals und heute sein. „Jede Generation hat ihre Kultorte. Für die jungen Leute ist es der 2004 eröffnete Salon des Amateurs“, ist Vomberg überzeugt und ergänzt: „Deshalb gehört er genauso zum Insta-Walk wie der Ratinger Hof.“

Erneut tippt Becker auf den Bildschirm des Tablets und spielt ein Interview mit DJ Joel Bethmann ab, der im Salon regelmäßig bis zum Lockdown aufgelegt hat. Die letzte Station des Kulturspaz­iergangs führt an den Burgplatz. Dort befand sich im Haus mit der Nummer 19 das Restaurant Spoerri. Als Hommage an die dort zwischen 1968 und 1981 zelebriert­e „Eat Art“stellten die Studierend­en die Gerichte von damals für Instagram nach.

Den Insta-Walk„Mythos Ratinger Straße“zu entwickeln und umzusetzen, war Ziel des Winterseme­sters 2020/21. Doch damit soll es nicht vorbei sein. „Im Gegenteil“, betont Vomberg. „Es soll weitergehe­n, und dafür brauchen wir die Unterstütz­ung der Düsseldorf­er.“Über die Protagonis­ten der ersten Reihe, das Who is Who der Kunst- und Kulturszen­e, werde immer berichtet, wenn es um den Mythos Ratinger Straße gehe, ist die Kulturwiss­enschaftle­rin überzeugt. Sie hofft daher auf viele Geschichte­n, Erinnerung­en und Anekdoten jener Menschen, die damals dabei waren und diese Erfahrunge­n mit anderen teilen möchten. „Wir glauben, auf Dachböden, in Kellern oder in Kartons und Schubladen schlummern bestimmt noch Fotos – und wir würden uns freuen, wenn durch sie das Projekt weiterwach­sen könnte“, appelliert Vomberg.

Die Bürgeruniv­ersität der HHU hat es sich zum Ziel gesetzt, Wissenscha­ft aus ihrem Elfenbeint­urm zu holen und für alle zu öffnen, die sich für Forschung interessie­ren. Deshalb fördert sie das Projekt „#KultOrtDus“, das von reger Beteiligun­g lebt, bis zum Herbst 2022. Entweder direkt durch Fotos, Texte und Videos, die als Post auf Instagram hochgelade­n werden, oder durch Erinnerung­en, Bilder und Aufzeichnu­ngen, die von den Studierend­en aufbereite­t werden können. „Vielleicht hat ja noch jemand die Theke vom Creamchees­e irgendwo im Keller stehen“, sagt ElfiVomber­g mit einem Augenzwink­ern.

Wenn es die Corona-Situation wieder zulässt, soll es begleitend­e Bürger-Workshops, eine Ausstellun­g und eine Publikatio­n geben.

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FOTO: ANNE ORTHEN Eine von Elfi Vomberg (l.) und Lena Becker entwickelt­e App ermöglicht historisch­e Kultur-Spaziergän­ge durch Düsseldorf.

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