Altenheime sind die Brennpunkte der Pandemie. Ein Haus, das schwer getroffen wurde, ist das DRK-Zentrum in Wersten. Wie es den Menschen dort heute geht – und der schwierige Weg zurück zur Normalität nach der Impfung.
WERSTEN Es gab einen Moment, da konnte Martin Schepers nicht anders, als sich hinzusetzen und zu weinen. Das war im Dezember, kurz nach Weihnachten. Die Feiertage hatte er mit Arbeit verbracht. Er hatte Schutzkittel an- und ausgezogen, Handschuhe gewechselt, immer eine Maske getragen, um die Bewohnerinnen und Bewohner des DRK-Seniorenzentrums in Wersten zu versorgen. Zehn hatten sich mit dem Coronavirus infiziert, die dritte Etage war isoliert, alle mussten auf ihren Zimmern bleiben. Alle fünf Minuten klingelte das Telefon, weil die Angehörigen wissen wollten, wie es ihren Omas und Opas, Müttern und Vätern geht. Und als wäre das alles nicht schon trüb genug, fiel eines Abends der Strom aus. Zwei Stunden lang lag das Altenheim im Dunkeln – und Martin Schepers setzte sich hin und weinte.
Jetzt, drei Monate später, scheint die Sonne im Garten des Heims, im Beet recken die Blumen ihre Köpfe in die Höhe, ein Windrad steht still. Es herrscht wieder mehr Leben im Seniorenzentrum und gleichzeitig ist es stiller geworden. Zwei Menschen haben die Pandemie nicht überlebt. Eine Frau starb, nachdem sie bereits die erste Spritze der Corona-Schutzimpfung erhalten hatte. Zwei Tage später folgte der positive Abstrich. „Uns wäre einiges erspart geblieben, hätten wir die Impfungen zwei Monate vorher bekommen“, sagt Pfleger Martin Schepers.
Das DRK-Seniorenzentrum in Wersten ist eines der Häuser, die die Corona-Pandemie besonders schwer getroffen hat. In Düsseldorf starben insgesamt 23 Senioren, obwohl sie die Erstimpfung bekommen hatten, und in zwei Altenheimen kam es zu Ausbrüchen, nachdem die Impftermine verschoben worden waren.
Die Ausbrüche in Wersten, die im Dezember begannen, kamen nicht mit einem Knall, sie schlichen durch das Haus, von Tür zu Tür. Am 11. Dezember meldete die Stadt, dass in dem Altenheim drei Personen infiziert sind, ein Bewohner und zwei Mitarbeiter, im Januar waren es bis zu 17 Infizierte gleichzeitig. Insgesamt steckten sich 23 Personen mit dem Virus an, zwei Wochen lang wurde das Haus komplett isoliert.
Wie die Krankheit in das Altenheim gelangen konnte, ist nicht ganz klar. Es könnten Besucher gewesen sein, Beschäftigte oder die Bewohner selbst. Das Seniorenzentrum sei ein „offenes Haus“, die Bewohner gehen teilweise selbst einkaufen. Ein Großteil ist demenzkrank – sie können nicht aufmerksam durch das Haus laufen und Abstand halten. Um die Senioren zu schützen, tue man alles. Die Bewohner werden wöchentlich getestet, die Beschäftigten dreimal in der Woche. Auch Besucher brauchen einen Termin und einen negativen Schnelltest, bevor sie das Haus betreten dürfen. Aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es eben nicht.
Auch Waltraud Gielissen hatte sich mit dem Coronavirus angesteckt. Die 94-Jährige hört schwer und kann nicht mehr so gut laufen wie früher einmal, aber ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet. Als der Strom ausfiel, lag sie krank in ihrem 14 Quadratmeter großen Zimmer in Quarantäne. Es waren nicht die Corona-Symptome, die ihr in Erinnerung geblieben sind. „Ich war praktisch eingeschlossen“, sagt sie. „Das war das Schlimmste, dieses Eingesperrtsein.“Statt mit ihren beiden Enkeltöchtern Weihnachten zu feiern, blieben ihnen nur Telefonate. Wenn ein Pfleger ihr Zimmer betrat, dann nur in so viel Schutzkleidung gehüllt, dass sie fragen musste, wer das nun eigentlich ist.
„Wir haben gesehen, was Corona anrichten kann. Vom Kampf mit der Krankheit bis zum Tod war alles dabei“, sagt Martin Schepers. „Für uns alle in der Pflege ist klar, dass das mit einer Grippe nichts zu tun hat.“Auch Betreuer hatten sich infiziert, zeigten starke Symptome, haben teilweise heute noch mit den
Folgen zu kämpfen, erzählt er. Waltraud Gielissen geht es heute wieder gut. Wegen ihrer Infektion hat sie noch keine Corona-Schutzimpfung bekommen, das kann erst in einem halben Jahr nachgeholt werden. In den DRK-Häusern sind aber mittlerweile 80 Prozent aller Bewohner geimpft, beim Personal liegt die Quote bei 70 Prozent. „Für mich war klar, dass Impfen der einzige Weg ist“, sagt Pfleger Martin Schepers.
Auch in den anderen Altenheimen in Düsseldorf sind die Impfungen beinahe abgeschlossen. Rund 10.000 Menschen leben und arbeiten in den Düsseldorfer Einrichtungen – bis auf wenige Ausnahmen haben die Impfwilligen die zweite Spritze bekommen, heißt es von der Stadt. An Lockerungen tasten sich die Heime aber nur langsam heran. Sie sind nicht nur vorsichtig, sondern auch ängstlich. Ansteckungen sind immer noch möglich und die gesundheitlichen Auswirkungen nicht zu kalkulieren, sagt eine Sprecherin der Caritas. „Wir stellen fest, dass bei den hochbetagten Menschen nach wie vor ein hohes Sicherheitsbedürfnis besteht.“Sitzgymnastik, Kegeln, Gemeinschaftsspiele, Bastelkreise laufen darum nur langsam wieder an.
AuchWaltraud Gielissen geht wieder raus, sie hat ihre Enkeltöchter wiedergesehen, gemeinsam gehen sie spazieren. Im DRK-Zentrum in Wersten gab es außerdem einen
Spieletag, Kino, einen Musiknachmittag – das erste Mal seit Beginn der Pandemie. Natürlich alles mit beschränkter Teilnehmerzahl und Maskenpflicht gilt weiterhin im gesamten Haus. „Die Situation ist angespannt entspannt“, sagt Martin Schepers. Denn immer wieder stecken sich Beschäftigte im privaten
Umfeld an, berichten die Einrichtungen unisono. Die Impfquote liegt hier in allen Häusern deutlich unter der der Bewohner. Und auch wer neu in ein Heim zieht, muss erst einmal warten. Der mobile Impfdienst rückt in der Regel erst ab sechs Personen aus.
Auch im Seniorenzentrum Am Königshof hatte es einen großen Ausbruch gegeben, 33 von 80 Bewohnern erkrankten. Eigentlich hätte im Januar dort die Impfaktion stattfinden sollen, der Termin musste aber wegen eines Lieferengpasses verschoben werden – sieben Personen starben. Für alle Opfer der Corona-Pandemie wurde an der Graf-Recke-Kirche in Wittlaer ein Gedenkort eröffnet, im Seniorenzentrum Am Königshof gab es eine kleine Gedenkfeier. Umarmen durften sich die Trauernden nicht, doch sie ließen für jeden Verstorbenen einen Ballon in den Himmel steigen.