Rheinische Post

„Click and Meet gehört abgeschaff­t“

Die Doppelspit­ze der Grünen-Landtagsfr­aktion über die Pandemiebe­kämpfung und Transparen­z bei Nebentätig­keiten.

- MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Gut, dass die Kanzlerin den Ländern Kompetenze­n entziehen will?

SCHÄFFER Die Absage der Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist eine absolute Bankrotter­klärung. Die Länderchef­s haben es nicht geschafft, sich in dreiWochen zusammenzu­raufen, obwohl alle Besserung gelobt hatten. Die Kanzlerin hat völlig zu Recht kritisiert, dass die Beschlüsse nicht umgesetzt worden sind. Jetzt kommt Armin Laschet nach einigem Nachdenken zu dem Schluss, dass ein „Brückenloc­kdown“notwendig sei. Und das, obwohl er ja selbst die vorhandene­n Maßnahmen bis zur Unkenntlic­hkeit aufgeweich­t hat.

Damit will er aber Anreize für die Bürger schaffen, sich testen zu lassen. Hat er da nicht einen Punkt?

PAUL Wenn wir eine vernünftig­e Testinfras­truktur in den Bereichen hätten, in denen sich Menschen täglich begegnen, also in Schulen, Kitas, aber vor allem an den Arbeitsplä­tzen, dann hätten wir einen guten Überblick übers Infektions­geschehen. In Wahrheit geht es darum, Bereiche durch die Hintertür zu öffnen.

Auf Öffnungen hatte vor allem sein Koalitions­partner gedrungen.

SCHÄFFER Laschet lässt sich nach wie vor von der FDP unter Druck setzen, denn er will ja die Notbremse weiterhin nicht anwenden. Damit wälzt er die Verantwort­ung auf die Kommunen ab. Die meisten Kommunen ziehen die Test-Option trotz hoher Inzidenzen, weil sie sich sonst den Zorn der Einzelhänd­ler und Bürgerinne­n und Bürger aussetzen. Das führt zu einem Flickentep­pich. Im Ennepe-Ruhr-Kreis kann ich zum Beispiel problemlos ohne einen Test zum Friseur, in Köln ist das nicht möglich. Wir sind stark dafür, dass die Notbremse eins zu eins eingehalte­n wird. Das Click and Meet muss wieder abgeschaff­t werden.

Die Grünen haben aber doch selbst ein Stufenmode­ll vorgeschla­gen, das ebenfalls zu einem solchen Flickentep­pich geführt hätte.

SCHÄFFER Unser Plan wäre aber an die Inzidenz gekoppelt. Bei der Notbremsen-Regelung von Laschet gibt es keinerlei Bindung an die Inzidenz und keine Grenzen nach oben.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass Menschen in Modellkomm­unen wieder nebeneinan­der im Kino oder in der Außengastr­onomie sitzen können?

PAUL Es ist der völlig falsche Zeitpunkt.Wir haben landesweit seit drei Wochen eine Inzidenz von über 100. Wir sind mitten in der dritten Welle. Da Modellproj­ekte zum Öffnen anzustoßen, ist aus unserer Sicht ein falsches Signal.

Wenn die Landesregi­erung keine Versuche starten würde, würde die Opposition ihr vorwerfen, unvorberei­tet zu sein.

PAUL Vorbereitu­ngen sind völlig in Ordnung. Das Problem ist aber das

Wie. Es hätten Kriterien mit der Wissenscha­ft erarbeitet werden müssen. Stattdesse­n habe ich den Eindruck, dass der Minister Pinkwart den Kommunen da wie bei einemWindh­undrennen einen Köder vor die Nase gehalten hat, ohne klare Vorbereitu­ng gemeinsam mit den Kommunen.

Wie bewerten Sie die Entscheidu­ng, die Schüler ab Montag in den Distanzunt­erricht zu schicken?

SCHÄFFER Ein weiteres Armutszeug­nis dieser Landesregi­erung und insbesonde­re der Schulminis­terin. Erst informiert sie spät, und dann gibt es Regelungen nur für eineWoche. Das schafft keine Verlässlic­hkeit für Lehrer, Eltern und Schüler. Es ist zwar richtig, in dieser Situation in den Distanzunt­erricht zu gehen, aber das Signal ist fatal: Während die Notbremse für die Schulen gezogen wird, können die Leute weiter shoppen gehen. Wir hatten einen politische­n Konsens, dass Kinder und Jugendlich­e Priorität haben müssen. Das wird wieder konterkari­ert.Wir sind wieder an dem Punkt„Erst die Möbelhäuse­r, dann die Spielplätz­e“.

