„Es war ein Frühlingsbild“
Gastbeitrag Der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte über das Ende des NS-Terrors für die Düsseldorfer Familie Schulhoff
Der Tag des Kriegsendes war „ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“Dieser Satz von Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 im deutschen Bundestag gehört zu den zentralsten und gleichzeitig umstrittensten Feststellungen der deutschen Geschichtspolitik nach 1945. Was aber bedeutete dieser Aspekt für Düsseldorf?
Die Stadt war die letzte Bastion der Nazis am Rhein. Mitte April 1945 war sie eingekesselt, die Lage dramatisch. Mutige Bürger verhandelten mit den Alliierten und eröffneten so der (kampflosen) Befreiung den Weg. Am Nachmittag des 17. April war die Herrschaft der Nationalsozialisten in der Stadt beendet. Für viele Menschen war es Ende und Anfang zugleich, besiegt, befreit, niedergerungen. Nach zwölf Jahren Propaganda und Terror kamen nun Menschen, die gelitten hatten, sprichwörtlich wieder ans Tageslicht, aus den Lagern, aus Gefängniszellen und aus Verstecken, in denen sie monate- oder jahrelang ausgeharrt hatten.
Unter ihnen war der Diplomingenieur Georg Schulhoff, der – getrennt von Ehefrau Erna und Söhnchen Wolfgang – versteckt leben musste: Der 1898 in Budapest geborene und seit 1926 selbstständige Unternehmer hatte eine jüdische Mutter und war evangelisch getauft, galt in den Augen der Nazis als „Jude“. Sein Heizungs- und
Installationsbetrieb an der Pionierstraße musste schließen, Schulhoff sich durchschlagen als Monteur, Arbeiter und schließlich verpflichtet als Totengräber auf dem Südfriedhof.
Aus seiner Akte geht hervor, wie übel die Gestapo Georg Schulhoff mitgespielt hat: Im November 1935 wurde gegen ihn ein Verfahren wegen „Beleidung der Reichsregierung“eingeleitet. Im Sommer 1938 notierte man: „Vermietet trotz Einspruch seiner arischen Mieter an Juden.“Mehrfach wurde er von Nachbarn denunziert. Beim Novemberpogrom verwüstete man die Wohnung. 1939 wurde er vorgeladen („Rundfunkgerät im nichtarischen Haushalt“), musste den Namen „Israel“annehmen, 1940 sein Telefon abgeben.
Immer wieder wurde auch seine
Ehe torpediert: Schon im April 1935 hetzte der antisemitische „Stürmer“gegen Erna Schulhoff: „Ein artvergessenes Mädchen aus Düsseldorf: Die Erna Neuenhüskes, Düsseldorf, Steinstr. 85 (...) verkehrt immer noch mit dem getauften Juden Georg Schulhoff. (...)“. Dennoch hielten beide eng zusammen. Verheiratet waren sie seit 1934, Ende 1939 wurde Wolfgang geboren. In ihrem Haus Düsselkämpchen 2 konnten bald nur noch Juden wohnen. Im November 1941 wurden zahlreiche ihrer Mieter von Derendorf aus in das Ghetto von Minsk deportiert.
Und nun spitzte sich auch für die kleine Familie die Lage immer mehr zu: Nach der Deportation der „Volljuden“1941/42 hat das Gestapo-„Judenreferat“auch die„Mischlinge“und „Mischehepartner“im Visier. Georg Schulhoffs Sohn Wolfgang sagte später: „Das habe ich noch als junger Mensch miterlebt, die Angst, die Gefahr und alles, was daraus hervorging. Der Vater „war bekannt, er stand auf dem Index, und die Gestapo ging bei uns aus und ein.“
Am 17. September 1944 sollte der Vater in ein Arbeitslager deportiert werden. Die Alliierten standen kurz vor der westlichen Reichsgrenze. „Ich habe mich dann durch Flucht dem Abtransport der Gestapo entzogen,“schildete er später diesen Tag: Zunächst bei Freunden untergetaucht („Da musste ich den ganzen Tag in einem Keller zubringen, denn es durfte mich ja kein Mensch sehen.“), versteckte er sich die letzten Monate im eigenen Keller an der Erasmusstraße.
Dort kann er nur erahnen, was im letzten Kriegsjahr 1945 draußen vor sich geht: Der erodierende Nazistaat, das immer brutalere Vorgehen, die Bombardements der Stadt. „In diesen sieben Monaten hat sich so viel abgespielt, was mich nahe an den Galgen brachte. Ich habe es immer wieder glücklich überstanden.“Enkeltochter Esther Schulhoff sagt heute: „Es war meine Oma, die alles im Hintergrund geregelt hat. Sie war eine unfassbar starke Frau.“Sowohl ihre Großeltern als auch ihrVater seien mit den Erfahrungen sehr diskret umgegangen. „Es gab keine Verbitterung oderWunsch nachVergeltung.“
Als die Amerikaner schließlich kommen, beginnt für die Schulhoffs das Aufatmen. In einem Interview beschrieb es Wolfgang Schulhoff 2007 so: „Dann sah ich einen großen Lastwagen voll Soldaten, die anders gekleidet waren als die Soldaten, die ich kannte, und es waren auch Schwarze dabei, es war neu, es war ein schönes Bild, es war ein Frühlingsbild, was ich erlebte, da begann alles wieder und da sah ich meinen Vater auch wieder.“
Zur Frage, ob er und seine Eltern im April 1945 eine Niederlage oder eine Befreiung erlebt hatten, hatte Wolfgang Schulhoff zeitlebens eine klare Haltung: „Es war eine große Befreiung, es war großartig, also wir haben die Amerikaner herbeigesehnt, ich als Kind auch. Die Angst war vorbei, wir konnten wieder aufleben, wer das anders sieht, der kann keine Geschichte bewerten, der hat auch nie den Krieg miterlebt.“