Kultur, Kinder und Corona
Die Corona-Pandemie zwingt uns zum Umdenken in vielen Bereichen. Das ist die große Chance, jetzt die Weichen für digitale Bildung und kulturelle Teilhabe vor allem auch für junge Menschen richtig zu stellen.
Die Pandemie gräbt ihre Spuren in unsere Gesellschaft. Sie hat uns Grenzen in vielen Bereichen aufgezeigt und zwingt uns neue Wege auf. Auch im Bildungssektor verlaufen die Furchen immer tiefer. Seit nunmehr über einem Jahr kommen Lehre und Lernen für Kinder und Jugendliche viel zu kurz. Das lässt sich kaum schönreden.
Auch wenn vielerorts digitaler Unterricht und Lernen auf Distanz Fortschritte gemacht haben: Viele Bereiche sind nahezu völlig aus dem Blick geraten. Tanzen, Musizieren, Singen, Theaterspielen sind bestenfalls reduziert auf gemeinsame Distanzerlebnisse. Die Liste des kulturellen Verzichts lässt sich weit fortschreiben. Besonders die Erfahrungen in Gruppen fallen seit Monaten ersatzlos weg. Was dies mit der Gesellschaft und besonders mit Heranwachsenden macht, werden Forscher wohl erst in Jahren benennen können.
Sicher ist: Die Pandemie hat das Auseinanderklaffen der Schere zwischen bildungsnahen und -fernen Schichten weiter befördert. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich der Rat für kulturelle Bildung in seiner aktuellen Handreichung für die Politik einmal mehr der jungen Generation angenommen. In seiner aktuellen Veröffentlichung beschäftigt sich das unabhängige Expertengremium mit dem Kulturraum Kindheit und Jugend.
Kulturelle Bildung ist ein öffentliches Gut und sollte ein selbstverständlicher Teil des Aufwachsens sein, mahnen die Fachleute. Aber wie soll das funktionieren in diesen Zeiten? Das Gremium beleuchtet die Frage aus zwei Perspektiven. Die erste hängt eng mit der aktuellen Krise zusammen: „Klar ist, dass wir nach der Pandemie nie wieder zurück in die Situation vom März 2020 kommen werden. Wir müssen uns fragen: Welche neuen Praxen haben sich entwickelt während der Krise, und welche sind noch da?“, erklärt Lydia Grün. Sie leitet den Studiengang Musikvermittlung an der Hochschule für Musik in Detmold und ist Mitglied im Rat für kulturelle Bildung. Die Krise bedeute keine Pause. „Wir müssen jetzt die Vorbereitung für die Zukunft treffen“, so Grün.
Dazu gehört der zweite entscheidende Aspekt: der Ausbau digitaler Möglichkeiten. „Wir müssen künftig Analog und Digital als einen Raum denken“, fordert Grün. Die junge Generation tut dies längst wie selbstverständlich. Genau hier müssen daher die kulturellen Angebote der Zukunft ansetzen.„Jugendliche sagen ja nicht: ‚Kultur ist doof'“, so Grün. Aber eine gewisse „Abgrenzungstendenz zu Hochkulturangeboten“sei durchaus vorhanden. Dass junge Menschen vielfältige Interessen haben, belegen Umfragen des Gremiums bei jungen Youtube-Nutzern.
Gefragt sind nun niedrigschwellige Angebote, die Kindern und Jugendlichen den Einstieg in kulturelles Leben erleichtert und sie auf ihre Art und Weise daran teilhaben lassen. Grün:„Jugendliche möchten nicht nur aus den Medien Informationen abrufen und ungefiltert konsumieren. Sie möchten sich auch einbringen und professionell begleitet werden bei der Verarbeitung von Informationen.“
Das bedeutet aber auch: Es braucht qualifiziertes Personal. Wer mit Jugendlichen arbeitet, muss deren digitale Welt kennen. Dazu sind gut ausgebildete Menschen nötig, die keine Berührungsängste vor neuen Medien haben. „Wir brauchen neues Denken für neue Räume. Leute, die nach vorne gehen und andere mitreißen wie bei einem Schneeballeffekt“, sagt Grün. Es gibt in allen Kulturbereichen viele Menschen,
„Jugendliche sagen ja nicht: Kultur ist doof“
Lydia Grün Dozentin an der Hochschule für Musik Detmold
die engagiert mit Jugendlichen arbeiten. Sie gelte es zu unterstützen und fortzubilden. Das erklärte Prinzip des Rates lautet: Qualität durch Qualifikation. Dazu nötig sind vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld. Dass aber die Bundespolitik während und auch nach der Pandemie kulturelle Bildung ganz oben auf die Agenda stellt, ist nicht zu erwarten. Das weiß natürlich auch der Rat für kulturelle Bildung. Deshalb spricht er gezielt die Kommunen an. „Sie sind für uns der Schlüssel zu einem breiten kulturellen Angebot für Kinder und Jugendliche“, sagt Grün. Auf dieser Ebene ließen sich am ehesten praktikable und niederschwellige Angebote gestalten.
Zusammenarbeit ist das Ziel. „Wenn in einer Stadt Kulturrat, Jugendrat und der Bildungsbereich zusammenkommen und Angebote entwickeln, wäre das schon toll“, so Grün. „Wenn die Politik diese Entwicklungen unterstützt, wird das funktionieren“, davon ist sie überzeugt. Ein schönes Beispiel für gelungene kulturelle Teilhabe durch ein niederschwelliges Angebot sei etwa die Zusammenarbeit von Skatern mit dem Dortmunder U – dem Zentrum für Kunst und Kreativität.
Vor allem für Kinder aus bildungsferneren Schichten sind solche lokalen Kulturangebote essenziell. Sie haben in der Regel weniger Zugriff auf Bildung als Mädchen und Jungen etwa aus Akademikerhaushalten. Für ihren Anspruch auf kulturelle Teilhabe ist die Förderung lokaler Kulturangebote daher besonders wichtig.Wenn schon nur manche der angesprochenen Ideen künftig angepackt würden, wäre viel gewonnen.
Die Coronavirus-Pandemie wird eines Tages überwunden sein. Die finanziellen Folgen und andere Spätlasten werden die Gesellschaft noch lange beschäftigen. Was Bildung angeht, stehen die großen Verlierer schon heute fest: Es sind unsere Kinder. Deshalb sollte die Politik die Empfehlungen des Rates für kulturelle Bildung gründlich studieren. Denn die aktuelle Krise birgt auch Chancen.