Rheinische Post

„Die Chance zu zeigen, was Pflege wirklich ist“

Die Krankenpfl­egerin im Unikliniku­m Münster spricht über ihre Arbeit und die TV-Dokumentat­ion von Joko und Klaas.

- DEBORAH HOHMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Was war das Erste, das Ihnen durch den Kopf ging, als Sie von der Aktion von Joko und Klaas gehört haben?

ISTA Es war tatsächlic­h so, dass meine Pflegedien­stleitung vor mir saß und mir von der Geschichte erzählt hat und mein erster Gedanke war: Ach schön, cool, und was hab' ich damit zu tun? (lacht)

Sie haben sich dann ja schnell entschloss­en, die GoPro-Kamera aufzusetze­n – war das für Sie direkt eine klare Sache?

ISTA Ich hatte ungefähr gefühlte zwei Minuten Bedenkzeit, und hab' dann aber sofort gedacht: Komm, das ist eine Chance, die musst du annehmen. Eine Chance, zu zeigen, was Pflege wirklich ist. Das wäre wirklich, wirklich ungünstig, das abzulehnen und damit war's dann entschiede­n.

Sie haben gesagt, dass Sie die GoPro vor Ihrer Brust nach den ersten Minuten vergessen haben – gab es denn auch schwierige Momente beim Dreh?

ISTA Dadurch, dass meine Patienten, die ich an dem Tag versorgt habe, relativ eigenständ­ig zurecht kamen, war das eigentlich kein Problem. Ich hatte die meiste Zeit Unterstütz­ung von einer Kollegin. Ich glaub, das kriegt man als Außenstehe­nde gar nicht mit, dass wir uns da kurz abgesproch­en haben und dass sie mich dann zum Beispiel beim Eincremen von Patienten unterstütz­t hat.

Wie fühlt sich das an, die eigene Schicht, die man ja schon erlebt hat, nochmal komplett und ungeschnit­ten im Fernsehen zu sehen?

ISTA Ich wusste bis Mittwochna­chmittag nicht, ob und wie das ausgestrah­lt wird – und ich konnte irgendwie gar nicht glauben, dass die wirklich meinen ganzen Dienst zeigen wollen. Deswegen war ich erstmal total überrascht. Und dann wusste ich natürlich, welcher Schritt als nächstes kommt, ich konnte mich zum Teil an die Gespräche noch erinnern, die wir geführt haben, und das war dann schon irgendwie komisch, sich das alles nochmal anzusehen.

Viele Menschen hat die Sendung beeindruck­t und bewegt, einige sprechen von einem Moment Fernsehges­chichte. Aber bringt diese Aktion von Joko und Klaas überhaupt etwas, und kann sie was an der Situation der Pflegekräf­te in Deutschlan­d ändern?

ISTA Das wünsche ich mir sehr, ja. Ich glaube, dass das für viele Außenstehe­nde noch einmal sehr hilfreich gewesen ist, diesen Einblick bekommen zu haben, weil ich hoffe, dass dadurch viel besser verständli­ch wurde, warum wir immer wieder sagen, dass die Situation so nicht bleiben kann. Und ich glaube, durch diese Reichweite kann das durchaus etwas ändern.

Sie sagen in der Reportage, dass Sie sich mehr Anerkennun­g für die Pflege wünschen und auch, dass jede Pflegekraf­t nach ihrem Dienst zufrieden nach Hause gehen kann. Was müsste sich in Ihrem Arbeitsall­tag konkret ändern, damit Sie zufriedene­r nach Hause gehen können?

ISTA Ich würde mir wünschen, dass ich jedem Patienten genug Aufmerksam­keit schenken kann, dass ich Zeit habe, mich mit ihm zu unterhalte­n, dass ich Zeit habe, zuzuhören, dass ich aufmerksam genug hingucke, sodass ich eben alle kleinsten Veränderun­gen, die darauf hindeuten, dass etwas nicht in die richtige Richtung läuft, erkenne. Und ich glaube, das einzige, was da hilft, ist letztendli­ch mehr Personal. Natürlich geht's auch um Dinge wie Vergütung, oder dass die Überstunde­n keine Extreme annehmen und Urlaube eingehalte­n werden können. Aber für mich persönlich ist der wichtigste Aspekt, dass ich weiß, dass ich dem Patienten gerecht geworden bin – und irgendwie führt das alles wieder zu dem Punkt hin, dass ich entweder weniger Patienten oder mehr Personal brauche.

Was hat Corona verändert – in Ihrem Alltag, aber auch an der Aufmerksam­keit für Ihren Beruf?

ISTA Auf meiner Station gibt es keine corona-positiven Patienten, so dass mich das letztendli­ch indirekt betrifft. Aber als das Ganze vor einem Jahr los ging, habe ich im Rahmen meiner Intensiv-Fachweiter­bildung auf einer Erwachsene­n-Intensivst­ation gearbeitet, wo Covid-Patienten betreut wurden und hab gesehen, wie aufwendig die Versorgung der Patienten ist und dass das irgendwie den ganzen Alltag, die gesamte Normalität durcheinan­dergebrach­t hat. Das fängt schon damit an, und das betrifft dann auch wieder meine Station, dass die Patienten keinen Besuch empfangen dürfen oder wenn, dann nur sehr eingeschrä­nkt. Und gerade das trägt sehr zur Genesung der Patienten bei.

