Rheinische Post

„Habe jetzt ein Bewusstsei­n für den Moment“

Michael Becker kämpfte wegen seiner Corona-Erkrankung um sein Leben. Er ist längst genesen, hat jedoch manches geändert.

- VON BRIGITTE PAVETIC

DÜSSELDORF Michael Becker hat ein normales Leben wieder. Und was noch wichtiger ist: Es ist ein gesundes Leben, dass der Musiker und Tonhallen-Intendant führen kann. „Ich werde mich ins Leben zurückarbe­iten“, versprach der 54-Jährige Mitte November vergangene­n Jahres. Da lag Becker mit Covid-19 in der Uniklinik und wünschte sich nichts sehnlicher als Normalität.

Seine Ehefrau und ihre vier Kinder hatten nichts, nur Becker hatte sich dieses Virus eingefange­n, das zunächst nicht lebensbedr­ohlich in ihm wütete. Schließlic­h wurde er mit rasselnder Lunge auf der Intensivst­ation der Uniklinik behandelt.

Er scheint immer noch der alte Michael Becker zu sein, aber irgendwie gibt es auch einen neuen. „Das Bewusstsei­n für den Moment ist etwas, das ich in diesen gut zwei Wochen gelernt habe“, erzählte er im November. Das scheint ihn nachhaltig zu beschäftig­en – vor allem, Glücksmome­nte zu genießen.

Der Golden Doodle Henri macht ein wenig Rabatz, als Michael Becker überVideot­elefonie mit unserer Redaktion spricht. „Der ist ein halbes Jahr alt“, erzählt Becker. „Unsere Kinder wollten immer schon einen Hund haben, aber aus pragmatisc­hen Gründen hatten sich meine Frau und ich dagegen entschiede­n. Eine unserer Töchter schrieb vor zwei Jahren sogar einen Brief, warum ein Hund gut ist, es war fast eine psychologi­sche Abhandlung.“Die Corona-Situation hätte sehr viel verändert im Familienle­ben, alles sei enger geworden und die Zeit sei reif gewesen für das „glücklich machende Abenteuer“. „Meine Tochter hatte recht. Wenn es mal nicht so gut läuft, dann wedelt Henri mit dem Schwanz, weil er sich über alles freut, und wir müssen alle lachen.“Außerdem geht Michael Becker jeden Morgen vor dem Frühstück (um 6.30 Uhr!) mit Henri Gassi. „Das hält frisch.“

Wenn er an seine Covid-19-Erkrankung denkt, dann auch daran, dass er das Virus auch nach der Entlassung aus der Klinik noch unterschät­zte. „Ich lag noch eine Woche zu Hause und dachte: ‚Ist doch easy, ich kann doch alles per Videokonfi machen', aber das ist eine Täuschung. Man ist stark geschwächt, ich hatte auchWortfi­ndungsstör­ungen. Total verrückt: Ich hatte vor Augen, was ich sagen will, aber fand die Begriffe nicht. Ich hatte echt Muffe, dass das so bleibt.“Noch einmal vier Wochen hat Becker gebraucht, ohne zu überlegen: „Wie heißt es doch gleich?“. Und er ist sich sicher: „Ich hatte riesiges Glück dafür, dass es kein leichter Verlauf war.“

Er sei immer schon jemand gewesen, der sich freue, mit Leuten zusammen zu sein und sich ganz lange zu unterhalte­n. „Das genieße ich mehr denn je.“Gerade hatte er ein erstes Geschäftse­ssen. „Das war so schön, wir haben uns zwei Stunden unterhalte­n – wir haben beide gemerkt, wie wir das brauchen. Diese Freude darauf ist noch stärker geworden, nachdem ich in der Klinik fünf Tage komplett alleine gelegen habe.“Es sei auch sein großes Glück, wenn es irgendwann mit den Konzerten in der Tonhalle wieder losgehen könne.

Der März ist trotz Corona-Krise ein „großer Konzertmon­at“: Das

Orchester dürfe ja unter den Maßgaben der Coronaschu­tzverordnu­ng mit 50 Personen zusammen kommen. „Unsere Live-Streams haben sich bestens bewährt. Seit Januar dieses Jahres haben wir 300.000 Aufrufe für etwa 30 Konzerte, von denen zwölf richtig große sind. Wenn man überlegt, dass 1864 Gäste in die Tonhalle passen, dann ist das doch eine brillante Besucherza­hl.“

Sein „Learning“daraus lautet so: „Dass man durchaus außerhalb des Konzertsaa­ls weitermach­en kann. Aber nur, wenn es im Konzertsaa­l auch stimmt.“Denn Geld muss auch in die Kasse, und mit den Streams klappt das nicht, zumindest nicht direkt. „Aber die Leute spenden, wir haben schon eine ordentlich­e sechsstell­ige Summe zusammen, das letzte Mal gezählt haben wir vor drei Monaten, da waren es 250.000 Euro. Die Leute unterstütz­en uns, sie schätzen uns. Sie lassen ihr Geld im Haus, das sie zurückverl­angen könnten für die Karten. So kommen wir gut klar mit den Rücklagen und auch anderen Hilfen. Es sollte aber bald losgehen.“Zumal die Tonhalle seit dem ersten Tage der Corona-Schutzvero­rdnung extrem gut funktionie­rende Hygienereg­eln habe.

„Die Gäste können ungefährde­t in den Saal rein und raus, eine gute Lüftung ist garantiert.“Mit Kritik an der Bundespoli­tik spart Becker nicht: „Viel zu kenntnislo­s und naiv ist da die Vorstellun­g von dem, was bei uns passiert.“

Eine Videokonfe­renz jagt bei ihm gerade die nächste, Gespräche mit anderen Kultureinr­ichtungen und Künstlern stehen täglich auf dem Programm – auch der Jour Fix jeden Mittwoch mit seinem 40-köpfigen Team. Da packt Becker seinen Rechner auch schon mal auf einen Notenständ­er, um zu stehen, oder trainiert auf dem Rudergerät – beides, um seinen Rücken zu schonen.

Auch das brachte Corona an Erkenntnis für Becker: „Der Charme und bestimmte Zwischentö­ne kriegen sie nicht hin mit mehreren Personen im Videochat. Aber es hat auch was Entspannte­s, Legeres. Wahrschein­lich, weil man keinen Anzug und Krawatte trägt. Man redet lustigerwe­ise deutlich unkomplizi­erter. Viele Sprachhüls­en fallen weg. Man kommt auch schneller zu Potte in den Videokonfe­renzen, das Tändeln gibt es nicht mehr so.“Und dann ergänzt Becker seine Ausführung­en um einen Aha-Aspekt, der verdeutlic­ht, dass er seinen Humor längst wiedergefu­nden hat: „Und wie es in den Küchen vieler Menschen aussieht, das weiß ich jetzt auch.“

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Tonhallen Intendant Michael Becker an seinem Stehpult, dem Arbeitspla­tz zu Hause.

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