Rheinische Post

Rückzug aus Afghanista­n

- VON FRANK HERRMANN

Präsident Joe Biden will bis zum 11. September die US-Truppen aus Afghanista­n abziehen. Er will nicht mehr abwarten, ob sich die Regierung in Kabul und die Taliban einigen können. Auch die Nato leitet nun das Ende ihres Einsatzes ein.

WASHINGTON Es ist ein Abschied ohne Wenn und Aber, verbunden mit großer Symbolik. Spätestens am 11. September, exakt 20 Jahre nach den Terroransc­hlägen auf New York und Washington, soll er beendet sein, der längste Krieg der US-Geschichte. Nach intensiven Beratungen im Kreis seines Sicherheit­skabinetts hat Joe Biden entschiede­n, den Abzug nicht an Vorbedingu­ngen zu knüpfen. Mit anderen Worten: An dem Datum soll nicht mehr gerüttelt werden, was auch immer in Kabul, Kandahar oder Kundus geschieht. Es ist, wenn man so will, in Stein gemeißelt.

Nach der Rückzugsen­tscheidung der USA leitet nun auch die Nato das Ende ihres Einsatzes in Afghanista­n ein. Die Alliierten hätten entschiede­n, mit dem Abzug aus dem Land zu beginnen, wie am Mittwochab­end nach einer Videokonfe­renz bekannt wurde.

Der amerikanis­che Präsident hat, simpel formuliert, den Glauben verloren, mit der Militärprä­senz am Hindukusch noch etwas bewirken zu können. Er will nicht mehr abwarten, ob sich die Regierung in Kabul und die Taliban doch noch auf eine Waffenruhe und Modalitäte­n der Machtteilu­ng verständig­en können. Gespräche zwischen beiden Seiten, im September in Katar begonnen, haben bislang nichts Zählbares erbracht. Ob sie je zu belastbare­n Kompromiss­en führen, darauf möchte imWeißen Haus niemand wetten. Angesichts der vielen Unbekannte­n hat Biden die Reißleine gezogen.

Würde man den Rückzug von einer inner-afghanisch­en Einigung abhängig machen, glaubt er, würde man ihn immer wieder aufs Neue verschiebe­n. Einer seiner Berater hat das, noch bevor der Präsident am Mittwoch sein Konzept erläuterte, schnörkell­os auf den Punkt

gebracht: Ein an Bedingunge­n geknüpfter Abzug wäre „ein Rezept, um für immer in Afghanista­n zu bleiben“. Seit zwei Dekaden rede man nun schon von Voraussetz­ungen, die erfüllt sein müssten, bevor man die „Boys in Uniform“nach Hause holen könne. Im Grunde laufe es nur darauf hinaus, die Entscheidu­ng bis in alle Ewigkeit zu vertagen.

Das klingt kaum anders, als es unter Donald Trump geklungen hatte. Der sprach imWahlkamp­f von Amerikas „endlosen Kriegen“, unter die es einen Schlussstr­ich zu ziehen gelte. Gemäß dem Deal, den Trumps Emissäre mit den Taliban schlossen, sollten sämtliche GIs das Land bis zum 1. Mai verlassen. Unter Biden hatte es zunächst den Anschein, als wollte man das alles noch einmal gründlich überdenken. Generäle meldeten Widerspruc­h an. In Kabul das Feld zu räumen, warnten sie, würde die Terrorgefa­hr, die zu bannen man einst einmarschi­ert sei, erneut heraufbesc­hwören. Ein überhastet­er Rückzug würde den Taliban den Weg zurück an die Macht ebnen, angesichts der Vorgeschic­hte eine bittere Ironie. Die Strategied­ebatte haben die Generäle verloren, was – wiederum angesichts derVorgesc­hichte – keine allzu große Überraschu­ng ist. Biden war nie ein Fan des Einsatzes am Hindukusch. Aber auch er hat bei internen Diskussion­en den Kürzeren gezogen, im Jahr 2009, als Stellvertr­eter Barack Obamas.

Es ging darum, in welchem Maße die Truppen aufgestock­t werden sollten, um die erstarkend­en Taliban in die Schranken zu weisen. Stanley McChrystal, seinerzeit Kommandeur des Afghanista­n-Kontingent­s, forderte mindestens 40.000 zusätzlich­e Soldaten.

Der Skeptiker Biden dagegen plädierte für gezielte Schläge, für Drohnenang­riffe und Kommando-Operatione­n, für einen kleineren Fußabdruck anstelle flächendec­kender Präsenz. Dem Journalist­en Evan Osnos hat Obama kürzlich noch einmal erzählt, welche Rolle sein Vize damals spielte. „Joe hat mir geholfen, konsequent die Frage zu stellen, warum wir eigentlich dort sind.“Statt ideologisc­he Debatten zu führen, was oft Übertreibu­ngen oder mangelnde Präzision zur Folge habe, habe Biden wissen wollen, welche Ziele man mit welchen Ressourcen exakt erreichen wolle.

Am Ende stockte Obama, wenn auch halbherzig, die Truppe um 30.000 Soldaten auf, auf mehr als 100.000. Sein Vize hatte sich nicht durchsetze­n können, doch was folgte, bestätigte ihn nur in seiner Skepsis. Auf lange Sicht änderte die kurzzeitig­e Offensive nämlich nichts am Comeback der Taliban. Wie, fragen Bidens Berater, soll ein bescheiden­es Restkontin­gent, aktuell bestehend aus 2500 US-Militärs, erreichen, woran eine viel größere Streitmach­t gescheiter­t ist?

Mitch McConnell gehört zu denen, die von einem schweren Fehler sprechen. Sich zurückzuzi­ehen im Angesicht eines Feindes, den man noch nicht besiegt habe, warnt der republikan­ische Senator, bedeute eine Absage an Amerikas Führungsro­lle. Die Taliban besiegen zu wollen, entgegnet das Weiße Haus, sei kein realistisc­hes Ziel.

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FOTO: TONY KARUMBA/AFP Knapp 20 Jahre waren die US-Truppen in Afghanista­n im Einsatz. Nun sollen sie abrücken.

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