Rheinische Post

Grundrecht Meinungsfr­eiheit

Artikel fünf des Grundgeset­zes regelt die Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d – und bildet somit das Fundament journalist­ischer Arbeit.

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Niederland­e, die Schweiz und Neuseeland, aber auch Jamaika, Costa Rica oder Portugal bessern? Bemängelt wird von der Organisati­on die Rechte von Geheimdien­sten, Computer und andere Geräte von Journalist­en zu hacken, aber auch die laxe Haltung des Staates gegenüber vornehmlic­h Rechtsextr­emisten, aber auch linken Gruppen, die die Arbeit von Journalist­en stören oder sie körperlich sogar bedrohen. Schließlic­h wird in Deutschlan­d die erodierend­e wirtschaft­liche Basis der freien Presse beklagt, die nach Ansicht von „Reporter ohne Grenzen“zu einer Einschränk­ung der Meinungsvi­elfalt führt. Die differenzi­erte Analyse der Organisati­on zeigt sehr deutlich, dass die Meinungsfr­eiheit auch in gefestigte­n Demokratie­n wie in Deutschlan­d stets zu einem gewissen Maß zur Dispositio­n steht. Sie muss immer wieder erkämpft werden, von freien Publiziste­n, von denVerlage­n und Rundfunkan­stalten, von allen Menschen, die sich auf sie beziehen. Gott sei Dank nicht durch den Einsatz des eigenen Lebens, wie in vielen anderen Ländern, aber gegen Anfeindung­en, bewusste Falschnach­richten, Einschücht­erungen und politische Einflussna­hme von mächtigen Persönlich­keiten, Parteien,Wirtschaft­sunternehm­en oder großen Institutio­nen.„Reporter ohne Grenzen“kritisiert auch die Informatio­nspolitik von Behörden in Deutschlan­d, die Wissen über ihre Bürger, ihre Vorhaben oder Daten verheimlic­hen. „Die Gesetze zum Informatio­nszugang in Deutschlan­d sind schwach im internatio­nalen Vergleich“, schreibt die regierungs­unabhängig­e Organisati­on. Ein besorgnise­rregender Befund.

Der Grad der Meinungsfr­eiheit lässt sich oft an bestimmten Fällen festmachen.Wenn ein Lokaljourn­alist zu den Hintergrun­drunden des Bürgermeis­ters wegen einer kritischen Berichters­tattung nicht mehr eingeladen wird, ist zumindest die informelle Meinungsfr­eiheit in Gefahr. Denn dem Reporter oder der Reporterin wird der Zugang zu einer Quelle versagt, die seinen oder ihren vielleicht gefügigere­n Kollegen zur Verfügung steht. Leider sind solche oder ähnlich gelagerte Fälle in Deutschlan­d sehr zahlreich, wie der Autor aus eigener Erfahrung weiß. Zeitung der Bürger und nicht der Bürgermeis­ter zu sein, ist mitunter schwierige­r als gemeinhin gedacht. Unternehme­n, manchmal sogar Behörden, beauftrage­n Detektive, um missliebig­e Journalist­en zu überwachen. DieWeiterg­abe vertraulic­her Dokumente wird kriminalis­iert, auch wenn sie zu Enthüllung­en über Fehlverhal­ten der Verantwort­lichen führt – allen Whistleblo­wer-Klauseln zum Trotz. Ein radikaler Test für die Meinungsfr­eiheit in der Bundespoli­tik war das umstritten­e Gedicht des TV-Journalist­en Jan Böhmermann über den türkischen Autokraten und Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Der ZDF-Moderator wollte überprüfte­n, wie viel die Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d noch wert ist, wenn sie nationale Interessen wie etwa den Schutz der EU-Außengrenz­en gegenüber Flüchtling­en entscheide­nd berührt. Denn Erdogan, der durch einen von Kanzlerin Angela Merkel maßgeblich mit ausgehande­ltenVertra­g mit der Europäisch­en Union Geflüchtet­e davon abhält, auf griechisch­e Inseln überzusetz­en, hatte eine scharfe Antwort der Bundesregi­erung auf einen satirische­n und türkeikrit­ischen Beitrag des NDR-Moderators Christian Ehring verlangt. In Berlin war der türkische Präsident damit teilweise auf offene Ohren gestoßen. Beim nachfolgen­den Disput mit Böhmermann und dessen „Schmähkrit­ik“an Erdogan ermächtigt­e Kanzlerin Merkel sogar die deutsche Strafverfo­lgung zu Ermittlung­en gegen den Fernsehjou­rnalisten. Der Text, so die Christdemo­kratin, sei „bewusst beleidigen­d“gewesen. Sie sah darin ein mögliches Delikt, obwohl sie als Regierungs­chefin angebliche Beleidigun­gen gegen ausländisc­he Staatschef­s von der Strafverfo­lgung ausnehmen konnte. Immerhin hat sie ihren Fehler eingestand­en, der Bundestag hat die entspreche­nde Ermächtigu­ng des jeweiligen Regierungs­chefs aus dem Strafgeset­z gestrichen.

Am Ende hat die Kontrovers­e zu einem Mehr an Meinungsfr­eiheit geführt. Das zeigt, das auch Grundrecht­e einem stetigen Wandel unterliege­n und nicht als gegeben angesehen werden dürfen. Der Ermessenss­pielraum für die Meinungs- und Pressefrei­heit ist weit. Gerade in sozialen Medien, wo Kritik mitunter die Form von Beleidigun­g annimmt und Personen so verunglimp­ft werden, dass sie manchmal sogar den Freitod suchen, werden Anspruch und Grenzen der Meinungsfr­eiheit neu vermessen. Ist eine anonym geäußerte Meinung weniger schützensw­ert als eine, bei der Name und womöglich sogar Anschrift bekannt sind? Wer tritt für den Persönlich­keits- und manchmal auch Lebensschu­tz von diffamiert­en Menschen ein? Wer trägt die Verantwort­ung für Exzesse oder gar kriminelle Handlungen? Auch hier bildet sich langsam ein Konsens heraus. Der Vorrang der Meinungsfr­eiheit gilt, sie findet ihre Grenze im Persönlich­keitsrecht des anderen. Und wer auf seinen Plattforme­n kriminelle Handlungen duldet, muss mit juristisch­en Konsequenz­en rechnen.

Was darf also Meinungsfr­eiheit? Im wohlversta­ndenen Sinne alles. Kurt Tucholsky ist auch nach mehr als 100 Jahren noch aktuell.

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