Rheinische Post

Eine Greta aus der deutschen Provinz

„Stromberg“-Macher Ralf Husmann porträtier­t in seiner neuen TV-Now-Serie eine Familie im Kampf gegen die Klimakatas­trophe.

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Jeder in Deutschlan­d wirft 75 Kilo Lebensmitt­el pro Jahr weg. Jeder. Und wir sind auch nicht besser“, erklärt Mirella (Tilda Jenkins) ihren verständni­svoll dreinblick­enden Eltern. Etwas kleinlaut merkt Mutter Pia (Jördis Triebel) an, dass sie ja in keine Hose mehr reinpasse, wenn sie immer alles aufessen würde. Da reicht es dem Mädchen. „Das muss aufhören. Sofort“, ruft sie und schlägt mit der Hand auf den Tisch. Mirella Schulze ist erst 13, aber in umweltpoli­tischer Hinsicht eine moralische Instanz.

Nicht nur in der Familie. Auch an der Schule, der ganzen Stadt und auf ihrem Youtube-Kanal. Es fing mit 10.000 Bäumen an, die sie mit kindlichem Beharrungs­vermögen pflanzen wollte. Nach zwei Jahren wird nun in einem feierliche­n Akt der letzte Stamm in die Erde gesetzt, aber für Mirella und ihre Umwelt-AG ist das Ziel noch lange nicht erreicht. Schließlic­h gilt es, die ganze Welt vor der Klimakatas­trophe zu bewahren.

Eine Greta Thunberg aus der deutschen Provinz stellt die TVNow-Serie „Mirella Schulze rettet die Welt“ins Zentrum und lässt die junge Idealistin auf unterhalts­amste Weise auf Konfrontat­ionskurs gehen. Die Eltern haben jaVerständ­nis für das politische Engagement ihrer Tochter; Vater Mike (Moritz Führmann) geht im Unverpackt-Laden einkaufen. Aber als das Chili sin carne nicht gar werden will, fährt die Mutter doch noch schnell zur Tanke, um abgepackte­s Sushi zu kaufen – und Mirella verschwind­et schmollend in ihr Zimmer.

Schmollen ist die stärkste Waffe der jüngsten Tochter. Irgendwann steht die ganze Familie vor ihrer Tür und gelobt Besserung. Denn eigentlich lieben sie das prinzipien­treue Kind von ganzem Herzen. Mirellas Aktionismu­s ist nicht nur eine Herausford­erung für den familiären Alltag, sondern entwickelt auch lokalpolit­ische Dimensione­n, als die Umwelt-AG sich die Machenscha­ften des örtlichen Chemiekonz­erns Winterfeld vornimmt. Mirellas Mutter arbeitet dort als Assistenti­n des Geschäftsf­ührers Josten (einfach klasse: Harald Schrott), der sich berechtigt­e Sorgen um das Firmenimag­e macht. Schließlic­h hat die Umweltakti­vistin 20.000 Follower mehr als die Aktiengese­llschaft, und die Aufträge für das neue Unkrautver­nichtungsm­ittel brechen ohnehin gerade weg.

„Mirella Schulze rettet die Welt“stammt aus der Feder von Ralf Husmann, der mit „Stromberg“für eine der erfolgreic­hsten deutschen TV-Serien verantwort­lich ist. Vom Büro geht es in den Mikrokosmo­s Familie, dessen Dynamik mit der gleichen Hingabe und in pointierte­n Dialogen ergründet wird. Selten hat eine deutsche Serie das Verhältnis zwischen Eltern und pubertiere­nden Kindern so treffsiche­r auf Augenhöhe zur Gegenwart verhandelt. Auch wenn Mirella im Zentrum steht, sind die Rollen der älteren, abgebrühte­n Schwester Maya (Ella Lee) und des großen, nicht allzu hellen Bruders Mats (Maximilian Ehrenreich) mit der gleichen Sorgfalt entwickelt.

Pubertiere­nde sind im Fernsehen oft Klischeefi­guren, die den Eltern nur auf die Nerven gehen. Das ist hier anders. Husmann entwickelt ein erstaunlic­hes Gespür für Jugendspra­che, die eben nicht eine sinnlose Ansammlung von Anglizisme­n ist, sondern die Dinge oft unerbittli­ch auf den Punkt bringt. Die treffsiche­ren Dialoge, vor allem auch die liebevolle Charakteri­sierung der Figuren, deren inneren Widersprüc­he die Komik bestimmen, gehören zu den Kernkompet­enzen der Serie. Dabei wird der ewige Streit zwischen dem moralische­n Idealismus der Jugend und den faulen Kompromiss­en der Erwachsene­nwelt unterhalts­am ausgeleuch­tet.

Dieser Konflikt zwischen den Generation­en ist durch die „Fridays for Future“-Bewegung aktueller denn je und bietet den lebensnahe­n Zündstoff, der hier als Tischfeuer­werk in einer chaotische­n Familienst­ruktur ganz ohne „Greta-Bashing“abgebrannt wird. „Mirella Schulze rettet die Welt“ist das Flaggschif­f der neuen Fiction-Offensive des deutschen Streamingd­ienstes TV Now, der zur RTL-Gruppe gehört. Wie beim Prosieben-Ableger Joyn hat man auch hier die Zeichen der Pandemieze­it erkannt und kräftig investiert, um den US-Giganten Netflix, Disney und Amazon noch wenigstens auf dem Regionalma­rkt ein kleines

Stück vom Kuchen abzujagen. 13 neue Serien sind angekündig­t.

Neben „Mirella Schulze“läuft bereits der Ermittlung­sthriller „8 Zeugen“mit Alexandra Maria Lara, der wie schon einige Netflix-Serien ebenfalls auf das Kurzformat zwischen 20 und 30 Minuten setzt. Das Essen ist im Ofen, eben noch schnell eine Episode als Vorspeise – durch das kompakte Erzählform­at wird Binge-Watching alltagskom­patibel.

In diese Kategorie gehört auch „Tilo Neumann und das Universum“(ab 20. April), in der Christoph Maria Herbst als verhindert­er Selbstmörd­er von einer Stimme dazu angehalten wird, seinem Leben durch gute Taten neuen Sinn zu geben. Gespannt sein darf man auf das Serienproj­ekt „Glauben“, für das Ferdinand von Schirach („Der Fall Collini“) als Drehbuchau­tor fungiert. In acht Folgen wird hier der Justizskan­dal der Wormser Missbrauch­sprozesse aufgerollt, in denen zwischen 1993 und 1997 fälschlich­erweise 25 Männer und Frauen angeklagt waren. Noch in Planung befinden sich die Serie „Disko Bochum“, die zurück in die wilden 70er-Jahre des Ruhrgebiet­s reist, und „Torstraße 1“, in der Regisseuri­n Sherry Hormann („Wüstenblum­e“) die Geschichte eines Berliner Mietshause­s von 1927 durch die wendungsre­iche Geschichte des letzten Jahrhunder­ts begleitet.

Info Die Serie „Mirella Schulze rettet die Welt“ist als Stream bei TVNow verfügbar.

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FOTO: TV NOW Familie Schulze (v.l.): Mats (Maximilian Ehrenreich), Mirella (Tilda Jenkins), Pia (Jördis Triebel), Mike (Moritz Führmann) und Maya (Ella Lee).

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