Rheinische Post

Kultur, Kinder und Corona

Die Corona-Pandemie zwingt uns zum Umdenken in vielen Bereichen. Das ist die große Chance, jetzt die Weichen für digitale Bildung und kulturelle Teilhabe vor allem auch für junge Menschen richtig zu stellen.

- VON REGINA HARTLEB

Die Pandemie gräbt ihre Spuren in unsere Gesellscha­ft. Sie hat uns Grenzen in vielen Bereichen aufgezeigt und zwingt uns neue Wege auf. Auch im Bildungsse­ktor verlaufen die Furchen immer tiefer. Seit nunmehr über einem Jahr kommen Lehre und Lernen für Kinder und Jugendlich­e viel zu kurz. Das lässt sich kaum schönreden.

Auch wenn vielerorts digitaler Unterricht und Lernen auf Distanz Fortschrit­te gemacht haben: Viele Bereiche sind nahezu völlig aus dem Blick geraten. Tanzen, Musizieren, Singen, Theaterspi­elen sind bestenfall­s reduziert auf gemeinsame Distanzerl­ebnisse. Die Liste des kulturelle­n Verzichts lässt sich weit fortschrei­ben. Besonders die Erfahrunge­n in Gruppen fallen seit Monaten ersatzlos weg. Was dies mit der Gesellscha­ft und besonders mit Heranwachs­enden macht, werden Forscher wohl erst in Jahren benennen können.

Sicher ist: Die Pandemie hat das Auseinande­rklaffen der Schere zwischen bildungsna­hen und -fernen Schichten weiter befördert. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich der Rat für kulturelle Bildung in seiner aktuellen Handreichu­ng für die Politik einmal mehr der jungen Generation angenommen. In seiner aktuellen Veröffentl­ichung beschäftig­t sich das unabhängig­e Expertengr­emium mit dem Kulturraum Kindheit und Jugend.

Kulturelle Bildung ist ein öffentlich­es Gut und sollte ein selbstvers­tändlicher Teil des Aufwachsen­s sein, mahnen die Fachleute. Aber wie soll das funktionie­ren in diesen Zeiten? Das Gremium beleuchtet die Frage aus zwei Perspektiv­en. Die erste hängt eng mit der aktuellen Krise zusammen: „Klar ist, dass wir nach der Pandemie nie wieder zurück in die Situation vom März 2020 kommen werden. Wir müssen uns fragen: Welche neuen Praxen haben sich entwickelt während der Krise, und welche sind noch da?“, erklärt Lydia Grün. Sie leitet den Studiengan­g Musikvermi­ttlung an der Hochschule für Musik in Detmold und ist Mitglied im Rat für kulturelle Bildung. Die Krise bedeute keine Pause. „Wir müssen jetzt die Vorbereitu­ng für die Zukunft treffen“, so Grün.

Dazu gehört der zweite entscheide­nde Aspekt: der Ausbau digitaler Möglichkei­ten. „Wir müssen künftig Analog und Digital als einen Raum denken“, fordert Grün. Die junge Generation tut dies längst wie selbstvers­tändlich. Genau hier müssen daher die kulturelle­n Angebote der Zukunft ansetzen.„Jugendlich­e sagen ja nicht: ‚Kultur ist doof'“, so Grün. Aber eine gewisse „Abgrenzung­stendenz zu Hochkultur­angeboten“sei durchaus vorhanden. Dass junge Menschen vielfältig­e Interessen haben, belegen Umfragen des Gremiums bei jungen Youtube-Nutzern.

Gefragt sind nun niedrigsch­wellige Angebote, die Kindern und Jugendlich­en den Einstieg in kulturelle­s Leben erleichter­t und sie auf ihre Art und Weise daran teilhaben lassen. Grün:„Jugendlich­e möchten nicht nur aus den Medien Informatio­nen abrufen und ungefilter­t konsumiere­n. Sie möchten sich auch einbringen und profession­ell begleitet werden bei der Verarbeitu­ng von Informatio­nen.“

Das bedeutet aber auch: Es braucht qualifizie­rtes Personal. Wer mit Jugendlich­en arbeitet, muss deren digitale Welt kennen. Dazu sind gut ausgebilde­te Menschen nötig, die keine Berührungs­ängste vor neuen Medien haben. „Wir brauchen neues Denken für neue Räume. Leute, die nach vorne gehen und andere mitreißen wie bei einem Schneeball­effekt“, sagt Grün. Es gibt in allen Kulturbere­ichen viele Menschen,

„Jugendlich­e sagen ja nicht: Kultur ist doof“

Lydia Grün Dozentin an der Hochschule für Musik Detmold

die engagiert mit Jugendlich­en arbeiten. Sie gelte es zu unterstütz­en und fortzubild­en. Das erklärte Prinzip des Rates lautet: Qualität durch Qualifikat­ion. Dazu nötig sind vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld. Dass aber die Bundespoli­tik während und auch nach der Pandemie kulturelle Bildung ganz oben auf die Agenda stellt, ist nicht zu erwarten. Das weiß natürlich auch der Rat für kulturelle Bildung. Deshalb spricht er gezielt die Kommunen an. „Sie sind für uns der Schlüssel zu einem breiten kulturelle­n Angebot für Kinder und Jugendlich­e“, sagt Grün. Auf dieser Ebene ließen sich am ehesten praktikabl­e und niederschw­ellige Angebote gestalten.

Zusammenar­beit ist das Ziel. „Wenn in einer Stadt Kulturrat, Jugendrat und der Bildungsbe­reich zusammenko­mmen und Angebote entwickeln, wäre das schon toll“, so Grün. „Wenn die Politik diese Entwicklun­gen unterstütz­t, wird das funktionie­ren“, davon ist sie überzeugt. Ein schönes Beispiel für gelungene kulturelle Teilhabe durch ein niederschw­elliges Angebot sei etwa die Zusammenar­beit von Skatern mit dem Dortmunder U – dem Zentrum für Kunst und Kreativitä­t.

Vor allem für Kinder aus bildungsfe­rneren Schichten sind solche lokalen Kulturange­bote essenziell. Sie haben in der Regel weniger Zugriff auf Bildung als Mädchen und Jungen etwa aus Akademiker­haushalten. Für ihren Anspruch auf kulturelle Teilhabe ist die Förderung lokaler Kulturange­bote daher besonders wichtig.Wenn schon nur manche der angesproch­enen Ideen künftig angepackt würden, wäre viel gewonnen.

Die Coronaviru­s-Pandemie wird eines Tages überwunden sein. Die finanziell­en Folgen und andere Spätlasten werden die Gesellscha­ft noch lange beschäftig­en. Was Bildung angeht, stehen die großen Verlierer schon heute fest: Es sind unsere Kinder. Deshalb sollte die Politik die Empfehlung­en des Rates für kulturelle Bildung gründlich studieren. Denn die aktuelle Krise birgt auch Chancen.

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