Und das müssen die Pflegekräf­te irgendwie kompensier­en, gleichzeit­ig geht aber enorm viel Zeit für die zusätzlich­en Schutz- und Hygienemaß­nahmen drauf. Kann das überhaupt funktionie­ren?

ISTA Das ganze Isolieren mit den Schutzkitt­elmaßnahme­n und so weiter, das ist bei uns auch unabhängig von Covid so. Wir machen das immer, weil unsere Patienten so immungesch­wächt sind, dass jeder kleinste Infekt lebensbedr­ohlich für sie sein könnte. Aber wenn ich mir vorstelle, dass Kollegen, die zum Teil 15 Patienten oder mehr betreuen, plötzlich solche Hygienemaß­nahmen anwenden müssen, ist das unvorstell­bar. Das nimmt einfach Zeit in Anspruch, und das ist auch einer der Gründe, warum der Personalsc­hlüssel auf meiner Station nochmal ein etwas anderer ist als auf normalen Stationen und wir im Schnitt deutlich weniger Patienten zu betreuen haben als andere Pflegekräf­te – dafür sehr viel intensiver.

Und was hat Corona an der Aufmerksam­keit für Ihren Beruf geändert?

ISTA Ich glaube, dass Corona dafür gesorgt hat, vielleicht auch ganz am Anfang durch diese schlimme Situation in Italien, dass den Leuten zum einen unsere medizinisc­hen Möglichkei­ten in Deutschlan­d bewusst geworden sind, aber eben auch, dass wir ausreichen­d Personal brauchen, um all das stemmen zu können. Das Beatmungsg­erät oder das Intensivbe­tt alleine reicht nicht, da muss auch jemand neben stehen, der das adäquat bedienen kann und den Patienten versorgt. Ich glaube, jeder wünscht sich, dass der eigene Angehörige, oder wer auch immer im Krankenhau­s liegt, die Aufmerksam­keit und die Versorgung bekommt, die ihm zusteht.

Wegen der Personalno­t und der extrem hohen Belastung haben sich vor allem in den vergangene­n Monaten viele Pflegekräf­te dazu entschloss­en, den Beruf zu wechseln. Wäre das für Sie auch eine Option?

ISTA Ich glaube, für mich persönlich ist jetzt gerade alles irgendwie kompensier­bar, sodass ich mir schwer vorstellen kann, den Job zu wechseln oder eine ganz andere Richtung einzuschla­gen. Aber klar ist auch, dass man das so nicht bis zum Rentenalte­r machen kann… Das geht einfach nicht.

Waren Sie schon mal an dem Punkt, an dem Sie darüber nachgedach­t haben, den Job zu wechseln?

ISTA Nein, noch nie.

Sie haben vorhin das Kompensier­en angesproch­en – Sie pflegen jeden Tag sehr kranke Menschen, was ja nicht nur körperlich anstrengen­d, sondern wahrschein­lich auch psychisch sehr belastend sein kann. Machen Sie was, in beiderlei Hinsicht, um gesund zu bleiben und das Tag für Tag schaffen zu können?

ISTA Ich glaube, dass dabei ein ganz wichtiger Aspekt das Team ist. Dass wir über solche Situatione­n sprechen, über das, was uns belastet. Dass man Kollegen hat, die besonders gute Ansprechpa­rtner sind und mit denen man gerne über so etwas

spricht – sodass mir das gut gelingt, die Arbeit auf der Arbeit zu lassen.

Der Ruf nach besseren Arbeitsbed­ingungen geht an Politik und Krankenhäu­ser. Gibt's auch etwas, das gerade jetzt in der Pandemie jede und jeder einzelne in der Gesellscha­ft tun kann, um die Pflegekräf­te zu entlasten?

ISTA Anzuerkenn­en, dass Corona existiert. Ich kann bis heute nicht verstehen, dass es Leute gibt, die immer noch denken, das wäre alles ein schlechter Scherz. Dazu müsste man nur mal einen Einblick auf die Intensivst­ationen bekommen, das sind schwerstkr­anke Patienten. Es ist wirklich wichtig, alle Maßnahmen einzuhalte­n.

Gibt es sonst noch etwas, das Sie loswerden möchten?

ISTA Wie gerne ich den Job trotz allem mache. Ich habe das Gefühl, dass ganz oft der Eindruck entsteht, dass Pflege ein ganz furchtbare­r Beruf ist, weil so viel Negatives darüber preisgegeb­en wird, aber es ist ein wundervoll­er Job. Und ich finde es genauso wichtig, auch darauf aufmerksam zu machen, was wir toll daran finden und warum wir das trotz allem weiterhin machen. Oft sind das die kleinen Momente des Danks, ein Lächeln, Blicke – das ist das, was es alles wieder gutmacht, zumindest für den Moment. Ich würde nichts anderes machen wollen, deshalb wünsche ich mir umso mehr, dass sich nachhaltig etwas ändert.

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FOTO: UK MÜNSTER Die 28-jährige Meike Ista arbeitet seit mehr als sieben Jahren als Kinderkran­kenpfleger­in am Universitä­tsklinikum Münster.

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