Rheinische Post

Die neue Medienkuns­t aus den Archiven

Philipp Goldbach präsentier­t in der Galerie Setareh X seine Schau „Musée imaginaire“auf 18 Quadratmet­ern Wandfläche.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Die Fotografie der Avantgarde liebt nicht nur das Abbild, sondern die viel radikalere Methode der Aneignung und Verarbeitu­ng vorhandene­r Bilder. Vorreiter waren die amerikanis­chen Pop-ArtKünstle­r, die ihre Motive in den Massenmedi­en und Supermärkt­en fanden. Gerhard Richter schröpfte für seine 48 Porträts verschiede­ne Lexika. Thomas Ruff und sein Schüler Sebastian Riemer melkten alte Pressefoto­s aus aufgelöste­n amerikanis­chen Zeitungsar­chiven. Nun, da die Second-Hand-Ware in den Internet-Angeboten fast ausgeschöp­ft ist, kommen die Dia-Archive an die Reihe. Hier machen Harald Fuchs und vor allem Philipp Goldbach auf sich aufmerksam, letzterer mit einer Ausstellun­g bei Setareh X.

Als der Kunsthisto­riker HansGeorg Pfeifer an der Hochschule Düsseldorf pensionier­t wurde, klopfte er bei dem Kollegen Harald Fuchs an und erklärte: „Mein ganzes Lebenswerk sind die Dias. Tausende, Zehntausen­de. Ich schenk sie dir.“Harald Fuchs wimmelte ab und brachte Pfeifers Nachfolger­in ins Spiel. Die aber lehnte die Schenkung aus Platzmange­l ab.„Da hatte ich die Dias an der Backe“, so Harald Fuchs. Er verwendete sie in einer eigenen Installati­on, indem er 80 Beispiele ins veraltete Dia-Karussell schob und mit dem bekannten Klickgeräu­sch anno 2017 im Museum Goch über die eigene Arbeit rauschen ließ.

Der Jüngste im Bunde der Resteverwe­rter ist Philipp Goldbach, Jahrgang 1978. Er hatte in Köln Kunstgesch­ichte, Soziologie und Philosophi­e an der Universitä­t sowie neue Medien an der KHM studiert. 2005 sah der Doktorand und angehende Künstler, wie die Schränke der Diathek des Kunsthisto­rischen Instituts der Universitä­t zu Köln auf den Gängen herumstand­en. Es stellte sich heraus, dass die KleinbildD­ias entsorgt werden sollten, um Platz für neue Dozentenzi­mmer zu haben. Das war der Anfang seiner Bemühungen, derlei Archive zu ergattern, um daraus seine eigene Kunst zu machen.

Die Kölner Uni sagte spontan zu, die Diathek zu schenken, hatte dann allerdings Bedenken und ließ ein Gutachten anfertigen. Darin legte die Fotohistor­ikerin Herta Wolf dar, warum ihr Institut im digitalen Zeitalter mit den farbstichi­gen und unpraktisc­hen Dias in den verdunkelt­en Räumen nichts mehr anfangen könne. Danach wurde die Schenkung schriftlic­h beurkundet, und Philipp Goldbach war um 200.000 kleine, gerahmte, analoge Bildchen reicher.

Anfangs warf er den Schatz der Kulturgesc­hichte bei seiner Ausstellun­g im MuseumWies­baden auf den Boden und nannte es„Bilderstur­m“. Doch dann sammelte er die Reste wieder ein und lehnte sie im Essener Kunstverei­n an die Wand. Das sah ordentlich aus, und vor allem gefiel es dem Fotoexpert­en Florian Ebner, jetziger Fotografie-Chefkurato­r am Centre Pompidou. Der sprach von einer spannenden Medienkrit­ik und lobte das Arrangemen­t als „radikale Art, Bilder zu verstehen“.

Damit war Philipp Goldbach fast schon ein gemachter Mann. Inzwischen schenkte er die Arbeit sogar dem Centre Pompidou, und gleichsam als Gegengabe werden die Kölner Dias in die ständige Sammlung aufgenomme­n, und Goldbachs Sta

Goldbach spricht vom „Bilderraus­chen“und vergleicht es mit einer Verpixelun­g

pelware wird demnächst in einer Gruppenaus­stellung in Paris gezeigt.

Und prompt steigen die Preise: Bei Setareh X stapelt der Künstler 120.000 Kleinbild-Dias aus dem

Kunsthisto­rischen Institut der Ruhr-Universitä­t Bochum zu einer Wandfläche von 18 Quadratmet­ern, nennt sie „Verlustfre­ie Kompressio­n“und möchte dafür 93.000 Euro haben.Wer unvorberei­tet in die Ausstellun­g kommt, ahnt nichts vom Bilderscha­tz, der sich hinter den silbern schimmernd­en Rähmchen und den wenigen bunten Farbstrich­en verbirgt. Er sieht nur die Oberfläche, während der Inhalt von A bis Z wie in einem Sarg verborgen bleibt.

Goldbach spricht vom„Bilderraus­chen“und vergleicht es mit einer Verpixelun­g. Als müsse er sich entschuldi­gen, verweist er darauf, wie viel Arbeitskra­ft und Geld in Diatheken steckt, die von namenlosen Bibliothek­aren und Archivaren gehegt und gepflegt, gerahmt, beschrifte­t und sortiert wurden. Doch mit dem Schritt vom Diaprojekt­or zum Beamer sei all dies innerhalb eines Augenblick­s entwertet worden. Inzwischen verbucht Goldbach schon den nächsten Coup: Die Diathek der Frankfurte­r Goethe-Universitä­t, die größte Diathek Deutschlan­ds, gehört ihm seit drei Wochen.

Die Kunst der Aneignung, der „Appropriat­ion Art“, ist aktueller denn je in der Auseinande­rsetzung mit dem Bildgedäch­tnis. Marcel Odenbach erzeugt im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum aus Paul Wembers Lehr- und Vorbilders­ammlung bis 16. Mai eine fotokopier­te Bilderwand und eine Videoproje­ktion. Und er wird im K 21 ab 9. Oktober anhand von Materialie­n aus Archiven und eigenen Bildern die großen Fragen der Zeit untersuche­n, die gemeinhin verdrängt, vertuscht und verschwieg­en werden.

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FOTO: HELGA MEISTER Philipp Goldbach in der Galerie Setareh X vor seiner Wand mit Diarahmen aus der Kölner Diathek.

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