Was ist nur mit Julian Brandt los?
Die erste Saison bei Borussia Dortmund lief noch ganz gut, inzwischen ist der Nationalspieler aber nur noch Bankdrücker. Und auch beim DFB ist der 24-Jährige zurzeit nicht gefragt.
DORTMUND In einem Monat wird Julian Brandt 25. Er kommt also gerade ins beste Fußballeralter. Und doch sieht es so aus, als habe da wieder mal eines der hochgelobten Talente möglicherweise seine beste Zeit bereits hinter sich. Bei Borussia Dortmund sitzt der Offensivspieler nur noch auf der Bank, zur Nationalmannschaft wurde er zuletzt nicht mehr eingeladen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass er am Samstag im Auswärtsspiel beimVfB Stuttgart aufläuft. Nicht nur BVB-Fans fragen sich: Was ist los mit Julian Brandt?
Das gelegentlich so böse Zahlenwerk antwortet: Nicht viel, zumindest zurzeit nicht. Als er 2019 für eine Ablösesumme von 25 Millionen Euro von Bayer Leverkusen nach Dortmund wechselte, galt er als Schnäppchen auf dem Markt der überhitzten Transfergelder. Schließlich war er schon 2015 vom Magazin „11 Freunde“sehr zu Recht zum „Newcomer des Jahres“gewählt worden, in Leverkusen Stammspieler und in der Nationalmannschaft einer der ganz wenigen, die den peinlichen Ausflug zur WM nach Russland mit einer positiven Note abgeschlossen hatten. Vielleicht war er der Einzige nach drei Kurzeinsätzen mit zwei Pfostentreffern.
Das erste Dortmunder Jahr lief nicht schlecht für Brandt, er schoss sieben Tore und leistete für 13 Treffer in Bundesliga, Pokal und Champions League dieVorarbeit. Noch im vergangenen Sommer pries ihn der DFB in einem Filmchen, das immer noch beiYoutube zu sehen ist. Überschrift: „Zu gut für seinen Jahrgang.“Erzählt wird in ein paar Minuten im Neusprech der Marketingabteilung „The Julian Brandt Story“. Joachim Löws Assistent Marcus Sorg lobt seine Begabung, er sagt aber auch ein paar Sätze, die zum Nachdenken anregen. Diese zum Beispiel: „Er war schon früh sehr überzeugt von seiner Leistung. Früher habe ich das für eine Schwäche gehalten. Er verkörpert eine gewisse Lockerheit. Als
Trainer fragt man sich da manchmal: Hat er auch die richtige Einstellung?“.
An anderer Stelle hat Brandt dazu eine eindeutige Feststellung getroffen: „Mein innerer Antrieb ist da.“Auf dem Platz konnte er das allerdings zuletzt kaum einmal beweisen. Die zweite Saison bei Borussia Dortmund ist, vorsichtig ausgedrückt, schwierig. Beim Wechsel nach Westfalen hatte er gesagt, was Fußballer so sagen, wenn sie bei einem größeren Klub einen besser dotierten Vertrag unterschreiben: „Ich möchte mich persönlich weiterentwickeln.“Dieses Ziel hat er nicht erreicht. Drei Tore, eine Vorlage notierten die Statistiker für alle Wettbewerbe 2020/21, nur noch in 56 Prozent der Bundesligaspiele stand er auf dem Platz. Der Marktwert sank von 50 auf 25 Millionen Euro. Folglich wird laut darüber nachgedacht, ob sich Brandt nicht trotz seines Vertrags bis 2024 im Sommer einen neuen Klub suchen sollte. Ob er auch einen findet, steht auf einem anderen Blatt.
Werbung konnte er in jüngerer Vergangenheit nicht betreiben. Das Fachmagazin „Kicker“hält das
Hinrundenspiel bei Hertha BSC (5:2) für Brandts beste Saisonleistung. Damals gab es die Schulnote 2,5, seither landete er bei den Experten noch einmal auf einer drei, sonst pendelte er zwischen vier und fünf. Beim für die Qualifikation für die Champions League so wichtigen Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt (1:2) spielte Brandt überhaupt nicht. Als es so richtig eng wurde für den BVB und als die Mannschaft dringend Kreativität in der Offensive benötigte, wechselte Trainer Edin Terzic Mo Dahoud (25), Ansgar Knauff (19), Reinier (19) und Giovanni Reyna (18) ein. Brandt brummte auf der Bank – ebenso wie im Champions League-Viertelfinalspiel bei Manchester City, das der BVB nach einer ziemlich starken Vorstellung etwas unglücklich mit 1:2 verlor. Es darf vorausgesetzt werden, dass sich Brandt im Training nicht gerade für einen Einsatz aufgedrängt hatte.
Vielleicht hätte er vor fast zwei Jahren ahnen können, dass es nicht ganz so leicht würde beim BVB. Schließlich ist der Klub auf Brandts Lieblingspositionen im vorderen Mittelfeld blendend besetzt. Die Konkurrenten sind dem vorerst einstigen Nationalspieler davongelaufen. Für die defensiveren Positionen im Mittelfeld fehlt Brandt der Blick für die Notwendigkeiten im Abwehrspiel und manchmal auch schlicht die Lust daran.
Schon gibt es deshalb die hinter kleinen Hymnen versteckten branchenüblichen Warnungen, die immer dann ausgesprochen werden, wenn es für einen Spieler beinahe zu spät ist. „Er ist ein hochtalentierter Spieler“, sagt Terzic, „wir sind glücklich, ihn bei uns zu haben.“Für Einsätze reicht dieses Glücksgefühl freilich nicht. Und Bundestrainer Löw wird sehr deutlich. „Ich hoffe“, erklärt er, „dass Julian Brandt sein riesiges Potenzial ausschöpft.“Vor ein paar Jahren war der Spieler selbst davon noch sehr überzeugt. „Mein Ansporn ist die Weltklasse“, sagte er im Gespräch mit „11 Freunde“. Es wird Zeit, dass er das zeigt.