Die 750-Millionen-Euro-Frage
Gut ist, dass jetzt eine breite Diskussion um die Zukunft der Düsseldorfer Oper begonnen hat und dass auch die erwarteten Sanierungs- oder Investitionskosten auf dem Tisch liegen. Nicht so gut ist, die Debatte jetzt auf potenzielle Standorte zu verengen, sich um Neubau oder Sanierung zu streiten. Das lenkt ab und verstellt den Blick auf Grundsätzliches.
Als Bürgerinnen und Bürger sollten wir uns fragen: Macht ein „neues“Opernhaus die Kunst- und Kulturszene lebendiger, vielfältiger und unser Leben reicher? Gäbe es Alternativen, die es auch wert sind, berücksichtigt zu werden? Mich interessiert die Debatte als gebürtiger Düsseldorfer, der die Lebensqualität seiner Heimatstadt schätzt, ich spreche nicht für eine Gruppe oder Institution. Auf dem Gebiet der Oper bin ich Laie, habe aber ein wenig Erfahrung im Kulturbereich, sowohl beruflich als auch politisch. Die bringe ich gerne ein, vor allem, weil mich zahlreiche Fragen bewegen.
750 Millionen Euro – wenn es denn dabei bleiben sollte – sind viel Holz, auch für eine im Prinzip reiche Stadt wie Düsseldorf. Sprach unser neuer OB Keller nicht vor ein paar Tagen davon, pandemiebedingt in den nächsten Jahren im städtischen Haushalt sparen zu müssen?
Muss ein Opernhaus so aufwendig und teuer geplant werden? Ich halte den Bilbao-Effekt – ein außergewöhnliches Kultur-Bauwerk zieht überdurchschnittlich viele auswärtige Besucherinnen und Besucher an – für wenig relevant, denn hier in der Region sind wir mit mehr als zehn Opernspielstätten im Radius von weniger als 100 Kilometern nicht gerade unterversorgt.
Die Düsseldorfer Oper – wie andere Opern auch – wird nur von einem kleinen Kreis wirklich besucht. Eine Bürgerbefragung des Amtes für Statistik der Stadt Düsseldorf nannte 2017 die Zahl von fünf Prozent Intensivbesucherinnen und -besuchern und 16 Prozent gelegentlichen Gästen, sprich: 79 Prozent nutzen sie nicht. Andere Untersuchungen kommen zu dem Schluss, das Opernpublikum sei überwiegend gut gebildet, wenig divers, überdurchschnittlich alt und leider „vom Aussterben bedroht“.
Ist das die Basis, sehr viel Geld in Beton, Glas und Stahl für einen speziellen Aufführungsort zu investieren, zudem ja für die eigentliche Kunst, den weitaus größten Einzelposten des Kulturetats, noch einmal 30 Millionen im Jahr hinzukommen? Was bleibt dann noch für die Modernisierung der in die Jahre gekommenen städtischen Kulturinstitute, für Projekte wie das Werkkunst-Haus oder neue Spielflächen der freien Szene?Wenn man grundsätzlich bereit ist, eine größere Summe für Kunst und Kultur aufzubringen, wäre es dann nicht an der Zeit, sehr viel breiter zu denken und auch andere Formate einzubeziehen?
Im Spielplan der Elbphilharmonie, die gern als Referenzobjekt erwähnt wird, treten mittlerweile immer mehr Künstlerinnen und Künstler aus dem Genre der Popularmusik auf, und ohne diese würde sich der Betrieb vermutlich noch weniger rechnen. Sollte ein „Opernhaus der Zukunft“nicht der Ort für einen weitaus größeren Teil der Stadtgesellschaft sein, etwas entrümpelt vom Ballast der Tradition und Konvention? Auch für junge
Menschen, für Menschen mit diversen kulturellen Hintergründen, für ein Publikum, welches sich bislang nicht für diese Kunstform interessiert oder schlichtweg meidet, aus Scheu, sich fehl am Platze zu fühlen?
Dafür braucht es einen längeren Diskussions-, Streit- und Verständigungsprozess, an dem viele Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind. Argumente, Ideen, aber auch Kritik müssen dafür ausgetauscht werden, möglichst mit Respekt, mit Sachkunde, vor allem aber transparent und nachvollziehbar. Das braucht Zeit und Engagement, am Ende könnte dann eine wirkliche Bürgerentscheidung stehen, auf deren Grundlage dann Fachleute die Detailfragen wie Standort oder Neubau klären.
Bei der Kommunalwahl haben sich fast alle Parteien mit konkreten Aussagen zurückgehalten, auch das schwarz-grüne Kooperationspapier ist zu dieser 750-Millionen-Frage sehr unbestimmt, so akut scheint der Druck ja nicht zu sein. Der nächste Schritt könnte sein, die bisherigen Gutachten, Pläne und Vorstellungen inklusive möglicher Alternativen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Was wäre mit einer Umfrage speziell unter jüngeren Menschen, die das Haus in Zukunft nutzen und bezahlen sollen?
Es gibt viele offene Fragen. Zeit, sich einzumischen für die Zukunft eines lebendigen und vielfältigen Kulturangebotes in unserer Stadt.