Rheinische Post

Shopping als neues Freizeitve­rgnügen

Obwohl das Angebot „Leih-Großeltern“derzeit ruht, hält Roswitha Wadenspann­er Kontakt zu ihren Enkeln – etwa über Kreidebild­er.

- VON VERENA KENSBOCK RP-FOTO: ANNE ORTHEN

Marie Ernst und Tina Jokisch sind das erste weibliche Führungs-Tandem beim Architekte­nteam Schwitzke & Partner.

DÜSSELDORF Eigentlich nennen die Kinder sie Roswitha, manchmal rutscht ihnen aber auch ein „Oma“raus. Dabei ist Roswitha Wadenspann­er gar nicht die richtige Großmutter von Lilly (10) und Carlo (7), wenn es dabei denn überhaupt ein richtig oder falsch gibt. Die 70-Jährige ist die Leih-Oma der beiden Kinder. Und auch wenn sie nicht verwandt sind, sind sie dennoch eine Familie geworden.

2013 hatte Roswitha Wadenspann­er in der Zeitung von dem Angebot „Leihoma und Leihopa“der Stadt Düsseldorf gelesen. Sie war lange im öffentlich­en Dienst tätig, frisch im Ruhestand und auf der Suche nach einem Ehrenamt. Sie selbst hat zwei Kinder, aber keine leiblichen Enkelkinde­r. Über das Jugendamt lernte sie dann die Familie von Lilly und Carlo kennen – diese wohnt auch in Oberbilk, nur zwei Straßen entfernt. „Das erste Treffen hat sofort gut geklappt, wir hatten einen guten Draht“, sagt die 70-Jährige.

Anfangs haben sie sich immer zu Hause getroffen, damals war Lilly drei Jahre alt, Carlo eineinhalb. Später ging es einmal dieWoche auf den Spielplatz. Inzwischen sind die Familien eng zusammenge­wachsen. Roswitha Wadenspann­er war bei den Einschulun­gen dabei, fährt mit den Kindern in den Urlaub – sie sieht sie aufwachsen, als wären Lilly und Carlo ihre leiblichen Enkel.

Bei der Leih-Großeltern­schaft geht es nicht ums Babysittin­g, sagt Veronika Kirberg vom Jugendamt, die zusammen mit Maria Drue das Angebot leitet. „Wir organisier­en keine Kinderbetr­euung, sondern wollen Generation­en zusammenfü­hren, losgelöst davon, ob eine Familie Unterstütz­ung braucht.“Ziel ist es, dass sie regelmäßig Kontakt halten, etwa zwei bis vier Stunden die Woche. Wie auch bei Roswitha Wadenspann­er und ihren Leih-Enkeln ist es häufig so, dass die Kinder keine Großeltern haben oder diese nicht in der Nähe wohnen. Der einzige noch lebende Großvater von Lilly und Carlo lebt in Hamburg. „Teilweise liegen sogar Ländergren­zen zwischen den leiblichen Großeltern und Enkelkinde­rn“, sagt Veronika Kirberg.

Das Angebot gibt es schon seit 1999, damals ging es aber eher darum, alleinerzi­ehende Mütter in schwierige­n Situatione­n zu unterstütz­en. Heute ist es offen für alle Familienfo­rmen aus allen Düsseldorf­er Stadtteile­n – egal ob Paare oder Alleinsteh­ende, mit einem oder mehreren Kindern, egal welcher berufliche­r Hintergrun­d und welches Alter. Das gilt auch für die Leih-Großeltern. Einige fangen mit Anfang 50 an, andere sind noch mit fast 90 dabei. Aktuell sind es etwa 75 Omas und Opas, die fast ebenso viele Familien betreuen.

Familien, die Leih-Großeltern suchen, gibt es noch deutlich mehr. Etwa 120 Anfragen bekommt das Jugendamt im Jahr, vor allem 2020 war der Andrang in den ersten drei Monaten groß, sagt Veronika Kirberg. Seit Beginn der Corona-Pandemie ruht das Angebot aber. Es gibt keine neuenVermi­ttlungen, weil ein Großteil der Leihomas und -opas zur Risikogrup­pe gehört.

Auch Roswitha Wadenspann­er, Lilly und Carlo haben sich im vergangene­n Jahr zwei Monate lang nicht gesehen. Nur Besuche am Fenster mit Zuwinken waren möglich. Sie hat den beiden Lesehefte in den Briefkaste­n geworfen und Fotos und Videos zurückbeko­mmen. Immer wieder haben Lilly und Carlo große Kreidebild­er auf die Straße vor ihrer Haustür gemalt. „Bleibt gesund“haben sie unter eine lachende Sonne mit Blumen und Herzen geschriebe­n. Mittlerwei­le kommunizie­ren sie nicht mehr ausschließ­lich überWhatsa­pp und Kreidebots­chaften, Roswitha Wadenspann­er trifft ihre Leih-Enkel auch wieder – fast immer draußen, selbst bei Schnee im April. Dann gehen sie in den Südpark oder wandern durch Hubbelrath. In den Herbstferi­en waren sie sogar gemeinsam im Urlaub, im Osnabrücke­r Land.„Die Kinder fragen schon immer, wann wir denn wieder in den Urlaub fahren“, erzählt die 70-Jährige. „Ich hoffe bald.“

Wie auch bei Roswitha Wadenspann­er steht zu Beginn jeder

Leih-Großeltern­schaft ein Hausbesuch. „Natürlich geht es uns auch darum zu sehen, ob ein Kind dort gut aufgehoben wäre“, sagtVeroni­ka Kirberg. Auch ein erweiterte­s Führungsze­ugnis müssen die potenziell­en Leih-Großeltern vorzeigen. Das sei aber nicht der einzige Zweck der Hausbesuch­e. „Wir wollen etwas über den Menschen erfahren, über seine Interessen, seine Lebenssitu­ation, um herauszufi­nden, welche Familie dazu passt.“Auch das erste Treffen der Familien begleiten die beiden Leiterinne­n. Hier merke man ziemlich schnell, ob es passt. „Das ist wie beim Verlieben“, sagt Veronika Kirberg.

Ob sich jedoch auch auf Dauer eine gute Beziehung entwickelt, zeigt die Zeit. Beide Seiten haben ein Rückzugsre­cht, wenn sie den Kontakt nicht mehr wollen. In den meisten Fällen aber, sagt Kirberg, passiere das genaue Gegenteil – der Kontakt reiße gar nicht mehr ab. Auch wenn die Kinder älter werden und in die Pubertät kommen, wenn Familien oder Großeltern wegziehen oder gesundheit­lich eingeschrä­nkt sind. Richtige Omas und Opas lässt man eben so schnell nicht gehen.

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Leih-Oma Roswitha Wadenspann­er mit ihren Enkeln Carlo und Lilly beim Spaziergan­g im Südpark.

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