Mehr Macht für den Bund
Die Bundesregierung will mit den Ländern zu einer einheitlichen Lösung im Kampf gegen Corona gelangen. Die Notbremse soll automatisch zur Anwendung kommen. Doch es gibt Bedenken.
Angesichts stark steigender Infektionszahlen und ausgelasteter Intensivstationen will die Bundesregierung automatische und bundesweit einheitliche Regelungen für harte Corona-Maßnahmen durchsetzen. Dazu will der Bund gemeinsam mit den Ländern eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschließen.
Im Kern sieht es vor, die Notbremse ab 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner undWoche in Landkreisen und kreisfreien Städten automatisch greifen zu lassen, mit der umfangreiche Schließungen und Beschränkungen einhergehen.
Bereits am Dienstag will das Bundeskabinett einen entsprechenden Vorschlag auf denWeg bringen. Kurz danach sollen sich Bundestag und Bundesrat damit befassen. Vorgesehen sind etwa nächtliche Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Die Regierungsfraktionen und die Länder hätten diesem Weg zugestimmt, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag. Alle Fraktionen im Bundestag sollten einbezogen werden, auch um mögliche Fristverkürzungen für eine schnelle Verabschiedung des Gesetzes zu erreichen.
Geklärt werden muss nun, was alles unter die Notbremse fallen soll, die bisher auch die Rücknahme von Öffnungsschritten vorsieht. „Abstandsgebote, Maskenpflicht, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sollten bundeseinheitlich geregelt werden“, hatte etwa der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gesagt. Dies würde aber etwa Regeln für Schulen und Einzelhandel in Länderhand lassen.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, eine bundesweite Regelung sei „richtig und vernünftig“, aber auch notwendig, damit die Regelungen – etwa Ausgangssperren – vor Gericht besser Bestand hätten. Einig scheint man sich mit den Ländern zu sein, dass diese unterhalb einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 selbst über Modellprojekte entscheiden können.
Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD), begrüßten die Absage der bislang für Montag geplanten Ministerpräsidentenkonferenz. Kritik kam hingegen von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke).
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach unterstützte den Vorstoß, kritisierte aber eine noch fehlende Testpflicht an Schulen. „Wichtig ist, dass im parlamentarischen Verfahren an den Ausgangsbeschränkungen, den geschlossenen Geschäften und einer Testpflicht in
Unternehmen festgehalten wird“, sagte Lauterbach unserer Redaktion. „Was bislang fehlt, ist eine Testpflicht an Schulen. Die ist aber zwingend notwendig, um Präsenzunterricht wirklich verantworten zu können. Kinder können Opfer langjähriger Corona-Schäden werden, wie aktuelle Studien zeigen.“
Sowohl Gesundheitsminister Jens Spahn als auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, warnten vor einer Überlastung des Gesundheitssystems, weil die Zahl der Intensivpatienten in den kommendenWochen steigen werde.„Wenn wir nicht in einen Lockdown gehen und die Mobilität stärker einschränken, dann werden die Zahlen steigen und viele Menschen ihr Leben verlieren“, warnte Wieler. Das RKI meldete zugleich einen neuen Impfrekord: Am Donnerstag seien 719.927 Impfungen verabreicht worden.
Kanzlerin Angela Merkel hatte schon vor knapp zweiWochen einen härteren Kurs von den Ländern gefordert und notfalls mit einer bundeseinheitlichen Regelung gedroht.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wies die Vorwürfe der Kanzlerin zurück.„Wir befinden uns bereits seit November in einem Lockdown. Jedes einzelne Bundesland hat Regelungen für eine Notbremse festgeschrieben und auch umgesetzt“, sagte Haseloff unserer Redaktion. „Jetzt sollte der Bund seine bereits bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen.“Zudem müsse der Bund die Impfstoffversorgung sicherstellen.
Neben Merkel hatten auch Laschet und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen kurzen harten Lockdown gefordert. Dieser wird aber von SPD- und einigen CDU-geführten Bundesländern abgelehnt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte noch am Donnerstag betont, er sei gegen einen bundesweiten Lockdown, weil sich die Lage in Niedersachsen entspanne.
Die FDP will nach den Worten ihres Partei- und Fraktionschefs Christian Lindner in den parlamentarischen Verhandlungen über Änderungen am Infektionsschutzgesetz darauf hinwirken, dass der Bund keine unverhältnismäßig harten Corona-Regeln verhängen kann. „Für die FDP-Fraktion ist selbstverständlich, dass wir uns konstruktiv in die Beratungen über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes einbringen werden“, sagte Lindner. „Es geht aber um die Verhältnismäßigkeit dieser Regeln. Denn aus einer Notbremse darf kein Anlass für einen unverhältnismäßigen Lockdown werden“, sagte Lindner.