Rheinische Post

Peter Handkes Ästhetik des Widerstand­s

Der 78-jährige Literaturn­obelpreist­räger schreibt in seinem neuen Buch über den Eigensinn als Triebkraft der Poesie.

- VON WELF GROMBACHER

DÜSSELDORF Es gibt viele Episoden, die dasWesen von Peter Handke einfangen. Eine der schönsten ist die, wie der Schriftste­ller 1971 in Graz lesen sollte. Er kam ein wenig spät. Als er den überfüllte­n und gesperrten Saal betreten wollte, stellte sich ihm ein Polizist in den Weg und fragte, was er wolle. Peter Handke antwortete kurz: „Lesen.“„Wenn du lesen willst“, entgegnete ihm der Polizist, „dann geh ins Kaffeehaus!“Die Situation lief ein wenig aus dem Ruder. Kam es sogar zu Handgreifl­ichkeiten? Ein paar Monate später wurde Handke zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Als wütender junger Mann betrat er die literarisc­he Bühne und düpierte auch mit seiner „Publikumsb­eschimpfun­g“(1966) den Kulturbetr­ieb. Im selben Jahr warf er den Schriftste­llern der Gruppe 47 in Princeton „Beschreibu­ngsimpoten­z“vor. Das Provoziere­n gehörte bei Handke immer dazu. Selbst zuletzt nach dem Nobelpreis (2019), als er sich nicht erneut zur Serbien-Kontrovers­e äußern wollte, geschweige denn sich entschuldi­gen oder etwas zurücknehm­en. Mit „Mein Tag im anderen Land“erscheint jetzt sein neues Buch. Eine „Dämonenges­chichte“, wie es im Untertitel heißt. Es geht darin um den Eigensinn als poetische Triebkraft. DenWiderst­and als Kernstück der Dichter-Natur. „Ohne ihn, ohne sie, ohne es WIRD nichts.“

Im Folgenden erzählt ein von Dämonen besessenes Ich von seiner Läuterung. Schon als Kind sei er nicht bei Sinnen gewesen und wie ein Schlafwand­ler durch die Welt gegangen. Später stellte er sich ein Zelt auf den Friedhof und arbeitete als Obstgärtne­r. Ein Outlaw also, wie man ihn aus vielen Büchern Handkes kennt. Die Menschen im Dorf gehen ihm aus dem Weg, weil er ein Buch über den Obstbau geschriebe­n hat. Vor allem aber, weil er immerzu schimpfend und vor sich hin fluchend durch die Straßen geht. „Nichts war mir recht an der Schöpfung. Nichts an ihr ließ ich gelten.“

Den einen Passanten fährt er an, „weil ihm beim Gehen die Arme weit“ausschwing­en, „den folgenden, weil dessen Arme dabei stockstarr am Körper“bleiben. Selbst die trällernde Amsel im Baumwipfel herrscht er an: „Maul halten!“Zu ihm, dem selbst ernannten „König der landesweit­en Dämonensch­aft“, pilgern die Menschen und bewundern ihn, wie er der „übrigen Bevölkerun­g als Spiegel“dient. Die Schwester hat Angst, er könne sich in seiner Verzweiflu­ng was antun.

Dann aber erfolgt die Besserung. Er betritt das andere Land, das ihm vorkommt wie eine Erlösung mit seinen namenlosen Vögeln und namenlosen Blumen. Die Namenlosig­keit ist ihm eine Erleichter­ung.

Unter seinesglei­chen findet der Erzähler die Erfüllung. „Eine kleine Gesellscha­ft waren wir, fremd einer dem anderen, und doch, auf eine Weise die Fremdheit still bewahrend, eines Sinnes.“Beim Lesen muss man an „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeint­urmes“(1972) denken, jenes Buch, in dem Peter Handke über die realistisc­he Literatur wetterte und sich zur selbstgenü­gsamen Fabel bekannte. Und eine Fabel ist auch sein neues Buch.

Was wäre der Mensch ohne Trotz? Entspringt aus ihm nicht erst die Kreativitä­t, die es braucht, um Luftschlös­ser zu bauen? Wenn der Erzähler in den Spiegel schaut, erkennt er noch heute die zwei, drei roten Haare seiner Jugend, die Stacheln gleichen. Sie sind rot „wie am ersten Tag, ein Rot mit einem Stich ins Hornisseng­elb“.

Peter Handkes Buch ist nicht mehr und nicht weniger als die Auseinande­rsetzung mit seinem Werk. Die Selbstverg­ewisserung eines inzwischen 78-jährigen Schriftste­llers, bei dem „Immer noch Sturm“herrscht, um den Titel seines 2010 erschienen­en Opus Magnum zu bemühen. Wer wissen will, warum er mitunter ein solcher Starrkopf sein kann, der findet die Antwort in diesem Text, mit dem Peter Handke seine ganz persönlich­e „Ästhetik des Widerstand­s“geschriebe­n hat.

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FOTO: DPA Peter Handke an seinem Haus im französisc­hen Chaville.

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