Die Opfer von Zagreb warten auf Hilfe
Ein Jahr nach dem Erdbeben in der kroatischen Hauptstadt kommt der Wiederaufbau nur schleppend voran. Schuld ist nicht nur die Corona-Krise.
Ein Jahr nach dem Erdbeben von Zagreb flackerten vor der Ruine eines zerstörtenWohnhauses in Kroatiens Hauptstadt die Friedhofskerzen. „Wir gedenken der Opfer des Gesetzes zum Wiederaufbau“, erklärte Nevena Rendeli Vejzovic von der Selbsthilfeorganisation SOS Zagreb. „Ein Jahr nach dem Erdbeben ist noch keine Fassade renoviert, keine Wohnung saniert und kein Haus erneuert“, sagte sie verbittert.
Ein Erdbeben der Stärke 5,5 auf der Richterskala hatte am 22. März 2020 um 6:24 Uhr morgens die 800.000-Einwohner-Stadt in ihren Grundfesten erschüttert. Ein 15 Jahre altes Mädchen kam ums Leben, 27 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die heftigen Erdstöße sorgten vor allem in der Altstadt für ein Bild der Verwüstung. Mehr als 21.000 Gebäude wurden beschädigt. 1300 wurden bei der anschließenden Bestandsaufnahme als abbruchreif, mehr als 5000 als „vorrübergehend nicht erneuerbar“qualifiziert. Die Kosten für den Wiederaufbau und die Sanierung der Erdbebenschäden werden mittlerweile auf elf Milliarden Euro geschätzt. Und getan hat sich bislang sehr wenig.
70.000 Tonnen Schutt wurden in den Wochen unmittelbar nach dem Erdbeben weggeräumt, mehr als 8000 vom Einsturz bedrohte Schornsteine und auch die Turmspitze der berühmten Kathedrale vorsichtshalber demontiert, nachdem ein zehn Meter großes Teil der südlichen Turmspitze mit einem drei Meter hohen vergoldeten Kreuz abgebrochen war und das Dach beschädigt hatte. Doch nicht nur wegen der hohen Kosten tun sich die Stadt und der Staat mit der Behebung der Erdbebenschäden schwer.
Zum einen hat die Corona-Krise den vom Tourismus stark abhängigen Küstenstaat hart getroffen. Zum anderen sollte am 29. Dezember 2020 eine erneute Naturkatastrophe den EU-Neuling erschüttern: Bei dem gewaltigen Erdbeben mit der Stärke 6,4 auf der Richterskala kamen in der zum Glück dünn besiedelten Region um Petrinja sieben Menschen ums Leben.
Doch für den noch immer ausstehenden Beginn des Wiederaufbaus machen Betroffene und Oppositionspolitiker auch die unerträgliche Langsamkeit von Kroatiens aufgeblähtem Verwaltungsapparat sowie andere politische Prioritäten der regierenden HDZ verantwortlich. Statt nach dem Beben zügig die gesetzlichen Grundlagen für die Behebung der Schäden zu schaffen, habe Premier Andrej Plenkovic aus wahltaktischen Gründen die eigentlich erst im Herbst anstehende Parlamentswahl auf den 5. Juli vorgezogen, so derVorwurf der Opposition: Das Gesetz für denWiederaufbau habe darum erst nach einem halben Jahr verabschiedet werden können
Hunderte von obdachlos gewordenen Familien sind noch immer in städtischen Behelfswohnungen, Hostels und Baucontainern untergebracht. „Ich glaube, ich werde eher sterben, als dass ich hier wieder rauskomme“, seufzt eine betagte Rentnerin im Hostel „Arena“. In Zagreb habe sich die Erde zwar beruhigt, in der nahen Region Petrinja seien weitere Nachbeben aber zu erwarten, warnt der Seismologe Kresimir Kuk vor der Einsturzgefahr der schlecht abgesicherten Erdbebenruinen in der Hauptstadt:„In Zagreb ist noch immer so gut wie nichts getan worden. Die Lage ist noch stets gefährlich, die Leute unsicher.“
Sechs Kilogramm an angeforderten Dokumenten und Expertisen habe er für seinen Sanierungsantrag bereits abgegeben, aber noch immer keinen Bescheid erhalten, ärgert sich das Erdbebenopfer Alen Caplar. Sein Ministerium habe die ersten 88 Anträge mittlerweile bewilligt, versichert der in die Kritik gerateneWirtschaftsminister Darko Horvat (HDZ): „Sobald wir sie von den Eigentümern zurückerhalten, werden wir sie weiterleiten.“
Ein baldiges Ende ihres Leids ist für die Betroffenen nicht in Sicht. Zehn Sekunden Beben bedeuteten zehn Jahre Erneuerung, verteidigt sich Premier Plenkovic gegen den Vorwurf der trägen Schadensbehebung und spricht von einem „langfristigen Prozess“. Der Kommunalpolitiker Matej Misic (SPD) aber ätzt: „Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, wird der Wiederaufbau 195 Jahre dauern.“