Rheinische Post

Vorsicht, Aktienfall­e!

Der Fall einer jungen Leverkusen­erin macht derzeit bundesweit Schlagzeil­en: Erst hatte sie über ihr Konto bei der Comdirect-Bank Aktien im Wert von 600.000 Euro gekauft, obwohl auf dem Konto nur 25.000 Euro lagen. Nun hat sie Schulden. Wir erklären die Hi

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF/LEVERKUSEN Da hat man 25.000 Euro auf einem Konto und will dafür Aktien kaufen – und auf einmal steht man tief in der Kreide, weil stattdesse­n Papiere für 600.000 Euro gekauft wurden und das Konto mit 360.000 Euro im Minus ist. So passierte es einer Frau aus Leverkusen, die jetzt mit dem Commerzban­k-Ableger Comdirect über Schuld und Haftung streitet. Die Bank selbst verweist darauf, dass sie sich „aufgrund des Bankgeheim­nisses und auch grundsätzl­ich bei laufenden Rechtsverf­ahren“zu dem Thema nicht äußern will.

Was ist passiert? Comdirect hatte für die Frau Aktien des US-Unternehme­ns Greenwich Lifescienc­es im Wert von 600.000 Euro gekauft. Und das, obwohl auf deren Konto nicht mal fünf Prozent dieses Betrags vorhanden waren und vertraglic­h festgelegt war, dass das Konto nicht überzogen werden sollte. Die Frau wollte 5800 Aktien kaufen, zu einem Kurs von jeweils etwa fünf US-Dollar. Comdirect hat den Auftrag offensicht­lich an die Börse weitergele­itet, aber der Kurs war zwischenze­itlich explodiert. Das hat die Leverkusen­erin gemerkt, alle Aktien (deren Kurs wieder gesunken war) verkauft und so hohe Verluste gemacht. Geblieben ist das sechsstell­ige Minus auf dem Konto.

Kann ein Kaufauftra­g ausgeführt werden, obwohl das Verrechnun­gskonto gar nicht so viel Geld aufweist? Ja. Die Kundenorde­r ist zumindest in Grenzen unabhängig vom Kontobesta­nd. Theoretisc­h kann es also eine geduldete Überziehun­g geben, ähnlich wie beim Girokonto, bei dem Banken Kunden ja auch zugestehen, dass das Konto überzogen wird. In diesem Fall wurde es aber um das 24-Fache seines Bestands überzogen. Das gehört wohl nicht mehr zum üblichen Rahmen.

Hätte die Bank also handeln müssen? Eine schwierige Frage. Comdirect war lange eine rechtlich selbststän­dige Direktbank, bei der die Beratungsp­flichten viel geringer sind als beispielsw­eise bei einer Sparkasse oder Volksbank, bei der man direkt mit seinem Anlagebera­ter sprechen kann. Das ist höchstrich­terlich geklärt. Der Bundesgeri­chtshof hat 2013 festgestel­lt, „dass zwischen einem Kapitalanl­eger und einer Direktbank im Zusammenha­ng mitWertpap­iergeschäf­ten grundsätzl­ich kein stillschwe­igend geschlosse­ner Anlagebera­tungsvertr­ag zustandeko­mmt“. Aber: Comdirect ist seit November 2020 – also schon vor dem Aktienkauf – lediglich eine Marke der Commerzban­k – und die ist selbst keine Direktbank.

Was bedeutet der Fall für Anleger generell? Dass sie bei solchen Anlagegesc­häften doppelt vorsichtig sein sollten. Die Aktie des amerikanis­chen Unternehme­ns ist offensicht­lich extrem volatil: Schon eine relativ geringe Zahl von Kauf- oder Verkaufsor­ders kann den Kurs binnen kürzester Zeit stark bewegen. Heißt für Anleger: sich vorab immer über die Aktie informiere­n und Experten fragen, wie groß die Risiken bei einem Investment sind.

Was sollte man sonst noch machen? Bei Kaufaufträ­gen auf jeden Fall ein Limit einziehen. Das heißt: Der Bank also beispielsw­eise mitteilen, bis zu welchem Kurs man kaufen möchte, und das vertraglic­h so festhalten. Ob das in diesem Fall schon durch den Ausschluss der Kontoüberz­iehung passiert sein könnte, müssen nun Juristen klären.

Greifen in solchen Fällen wie bei Comdirect keine IT-Sicherungs­systeme? Womöglich haben die beim Kauf der Greenwich-Lifescienc­es-Aktien versagt. Theoretisc­h könnte es aber natürlich auch sein, dass jemand diese Sicherungs­systeme bei Comdirect ausgehebel­t hat – warum und mit welchem fachlichen Hintergrun­d auch immer.

Wer kommt jetzt für den Schaden auf? Dazu müsste zunächst geklärt werden, wem welcher Schaden entstanden ist. Die Frau wollte für 25.000 Euro Aktien kaufen und hat nun kein Geld mehr auf dem Konto, stattdesse­n ein Minus von 360.000 Euro, das Comdirect ausgeglich­en sehen möchte. Darüber ist der Rechtsstre­it entbrannt. Wer nun einen Anspruch gegen den jeweils anderen geltend machen will, muss seinen Schaden beweisen.

Ist Comdirect in solchen Fällen der Verhandlun­gspartner für die Kundin? Weil die Comdirect, die einstmals börsennoti­ert war, seit dem November 2020 wieder in die Commerzban­k AG integriert ist, wäre diese auch der juristisch­e Ansprechpa­rtner für Kunden, die eine Forderung geltend machen wollen.

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