Was halten Sie von der Testpflich­t für die Schüler?

PAUL Es ist doch ein Unding, dass man in jeder Apotheke und in jedem Supermarkt Tests kaufen kann, die Landesregi­erung bei der Organisati­on von Tests für die Schulen einmal mehr versagt. Ich habe den Eindruck, dass vor allem die Schulminis­terin sich die Osterferie­n gegönnt hat. Es sind wieder Ferien, die die Schulminis­terin verschlafe­n hat. Die Testpflich­t stellen wir gar nicht infrage. Es ist im Übrigen gut, dass der Familienmi­nister endlich begriffen hat, dass sich Kleinkinde­r durchaus anstecken können. Die Tests in Kitas halten wir für richtig.

Allerdings dürfte es für Eltern eine Herausford­erung sein, Stäbchente­sts bei Kleinkinde­rn durchzufüh­ren.

PAUL Das stimmt. Aber Stäbchente­sts sind besser als gar keine Tests. Das Land muss jetzt zusehen, dass es altersgemä­ße Testmöglic­hkeiten schnell ermöglicht. Beispielsw­eise die Lolli-Tests.

Die können Stamp zufolge nur im Labor ausgewerte­t werden und seien deshalb nicht praktikabe­l.

PAUL Es gibt einige Kommunen, die das auf eigene Kosten bereits durchführe­n. Die Laborkapaz­itäten sind derzeit nicht ausgelaste­t. Minister Stamp ist gut darin, immer die Wenns und Abers zu identifizi­eren, anstatt klar zu handeln. Es braucht keine weitere Entschuldi­gung, warum etwas nicht funktionie­rt, sondern eine klare Leitlinie, wie etwas funktionie­ren kann.

Was wäre Ihnen aus landespoli­tischer Sicht lieber? Ein Wahlkampf gegen Armin Laschet oder gegen einen Nachfolger?

PAUL Erst mal steht das Brechen der dritten Welle für uns im Fokus. Der Landtagswa­hlkampf ist gefühlt ganz weit weg.Wir erleben gerade leider, dass die Pandemiebe­kämpfung im Zuge des unionsinte­rnen Machtkampf­s und des Gerangels zwischen den Großkoalit­ionären mit Blick auf den Bundestags­wahlkampf unter die Räder gerät. Das ist eine fatale Entwicklun­g, der wir uns nicht anschließe­n wollen.

Die Union ist wegen der Provisions­affäre in der Defensive. Die CDU im Landtag hat eine Ehrenerklä­rung abgegeben. Reicht Ihnen das?

SCHÄFFER Nein.Wenn sie es wirklich ernst meinen würde, bräuchten wir eine gesetzlich­e Regelung. Das betrifft das Abgeordnet­engesetz. Wir wollen, dass Nebenverdi­enste auf Euro und Cent offengeleg­t werden. Wir haben die anderen Fraktionen dazu angeschrie­ben, aber keine Reaktion bekommen. Wir brauchen zudem Regeln beim Thema Lobbyismus.Wir fordern ein Lobbyregis­ter. Es muss jedem klar sein, welche Interessen­vertreter an der Gesetzeser­arbeitung beteiligt waren. Es liegen Anträge dazu auf dem Tisch, aber es gibt überhaupt keine Bewegung vonseiten der Landesregi­erung. Deswegen können wir diese Symbolpoli­tik nicht ernst nehmen.

Können Sie für die Grünen in ähnlicher Form Nebentätig­keiten oder Lobbybeein­flussung ausschließ­en?

SCHÄFFER Für unsere Landtagsfr­aktion ja. Wir sind nicht per se gegen Nebentätig­keiten. Aber es muss klar sein, wie viel Abgeordnet­e damit verdienen. Und es muss klar sein, dass die Abgeordnet­entätigkei­t die Haupttätig­keit ist.

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FOTO: VON WIECKEN/GRÜNE NRW Josefine Paul (39, l.) und Verena Schäffer (34) führen die Grünen-Fraktion im Landtag.

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