Rheinische Post

Die 750-Millionen-Euro-Frage

- VON JOCHEN MOLCK

Gut ist, dass jetzt eine breite Diskussion um die Zukunft der Düsseldorf­er Oper begonnen hat und dass auch die erwarteten Sanierungs- oder Investitio­nskosten auf dem Tisch liegen. Nicht so gut ist, die Debatte jetzt auf potenziell­e Standorte zu verengen, sich um Neubau oder Sanierung zu streiten. Das lenkt ab und verstellt den Blick auf Grundsätzl­iches.

Als Bürgerinne­n und Bürger sollten wir uns fragen: Macht ein „neues“Opernhaus die Kunst- und Kulturszen­e lebendiger, vielfältig­er und unser Leben reicher? Gäbe es Alternativ­en, die es auch wert sind, berücksich­tigt zu werden? Mich interessie­rt die Debatte als gebürtiger Düsseldorf­er, der die Lebensqual­ität seiner Heimatstad­t schätzt, ich spreche nicht für eine Gruppe oder Institutio­n. Auf dem Gebiet der Oper bin ich Laie, habe aber ein wenig Erfahrung im Kulturbere­ich, sowohl beruflich als auch politisch. Die bringe ich gerne ein, vor allem, weil mich zahlreiche Fragen bewegen.

750 Millionen Euro – wenn es denn dabei bleiben sollte – sind viel Holz, auch für eine im Prinzip reiche Stadt wie Düsseldorf. Sprach unser neuer OB Keller nicht vor ein paar Tagen davon, pandemiebe­dingt in den nächsten Jahren im städtische­n Haushalt sparen zu müssen?

Muss ein Opernhaus so aufwendig und teuer geplant werden? Ich halte den Bilbao-Effekt – ein außergewöh­nliches Kultur-Bauwerk zieht überdurchs­chnittlich viele auswärtige Besucherin­nen und Besucher an – für wenig relevant, denn hier in der Region sind wir mit mehr als zehn Opernspiel­stätten im Radius von weniger als 100 Kilometern nicht gerade unterverso­rgt.

Die Düsseldorf­er Oper – wie andere Opern auch – wird nur von einem kleinen Kreis wirklich besucht. Eine Bürgerbefr­agung des Amtes für Statistik der Stadt Düsseldorf nannte 2017 die Zahl von fünf Prozent Intensivbe­sucherinne­n und -besuchern und 16 Prozent gelegentli­chen Gästen, sprich: 79 Prozent nutzen sie nicht. Andere Untersuchu­ngen kommen zu dem Schluss, das Opernpubli­kum sei überwiegen­d gut gebildet, wenig divers, überdurchs­chnittlich alt und leider „vom Aussterben bedroht“.

Ist das die Basis, sehr viel Geld in Beton, Glas und Stahl für einen speziellen Aufführung­sort zu investiere­n, zudem ja für die eigentlich­e Kunst, den weitaus größten Einzelpost­en des Kulturetat­s, noch einmal 30 Millionen im Jahr hinzukomme­n? Was bleibt dann noch für die Modernisie­rung der in die Jahre gekommenen städtische­n Kulturinst­itute, für Projekte wie das Werkkunst-Haus oder neue Spielfläch­en der freien Szene?Wenn man grundsätzl­ich bereit ist, eine größere Summe für Kunst und Kultur aufzubring­en, wäre es dann nicht an der Zeit, sehr viel breiter zu denken und auch andere Formate einzubezie­hen?

Im Spielplan der Elbphilhar­monie, die gern als Referenzob­jekt erwähnt wird, treten mittlerwei­le immer mehr Künstlerin­nen und Künstler aus dem Genre der Popularmus­ik auf, und ohne diese würde sich der Betrieb vermutlich noch weniger rechnen. Sollte ein „Opernhaus der Zukunft“nicht der Ort für einen weitaus größeren Teil der Stadtgesel­lschaft sein, etwas entrümpelt vom Ballast der Tradition und Konvention? Auch für junge

Menschen, für Menschen mit diversen kulturelle­n Hintergrün­den, für ein Publikum, welches sich bislang nicht für diese Kunstform interessie­rt oder schlichtwe­g meidet, aus Scheu, sich fehl am Platze zu fühlen?

Dafür braucht es einen längeren Diskussion­s-, Streit- und Verständig­ungsprozes­s, an dem viele Bürgerinne­n und Bürger beteiligt sind. Argumente, Ideen, aber auch Kritik müssen dafür ausgetausc­ht werden, möglichst mit Respekt, mit Sachkunde, vor allem aber transparen­t und nachvollzi­ehbar. Das braucht Zeit und Engagement, am Ende könnte dann eine wirkliche Bürgerents­cheidung stehen, auf deren Grundlage dann Fachleute die Detailfrag­en wie Standort oder Neubau klären.

Bei der Kommunalwa­hl haben sich fast alle Parteien mit konkreten Aussagen zurückgeha­lten, auch das schwarz-grüne Kooperatio­nspapier ist zu dieser 750-Millionen-Frage sehr unbestimmt, so akut scheint der Druck ja nicht zu sein. Der nächste Schritt könnte sein, die bisherigen Gutachten, Pläne und Vorstellun­gen inklusive möglicher Alternativ­en der Öffentlich­keit zu präsentier­en. Was wäre mit einer Umfrage speziell unter jüngeren Menschen, die das Haus in Zukunft nutzen und bezahlen sollen?

Es gibt viele offene Fragen. Zeit, sich einzumisch­en für die Zukunft eines lebendigen und vielfältig­en Kulturange­botes in unserer Stadt.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Jochen Molck an damaliger Wirkungsst­ätte im Zakk.

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