Rheinische Post

Mehr Macht für den Bund

Die Bundesregi­erung will mit den Ländern zu einer einheitlic­hen Lösung im Kampf gegen Corona gelangen. Die Notbremse soll automatisc­h zur Anwendung kommen. Doch es gibt Bedenken.

- VON JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL

Angesichts stark steigender Infektions­zahlen und ausgelaste­ter Intensivst­ationen will die Bundesregi­erung automatisc­he und bundesweit einheitlic­he Regelungen für harte Corona-Maßnahmen durchsetze­n. Dazu will der Bund gemeinsam mit den Ländern eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes beschließe­n.

Im Kern sieht es vor, die Notbremse ab 100 Neuinfekti­onen je 100.000 Einwohner undWoche in Landkreise­n und kreisfreie­n Städten automatisc­h greifen zu lassen, mit der umfangreic­he Schließung­en und Beschränku­ngen einhergehe­n.

Bereits am Dienstag will das Bundeskabi­nett einen entspreche­nden Vorschlag auf denWeg bringen. Kurz danach sollen sich Bundestag und Bundesrat damit befassen. Vorgesehen sind etwa nächtliche Ausgangs- und Kontaktbes­chränkunge­n. Die Regierungs­fraktionen und die Länder hätten diesem Weg zugestimmt, sagte die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer am Freitag. Alle Fraktionen im Bundestag sollten einbezogen werden, auch um mögliche Fristverkü­rzungen für eine schnelle Verabschie­dung des Gesetzes zu erreichen.

Geklärt werden muss nun, was alles unter die Notbremse fallen soll, die bisher auch die Rücknahme von Öffnungssc­hritten vorsieht. „Abstandsge­bote, Maskenpfli­cht, Ausgangs- und Kontaktbes­chränkunge­n sollten bundeseinh­eitlich geregelt werden“, hatte etwa der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) gesagt. Dies würde aber etwa Regeln für Schulen und Einzelhand­el in Länderhand lassen.

Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) sagte, eine bundesweit­e Regelung sei „richtig und vernünftig“, aber auch notwendig, damit die Regelungen – etwa Ausgangssp­erren – vor Gericht besser Bestand hätten. Einig scheint man sich mit den Ländern zu sein, dass diese unterhalb einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 selbst über Modellproj­ekte entscheide­n können.

Die Ministerpr­äsidenten von Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz, Winfried Kretschman­n (Grüne) und Malu Dreyer (SPD), begrüßten die Absage der bislang für Montag geplanten Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Kritik kam hingegen von Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke).

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach unterstütz­te den Vorstoß, kritisiert­e aber eine noch fehlende Testpflich­t an Schulen. „Wichtig ist, dass im parlamenta­rischen Verfahren an den Ausgangsbe­schränkung­en, den geschlosse­nen Geschäften und einer Testpflich­t in

Unternehme­n festgehalt­en wird“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. „Was bislang fehlt, ist eine Testpflich­t an Schulen. Die ist aber zwingend notwendig, um Präsenzunt­erricht wirklich verantwort­en zu können. Kinder können Opfer langjährig­er Corona-Schäden werden, wie aktuelle Studien zeigen.“

Sowohl Gesundheit­sminister Jens Spahn als auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnten vor einer Überlastun­g des Gesundheit­ssystems, weil die Zahl der Intensivpa­tienten in den kommendenW­ochen steigen werde.„Wenn wir nicht in einen Lockdown gehen und die Mobilität stärker einschränk­en, dann werden die Zahlen steigen und viele Menschen ihr Leben verlieren“, warnte Wieler. Das RKI meldete zugleich einen neuen Impfrekord: Am Donnerstag seien 719.927 Impfungen verabreich­t worden.

Kanzlerin Angela Merkel hatte schon vor knapp zweiWochen einen härteren Kurs von den Ländern gefordert und notfalls mit einer bundeseinh­eitlichen Regelung gedroht.

Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) wies die Vorwürfe der Kanzlerin zurück.„Wir befinden uns bereits seit November in einem Lockdown. Jedes einzelne Bundesland hat Regelungen für eine Notbremse festgeschr­ieben und auch umgesetzt“, sagte Haseloff unserer Redaktion. „Jetzt sollte der Bund seine bereits bestehende­n Möglichkei­ten ausschöpfe­n.“Zudem müsse der Bund die Impfstoffv­ersorgung sicherstel­len.

Neben Merkel hatten auch Laschet und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) einen kurzen harten Lockdown gefordert. Dieser wird aber von SPD- und einigen CDU-geführten Bundesländ­ern abgelehnt. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) hatte noch am Donnerstag betont, er sei gegen einen bundesweit­en Lockdown, weil sich die Lage in Niedersach­sen entspanne.

Die FDP will nach den Worten ihres Partei- und Fraktionsc­hefs Christian Lindner in den parlamenta­rischen Verhandlun­gen über Änderungen am Infektions­schutzgese­tz darauf hinwirken, dass der Bund keine unverhältn­ismäßig harten Corona-Regeln verhängen kann. „Für die FDP-Fraktion ist selbstvers­tändlich, dass wir uns konstrukti­v in die Beratungen über eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes einbringen werden“, sagte Lindner. „Es geht aber um die Verhältnis­mäßigkeit dieser Regeln. Denn aus einer Notbremse darf kein Anlass für einen unverhältn­ismäßigen Lockdown werden“, sagte Lindner.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Die Konferenz der Ministerpr­äsidenten fällt aus, die Stühle im Kanzleramt bleiben leer. Mit einer Änderung des Infektions­schutzgese­tzes soll der Bund mehr Macht bekommen.

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