Ausgangssperren in der Kritik
Viele Politiker fordern eine Nachbesserung der vom Bund geplanten Corona-Notbremse.
BERLIN Der Zeitplan für die erste bundesweite Corona-Notbremse sieht nun eine Verabschiedung bis Ende nächster Woche vor. Doch an den konkreten Inhalten dürfte noch intensiv gefeilt werden – und damit steht auch die Einschätzung auf der Kippe, dass die Koalitionsmehrheit die Novelle des Infektionsschutzgesetzes ohne Zustimmung des Bundesrats gestemmt bekommt.
Erhebliche Bedenken richten sich gegen die Ausgangssperren, und zwar bis in CDU-Regierungskreise hinein. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht beispielsweise nur einen geringen Einfluss von Ausgangssperren auf das Infektionsgeschehen. „Ein gewisser Effekt mag noch in Ballungsräumen bestehen, im ländlichen Raum tendiert dieser aber gegen null“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion.
Für die FDP ist dies ebenfalls ein Grund, das Gesetz abzulehnen. „Ausgangsbeschränkungen sind verfassungsrechtlich bedenklich und epidemologisch nicht wirksam“, sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing unserer Redaktion. Zudem ignoriere derVorschlag quasi jeden technischen Fortschritt in der Pandemiebekämpfung:„Nichts zu Tests, nichts zu Hygienekonzepten, nichts zu geimpften Personen“, kritisierte Wissing. Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann sieht daneben„eine Flut vonVerfassungsbeschwerden gegen das Gesetz über Karlsruhe hereinbrechen“.
Die Düsseldorfer Parlamentsrechtsexpertin Sophie Schönberger unterstützte auf Anfrage die Sicht der Bundesregierung, dass das Gesetz in der aktuellen Form keinen Eingriff in Länderrechte darstelle. „Der Bund hat die
Gesetzgebungskompetenz für das Infektionsschutzrecht, von dieser Kompetenz macht er Gebrauch“, erklärte Schönberger. Sie verwies darauf, dass die Corona-Verordnungen der Länder nur deshalb erlassen werden dürften, weil das Infektionsschutzgesetz die Länder dazu ausdrücklich ermächtige. „Dementsprechend kann der Bund auch ohne Weiteres die Regeln selbst im Gesetz vornehmen“, unterstrich sie.
Er wandelt dabei jedoch auf einem schmalen Grat. Nur wenn die Formulierungen unter dem Aspekt des Infektionsschutzes stehen, muss der Bundesrat nicht zustimmen. Je konkreter die Vorgaben aber werden, desto eher kollidiert das Gesetz mit Länderhoheiten. Solange der Bund etwa nur infektionsbedingte Schulschließungen vorschreibt, kann es die Koalitionsmehrheit alleine durchsetzen. Geht er aber dabei auch auf Präsenz- oder Wechselunterricht ein, verletzt er die Bildungszuständigkeit der Länder.
In diesem Fall „würde das Gesetz aus NRW keine Zustimmung erhalten“, sagte FDP-NRW-Generalsekretär Johannes Vogel voraus. Vor allem die generellen Ausgangssperren sind für die Liberalen nicht akzeptabel.„Wenn etwa ein geimpftes Ehepaar spazieren geht, ist das ungefährlich“, erläuterte Vogel.
In Koalitionskreisen wurde am Mittwoch erörtert, ob die Ausgangssperre dahingehend gelockert werden kann, dass ein Aufenthalt für Einzelpersonen, etwa zum Joggen, weiterhin ermöglicht werden soll. Bislang ist vorgesehen, dass nach drei Tagen regionaler Inzidenzwerte ab 100 dort künftig zwischen 21 und 5 Uhr der Ausgang verboten sein soll. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider erläuterte, dass das Problem nicht das„Herumlaufen“von Menschen sei, sondern „dass sie irgendwo hingehen“.
„Ausgangsbeschränkungen sind verfassungsrechtlich bedenklich“
Volker Wissing FDP-Generalsekretär