Geheimnisse aus der Tiefe
In der Ostsee fanden Taucher durch Zufall Enigmen, Chiffriermaschinen aus dem Zweiten Weltkrieg.
LÜBECK (dpa) Die Ostsee hat Spuren hinterlassen. An der Seite kleben Muschelreste, dicker Rost hat den Kasten überzogen. Mit seinen runden Tasten sieht der Klotz wie eine alte Schreibmaschine aus. Vom Holz der legendären Chiffriermaschine aus dem Zweiten Weltkrieg ist kaum etwas übrig. Durch Zufall haben Forschungstaucher im November und Januar in der Ostsee und auf dem Grund der Schlei sieben Enigmen gefunden. Eine von ihnen liegt in einem Computertomographen (CT) der Lübecker Fraunhofer-Einrichtung für Individualisierte und Zellbasierte Medizintechnik und gibt ihre innersten Geheimnisse preis.
Bei der Enigma handelt es sich um eine für damalige Verhältnisse komplexe Maschine – benannt nach dem griechischen Wort für Rätsel. Im Zweiten Weltkrieg diente sie mit ihren 26 Buchstaben-Tasten und ebenso vielen Leuchtfeldern mit jenen Buchstaben, die den Text bildeten, der Verschlüsselung des Nachrichtenverkehrs. Nach ersten Erfolgen von polnischen Experten trug der britische Mathematiker Alan Turing maßgeblich dazu bei, den Enigma-Code zu knacken. Dies hatte erheblichen Einfluss auf den U-Boot-Krieg im Atlantik. Fortan konnten die Briten verschlüsselte Funk-Codes mitlesen – unbemerkt vom Kriegsgegner.
„Wir haben 4000 einzelne Röntgenbilder aus verschiedenen Richtungen von der Enigma aufgenommen und diese anschließend algorithmisch in ein 3D-Bild rekonstruiert“, sagt Direktor Thorsten Buzug. Mindestens eine der Maschinen vom Ostseegrund soll in der Werkstatt des Museums für Archäologie auf Schloss Gottorf in
Schleswig restauriert werden. „Die Enigma-Geräte sind archäologische Funde, die vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit den Findern und Experten erfasst, untersucht, erforscht und publiziert werden“, sagt Landesamts-Leiter Ulf Ickerodt.
Nach der Restaurierung sollen die Enigmen aus der Ostsee ausgestellt werden. „Wir haben bisher drei Enigmen gescannt“, sagt Maximilian Wattenberg. Auch die anderen Geräte sollen digital archiviert werden.
Marinehistoriker Jann Witt vom
Deutschen Marinebund geht davon aus, dass die Maschinen in den letzten Tagen des ZweitenWeltkriegs auf dem Grund der Ostsee landeten. „Meine begründete Vermutung ist, dass die Maschinen von einem Verband bei der Fahrt zur Übergabe bei Schleimünde schlicht und einfach über Bord geworfen worden sind.“Auch der Leiter des Archäologischen Landesamts sieht einen Zusammenhang mit dem sogenannten Regenbogen-Befehl. Dabei sei es der Wehrmacht zum Kriegsende darum gegangen, militärische Anlagen und Waffen„möglichst so zu vernichten, dass sie dem Feind nicht in die Hand fallen“, sagt Ickerodt.
Die beteiligten Wissenschaftler beschäftigt nun die Frage, von welchen Schiffen die Enigma-Funde stammen. „In einem Fall wissen wir, dass es eine M4 ist“, sagt Ickerodt. Diese Modelle mit vier rotierenden Walzen kamen auf U-Booten zum Einsatz. Sie verfügten über mehr Codierungsmöglichkeiten als Modelle mit drei Walzen, wie sie auf Schiffen genutzt wurden. Ickerodt hofft, die Seriennummern identifizieren zu können. Darüber könnten Historiker die Enigmen möglicherweise Schiffen und Besatzungen zuordnen.