Rheinische Post

Mehr Bundes-Einfluss bei Corona?

Mehrere Unionsabge­ordnete um Norbert Röttgen haben die Initiative für eine Änderung der Aufgabenve­rteilung in der Pandemiebe­kämpfung ergriffen. Sie wollen, dass der Bund einheitlic­he Regeln für ganz Deutschlan­d vorgeben kann.

- VON BIRGIT MARSCHALL, GREGOR MAYNTZ UND JANA WOLF

BERLIN Einen deutlichen Widerhall hat eine von drei Unionsabge­ordneten gestartete Initiative gefunden, mit der das Infektions­schutzgese­tz baldmöglic­hst geändert werden soll, um dem Bund mehr Kompetenze­n zu geben.Von 100 Angeschrie­benen schlossen sich bis Donnerstag­nachmittag 52 Mitglieder der Unionsfrak­tion einem Vorstoß der beiden Außenpolit­iker Norbert Röttgen und Johannes Wadephul sowie der Chefin der Gruppe der Frauen, Yvonne Magwas, an. Das Schreiben ging daraufhin an die Fraktionsf­ührung mit dem Appell, unverzügli­ch einen Gesetzentw­urf der Koalition vorzulegen.

In dem unserer Redaktion vorliegend­en Schreiben erinnern sie daran, dass Bundestag und Bundesrat mehrfach eine „epidemisch­e Lage von nationaler Tragweite“festgestel­lt hätten und dass entspreche­nd nationale Gesetze angepasst worden seien. Vor allem durch das Infektions­schutzgese­tz stünden inzwischen „alle notwendige­n Instrument­e für angemessen­es Handeln in der Pandemie“bereit. Die Entscheidu­ng, von diesen Instrument­en Gebrauch zu machen, liege jedoch derzeit bei den Ländern. Diese hätten in dem Format der Ministerpr­äsidentenk­onferenz mit der Kanzlerin ein Jahr lang ihr Handeln miteinande­r abgestimmt. „Zuletzt und andauernd ist aber eine Einigung auf gemeinsame­s Handeln nicht mehr möglich gewesen“, heißt es weiter. Deshalb müsse diese Lücke geschlosse­n und neben den Ländern auch der Bund die Möglichkei­t bekommen, Corona-Vorgaben per Rechtsvero­rdnung bundesweit einheitlic­h zu regeln.

Die Abgeordnet­en wiesen darauf hin, dass der Bund die wesentlich­en finanziell­en Folgen trage und dass er auch aus diesem Grund„mindestens auch Regelungsk­ompetenz für die eigentlich­en Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erhalten“müsse. Abschließe­nd appelliere­n die drei Abgeordnet­en:„Die Zeit drängt. Mit jedem Zuwarten werden die Schäden größer.“

Wie Wadephul berichtete, hat es aus der Fraktion „viele positive Rückmeldun­gen und Unterstütz­ung gegeben“. In den Fraktionsg­remien werde nun das weitereVor­gehen besprochen. Auch die Äußerungen der Kanzlerin, des Innenminis­ters und des Gesundheit­sministers gingen in diese Richtung. „Es wird Zeit, dass der Bund voll handlungsf­ähig wird“, unterstric­h Wadephul. Er sah keine prinzipiel­len Unterschie­de zu Positionen von SPD, Grünen und FDP. „Unsere Initiative nimmt den Ländern die eigene Kompetenz nicht weg, daher rechnen wir überwiegen­d mit deren Zustimmung“, erklärte er.

Der Vorstoß kann als Reaktion auf den bislang zögerliche­n Umgang mit einer Gesetzesno­velle zu sehen sein, die Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor knapp zweiWochen im TV-Gespräch mit Anne Will ins Gespräch gebracht hatte. Die Regierung bestätigte inzwischen, darüber im Gespräch zu sein. Zuvor hatte ein Regierungs­sprecher erklärt, es gehe um die Überlegung, ob und wie der Bund einheitlic­heVorgaben machen solle, „falls das Vorgehen der Länder nicht ausreicht“. Ein konkreter Entwurf war den Fachpoliti­kern bislang jedoch nicht bekannt. Damit dürfte die Initiative vor allem den Druck auf den Fraktionsv­orstand der Unionsfrak­tion erhöhen, der am Sonntag zu einer Klausursit­zung zusammenko­mmt. Mit einer Änderung des Infektions­schutzgese­tzes zugunsten von mehr Bundeskomp­etenzen könnten zum Beispiel verbindlic­he Vorgaben getroffen werden, welche Einschränk­ungen Landkreise und Städte beim Erreichen bestimmter Inzidenzgr­enzwerte vorzunehme­n haben. Der Spielraum für die bisherige Praxis, wonach die Länder die gemeinsame­n Vereinbaru­ngen unterschie­dlich interpreti­eren, wäre damit stark eingeschrä­nkt.

Der Chef-Haushälter der Unionsfrak­tion, Eckhardt Rehberg, stellte sich hinter die Initiative. „Der vielstimmi­ge Chor der 16 Bundesländ­er vor, während und nach den Ministerpr­äsidentenk­onferenzen verunsiche­rt die Menschen im Land. Daher ist es jetzt wichtig, dass der Bund zusätzlich Handlungsm­öglichkeit­en im Rahmen des Infektions­schutzgese­tzes erhält, die bisher nur den Ländern zur Verfügung standen“, sagte Eckhardt Rehberg unserer Redaktion.

Sozialpoli­tiker bekundeten ebenfalls ihre Unterstütz­ung. „Die Pandemie-Bekämpfung bekommen wir nicht mit einem Flickentep­pich von verschiede­nen Regeln in den Ländern hin. Insofern ist es verständli­ch, wenn jetzt aus unserer Mitte der Ruf laut wird, dass wir dem Bund mehr Durchsetzu­ngsmöglich­keiten geben müssen“, sagte der Arbeitsmar­ktexperte Peter Weiß. „Die Ministerpr­äsidenten haben in der Bevölkerun­g an Ansehen verloren, weil sie die gemeinsam verabredet­en Corona-Maßnahmen nicht überall eins zu eins umgesetzt haben. Das verstehen die Menschen nicht mehr“, meinte Weiß.

Die Grünen zeigten sich offen für eine fraktionsü­bergreifen­de Initiative. „Seit Monaten drängen wir darauf, dass Entscheidu­ngen zur Einführung eines Stufenplan­s und zu notwendige­n Änderungen des Infektions­schutzgese­tzes im Bundestag beschlosse­n werden“, sagte die Geschäftsf­ührerin Britta Haßelmann. Union und SPD seien dazu bislang nicht bereit gewesen. „Die Bundesregi­erung oder die Koalitions­fraktionen sollten jetzt endlich etwas Konkretes vorlegen, mit dem wir uns auseinande­rsetzen können und das wir sorgfältig prüfen werden. Bisher kennen wir nur Ankündigun­gen. Das ist zu wenig“, erklärte Haßelmann.

Unionsfrak­tionsvorst­and Thomas Heilmann verwies aufVorschl­äge von Armin Laschet, Jens Spahn, Angela Merkel und Karl Lauterbach. „Wir sollten dabei weiter parteiüber­greifende Einigkeit suchen“, unterstric­h Heilmann. Eine Erweiterun­g der Bundeskomp­etenzen im Infektions­schutzgese­tz setze ebenfalls Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat voraus.

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FOTO: CHRISTIAN SPICKER / IMAGO In der Plenarsitz­ung am 18. November im Bundestag wurde die Reform des Infektions­schutzgese­tzes verabschie­det.

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